Kapitalismus ist kompliziert. Manches wirkt unverständlich. Eine solche besonders vielschichtige Kapitalismus-Geschichte spielt in Augsburg. Sie handelt von einer großen Niederlage nach Zeiten des Hochmuts, Verzweiflung, dann aber doch von Aufbruchstimmung, Innovationslust, Teamgeist und der Fähigkeit, ein Spiel komplett zu drehen, wie es in der Fußballsprache heißt.
Augsburg ist eine Maschinenbaustadt, deren Name bis heute mit dem Kürzel MAN verbunden ist, das für „Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg“ steht. Zum MAN-Konzern gehörte einst auch der Druckmaschinenhersteller Manroland mit einem großen Standort in Augsburg. Als das Unternehmen 2011 Insolvenz anmeldete, brach für viele der damals noch 2400 Beschäftigten in Augsburg eine Welt zusammen. Dort saß und sitzt weiter der Rollenoffset-Druckmaschinenbereich des Unternehmens, der in die eine Krise geschlittert war. Nach einer aufwühlenden Zeit stieg die Lübecker Possehl-Gruppe ein, hinter der eine wohltätige Stiftung steckt. Dem Engagement der Norddeutschen ist es zu verdanken, dass die Augsburger Druckmaschinen-Tradition fortbesteht.
Manroland Goss Web Systems gehört zu 49 Prozent einem US-Investor
Nach einer Fusion mit dem US-Unternehmen Goss trägt das Unternehmen mit heute noch knapp 600 Beschäftigten am Standort Augsburg und etwa 900 weltweit den langen Namen Manroland Goss Web Systems. Es gehört zu 49 Prozent dem US-Finanzinvestor American Industrial Partners, kurz AIP. Den Rest hält Possehl.
Das AIP- wie das Possehl-Management sind dem Vernehmen nach äußerst zufrieden mit dem Augsburger Investment. Denn die Firma hat mit wachsenden Aufträgen und schwarzen Zahlen die Krisenzeit weit hinter sich gelassen. Im vergangenen Jahr stellte Manroland Goss Web Systems 27 Beschäftigte zusätzlich ein. Unternehmens-Chef Franz Kriechbaum hätte gerne elf weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begrüßt, doch Fachkräfte sind rar. Auch in diesem Jahr will der Manager knapp 40 neue Angestellte an Bord holen. Es ist ihm besonders wichtig, wie schon 2022 die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich zu erhöhen.
Kriechbaum wirbt sogar um frühere Beschäftigte, die im Zuge der Insolvenz gehen mussten: „Wir würden uns freuen, wenn ehemalige Manroländer, die über großes Know-how verfügen, wieder zu uns kommen.“ Das Unternehmen sei inzwischen „richtig cool“, sagt der 46-jährige Maschinenbau-Ingenieur, der lange als Unternehmensberater und zuvor für den Münchner Triebwerkhersteller MTU gearbeitet hat. Er spricht gerne über die Beschäftigten von Manroland Goss Web Systems: „Von ihnen habe ich viel Loyalität erfahren.“
Der Betriebsratsvorsitzende Sascha Hübner sagt über den Firmenchef: „Herr Kriechbaum kam 2017 zu uns und hat gleich an die Firma geglaubt, die er mit den Beschäftigten weit nach vorn gebracht hat.“ Er sei menschlich ein feiner Kerl. Das Unternehmen stehe heute gut da. Hübner wiederum ist es gelungen, die 2023 auslaufende Beschäftigungssicherung bis 2025 zu verlängern, auch weil die Belegschaft zu finanziellen Zugeständnissen bereit war.
Aus Verzweiflung wurde bei Manroland Aufbruchstimmung
Wo sich einst 2011 zu Insolvenzzeiten Verzweiflung breitgemacht hat, herrscht heute Aufbruchstimmung. Kriechbaum kündigt an, dass der Jahresumsatz von zuletzt rund 250 Millionen Euro schon bald dauerhaft auf über 300 Millionen Euro bei einem gleichzeitigen Anstieg des Ergebnisses um rund 20 Prozent ansteigen soll. „Solche Zahlen und eine derartige Stabilität des Unternehmens konnten wir rund zehn Jahre nicht mehr vorweisen“, sagen Kriechbaum und Hübner unisono. Der Auftragsbestand sei einer der höchsten seit der tiefsten Krise der Firma. Damit ist die Produktion bis 2024 ausgelastet.
Wie war die Wende möglich, schließlich schrumpft der Markt für in Augsburg hergestellte Druckmaschinen im Zuge der sich beschleunigenden Digitalisierung weiter? Können die heutigen Manroländer zaubern? Das nicht, aber rechnen. Sie profitieren davon, dass das internationale Druck-Volumen nicht mehr um 1,5 Prozent jährlich, sondern um 0,9 Prozent zurückgeht. Kriechbaum begründet seinen Optimismus für die Zukunft mit reiner Mathematik: „Rund 3000 Druckmaschinen von uns sind weltweit installiert. Wenn ab 2030 nur jede zehnte ersetzt wird, bedeutet das für uns Aufträge für etwa 300 Maschinen.“
Die Prognose wirkt noch konservativ. Manche Branchenkenner halten es sogar für möglich, dass jede sechste Rotation ausgetauscht wird. Die Menge der Maschinen wird deutlich sinken, aber die Zahl der Druckmaschinen-Produzenten ist auch geringer geworden. Kriechbaum macht eine weitere Rechnung auf: „Wenn sich Druckereien ab 2030 neue Maschinen anschaffen, werden das weniger als früher sein, diese werden aber intensiver genutzt.“ Dadurch kann Manroland Goss Web Systems mehr Geld im Service verdienen.
Schon heute kommen verlässlich Aufträge für neue Druckmaschinen herein, zuletzt ein großer Zeitungsauftrag aus Südkorea. Hier haben sich die Augsburger gegen einen japanischen Rivalen durchgesetzt, auch weil sie über Techniken verfügen, wie die Anlage in Seoul aus der Ferne gewartet werden kann. So ließen sich 95 Prozent der Probleme beheben.
Manroland macht gute Geschäfte mit dem Verpackungsdruck
Mit der traditionellen Druckmaschinensparte allein stünde das Unternehmen nicht so gut da. Es profitiert auch davon, dass im Haus eine neue Anlage zum Druck von Verpackungen entwickelt wurde. Der entsprechende Markt boomt. Es geht um Milliarden. Dank Augsburger Technik werden schon heute etwa Pizzakartons mit bunten Aufschriften versehen. Fünf solche Varioman heißenden Maschinen sind verkauft, zwei weitere sollen im Frühjahr folgen. Mit der Technik lassen sich allerlei Verpackungen wie auch Banderolen von PET-Flaschen beschriften.
Kriechbaum lächelt und sagt: „In dem Geschäftsfeld ist gehörig Musik drin. Der Neumaschinenmarkt für Verpackungsdruck-Anlagen ist etwa 100-mal so groß wie der im Zeitungsdruck.“ Steigt Manroland Goss Web Systems irgendwann zu alter Größe auf? So weit schaut Kriechbaum nicht in die Zukunft, heizt die Fantasie aber doch an, wenn er berichtet, das Unternehmen forsche an Technologien, wie biologisch abbaubare Beschichtungen für Lebensmittel aufgebracht werden können. So lässt sich Plastik einsparen.
Dass Manroland Goss Web Systems auf die Erfolgsspur zurückgekehrt ist, führen Branchenkenner auch auf das Engagement der amerikanischen Privat-Equity-Firma AIP zurück, deren Fachleute das Management in Augsburg unterstützt und herausgefordert hätten. Heuschrecken können auch gut sein. Doch nach ihren Statuten fällt den Geldgebern zu große Treue schwer. Ihr Job ist es, im Sinne der Anlegerinnen und Anleger den Wert einer gekauften Firma deutlich zu steigern, was in Augsburg gelungen ist. Dann muss sich ein Finanzinvestor von dem Unternehmen trennen, es also verkaufen, selbst wenn er es wie AIP im Fall von Manroland Goss Web Systems liebgewonnen hat und noch viel von ihm erwartet.
Amerikaner suchen seriösen Investor für „Augsburger Perle“
Dabei sind die Amerikaner mit rund sieben Jahren schon lange an Bord. Oft stoßen Finanzinvestoren Engagements nach fünf Jahren ab. Wie es heißt, wollten die AIP-Leute aus New York ihre „Augsburger Perle“ in der Corona-Zeit nicht unter Wert an irgendeinen Investor verscherbeln. So suchen sie nach Informationen unserer Redaktion jetzt einen neuen Eigentümer für den bayerischen Druckmaschinenbauer, eben einen seriösen Investor aus der Industrie oder der Finanzwelt.
Noch kursieren keine Namen von Interessenten, schließlich befindet sich der Verkaufsprozess am Anfang. Eine Investmentbank sei mit den Vorbereitungen beauftragt worden. Dabei scheint es noch unklar zu sein, ob schon 2023 ein neuer Besitzer gefunden wird. Eingeweihte gehen davon aus, dass sich auch Possehl von dieser Augsburger Beteiligung trennt. In dem Zusammenhang stellt sich eine delikate Frage: Was passiert mit Manroland Web Production, einer Firma, die Possehl zu 100 Prozent gehört und die eng mit dem Druckmaschinenhersteller Manroland Goss Web Systems verzahnt ist? Schließlich bestreitet das Unternehmen mit etwa 200 Beschäftigten rund 50 Prozent seines Umsatzes als Zulieferer für die größere Schwesterfirma.
Für Augsburgs IG-Metall-Chef Roberto Armellini, der selbst bei MAN Roland, wie die Firma damals noch hieß, gearbeitet hat, wäre es ideal, wenn der neue Investor gleich beide Firmen kauft: „Manroland Web Production stellt etwa den Zylinder des Druckwerks her. Das ist eine absolute Kernkompetenz.“ Mit dem Betriebsratsvorsitzenden Hübner ist er sich einig: „Wir würden einen westlichen Investor bevorzugen, ein chinesischer oder japanischer kommt für uns nach den schlechten Erfahrungen in Augsburg bei Osram und Fujitsu nicht infrage.“ Sollte die Wahl doch auf einen solchen Finanzier fallen, werde die Arbeitnehmerseite auf die Barrikaden gehen. Dann ist für Armellini und Hübner eine rote kapitalistische Linie überschritten.