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Wirecard-Geschädigte hoffen auf Schadenersatz

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Wirecard-Prozess: Bekommen geprellte Anleger Geld?

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    In einem Münchner Prozess hoffen Wirecard-Geschädigte, dass geklärt wird, ob sie Schadenersatz verlangen können.
    In einem Münchner Prozess hoffen Wirecard-Geschädigte, dass geklärt wird, ob sie Schadenersatz verlangen können. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Das einstige Empfangsgebäude des Flughafens München-Riem ist heute eine Event-Location. Seit Freitag findet dort ein Event der besonderen Art statt. Denn in der elf Meter hohen und knapp 700 Quadratmeter großen Halle mit wuchtigen Wappen bayerischer Städte wie Augsburg, Landsberg oder Füssen soll ein hoher Anspruch erfüllt werden: Dort tagt das Bayerische Oberste Landesgericht unter dem Vorsitz der Präsidentin Andrea Schmidt. Wegen des enormen Ansturms an Verfahrens-Beteiligten ist das Gericht an den unter Denkmalschutz stehenden Ort ausgewichen. Ehe Juristen und Journalisten den in der Nazizeit im Jahr 1939 fertig gestellten und entsprechend protzigen Raum betreten dürfen, werden sie gründlicher gefilzt, als das an manchen Flughäfen üblich ist. 

    In der Wappenhalle soll in einem Musterverfahren grundsätzlich für viele Tausend durch die Wirecard-Pleite geschädigte Aktionäre geklärt werden, ob sie Schadenersatzansprüche gegen Vorstände wie Markus Braun, ehedem Chef des Online-Zahlungsabwicklers und gegen die Wirtschaftsprüfer von EY stellen können. Letztere Gesellschaft hat über viele Jahre hinweg die Bilanzen des am 25. Juni 2020 zusammengebrochenen Unternehmens geprüft. Nur wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass Experten von Ernst & Young zum ersten Mal das Testat für die Wirecard-Bilanz verweigert haben. Den Schritt begründeten die Bilanz-Spezialisten damals damit, aus ihrer Sicht könnten von dem Unternehmen keine ausreichenden Belege für Guthaben von insgesamt 1,9 Milliarden Euro erbracht werden.

    Alles nur Lug und Trug bei Wirecard?

    Bald sollte sich der Verdacht der Bilanzprüfer erhärten, räumten Verantwortliche des Skandal-Konzerns doch ein, die Treuhandkonten, auf denen die Summe von 1,9 Milliarden Euro geparkt worden sein soll, existierten vermutlich nicht. Alles nur Lug und Trug? Ist Wirecard ein reines Betrugs-Gebäude? Braun bestreitet das bis heute standhaft. Er hatte das Unternehmen einst sogar in den Dax geführt und sitzt als Angeklagter seit 22. Juli 2020 in Untersuchungshaft. Das Münchner Gefängnis Stadelheim ist sein Zuhause. In einem Mammut-Strafverfahren musste sich der 55-Jährige bisher an 162 Verhandlungstagen mit zwei anderen Angeklagten des Vorwurfs erwehren, sie wären eine betrügerische Bande gewesen. Bis 20. Februar nächsten Jahres sind weitere 21 Termine in dem Prozess angesetzt. Ein Gerichts-Sprecher sagte unserer Redaktion: „Die Kammer arbeitet derzeit daran, einen Beweisplan bis Sommer 2025 zu erstellen.“ Ein Ende der Hauptverhandlung ist bisher nicht absehbar. Nach der Strafprozessordnung gibt es keine Höchstdauer für U-Haft. Sie muss nur verhältnismäßig sein. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft werden vom Gericht laufend und von Amts wegen geprüft. Derzeit liegen sie weiter vor.

    Früherer Wirecard-Chef sitzt immer noch in U-Haft

    Der frühere Wirecard-Chef hält keinen U-Haft-Rekord. Im NSU-Verfahren saß Beate Zschäpe von 2011 bis 2021 in Untersuchungshaft, ehe sie zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Bis auf Weiteres muss Braun mit dem Schicksal des Freiheitsentzugs vorliebnehmen. Während Wirecard-Geschädigte mit Spannung auf den Ausgang des Strafprozesses gegen den einstigen Konzern-Boss warten, rechnen sie sich, zumindest was Braun betrifft, in dem zivilrechtlichen Prozess nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – kurz KapMuG – wenig aus. Denn, wie es heißt, sei bei dem einstigen Milliarden-Jongleur nicht mehr allzu viel zu holen. So hatte Brauns wortgewaltiger Verteidiger Alfred Dierlamm sein Mandat im Strafprozess aus wirtschaftlichen Überlegungen niedergelegt. Das Honorarbudget der zuständigen Manager-Haftpflichtversicherung sei eben aufgebraucht. „Der Topf ist leer“, meinte der Star-Jurist. 

    Ist bei EY Geld zu holen?

    So halten sich die dutzenden Anwälte im Münchner Zivilprozess an die vermeintlich vollen Töpfe des Wirtschaftsprüfers EY. In dem Musterverfahren wollen sie für ihre Mandanten die Voraussetzung dafür schaffen, insgesamt eine Milliardensumme einzuklagen. Das könnte ein langer und steiniger Weg werden. Zum einen weisen die Wirtschaftsprüfer die Schadenersatzansprüche gegen EY als „unbegründet“ zurück, zum anderen ist unklar, wie voll die Töpfe der betroffenen Sparte in Deutschland noch sind. Manche Insider glauben, EY habe die von möglichen Schadenersatz-Ansprüchen betroffene Geschäftseinheit gesellschaftsrechtlich derart clever umgetauft, dass am Ende vielleicht noch ein Millionen-Betrag, aber keine Milliarde Euro oder mehr zu holen sei. Andere, mit den Vorgängen vertraute Personen bezweifeln, „dass sich EY sozusagen arm rechnen kann“. 

    Es ist offen, wie lange der Münchner Musterprozess dauert. Einige Anwälte rechnen mit drei bis fünf Jahren. Wie das Verfahren ausgeht, ist schwer vorherzusagen, zumal die Rechtsprechung die Haftung von Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen an hohe Hürden knüpft. Martin Kühler, der als Rechtsanwalt die Kanzlei TILP an dem Münchner Wirecard-Verfahren vertritt, sagte dazu unserer Redaktion „Die Prüfer müssen dazu bedingt vorsätzlich falsche Bilanz-Testate erstellt haben.“  Die Fälle, in denen sich das in den vergangenen zehn, 20 Jahren nachweisen ließ, könne man an einer Hand abzählen. Ist das Verfahren in der Wappenhalle für die Katz? Können sich die rund 14.000 Wirecard-Opfer, die allein die Kanzlei TILP vertritt, kaum Hoffnungen machen, obwohl ihre Fälle zusammen für eine gigantische Schadensumme von etwa zwei Milliarden Euro stehen? 

    Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun ist mit zehntausenden Schadenersatzforderungen konfrontiert, doch viel Geld ist bei dem österreichischen Manager mutmaßlich nicht mehr zu holen.
    Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun ist mit zehntausenden Schadenersatzforderungen konfrontiert, doch viel Geld ist bei dem österreichischen Manager mutmaßlich nicht mehr zu holen. Foto: Magdalena Henkel, dpa

    Viele Wirecard-Aktionäre erinnern sich sicher ungern an alte Zeiten, zumal die Aktie 2018 an der 200-Euro-Marke kratzte, um 2020 im freien Fall zur Wertlosigkeit abzustürzen. Steht am Ende der große Frust für alle, die trotz aller Warnungen durch die Financial Times an die Seriosität von Braun und seinen Männern geglaubt haben? Rechtsanwalt Kühler bleibt Optimist: „Wir stehen im Wirecard-Verfahren auf der Kippe zum Vorsatz, sind also nah dran, EY-Verantwortlichen Vorsatz nachzuweisen.“ Dann allerdings hätten die Wirtschaftsprüfer ein Problem.

    Rechtsanwalt sieht Mithaftung der Wirecard-Wirtschaftsprüfer

    Zunächst einmal muss das Bayerische Oberste Landesgericht komplizierte Fragen wie diese klären: Sind Bestätigungsvermerke von Wirtschaftsprüfern wie EY für Bilanzen Kapitalmarkt-Informationen im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrens? Hat EY damit Hilfe geleistet, vorsätzlich fehlerhafte Informationen an den Kapitalmarkt weiterzugeben? Für Kühler ist die Sache klar: „Da die Geschäftsberichte von Wirecard über Jahre hinweg fehlerhaft waren und die Bestätigungsvermerke Teil der Bilanzen sind, waren auch diese fehlerhaft.“ In diesem Zusammenhang sieht er eine Mithaftung von EY für den entstandenen Schaden bei Anlegern und Investoren. 

    Am Ende könnte der Streit wie in vielen Zivilverfahren auf einen Vergleich hinauslaufen. Jedenfalls versichert der Jurist Fabian Reuschle, einer der führenden Experten für das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, im Gespräch mit unserer Redaktion: „Die Testate müssen von den EY-Wirtschaftsprüfern ins Blaue hinein abgegeben worden sein. EY kann sich nicht aus dem Musterverfahren stehlen.“ Mit einem solchen juristischen Vorgehen soll verhindert werden, dass Tausende Prozesse parallel laufen und damit die Justiz massiv belasten. Daher werden zentrale Themen in einem derartigen Verfahren für alle Anleger gleichbehandelt und die einzelnen Verfahren werden bis zum Ende des Muster-Prozesses ausgesetzt. 

    Wirecard-Geschädigte träumen von Schadenersatz

    In der Empfangshalle des ehemaligen Münchner Flughafens, wo sich Menschen einfanden, um zu reisen und Sehnsüchte zu erfüllen, träumen Wirecard-Anleger davon, zumindest einen Teil ihres Schadens ersetzt zu bekommen. Marc Liebscher, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, meldet vor Prozess-Auftakt Kritik an der Arbeit der Münchner Justiz an: „Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in seiner wurstigen Art lange gebraucht, um einen Musterkläger auszuwählen.“ Es komme nicht ausreichend seiner Pflicht nach, das Verfahren zu koordinieren und zu moderieren. Für den Anleger-schützer steht fest: „Das Gericht zieht das Verfahren unnötig in die Länge.“ Das wirke frustrierend auf Kläger. Andererseits ist ein derartiges Mammutverfahren eine enorme Herausforderung für die Justiz.

    Viele Anwälte dürfen sich indes nicht beklagen: Für sie ist Wirecard und damit der größte Wirtschafts-Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte eine nicht versiegen wollende Quelle an Arbeit und Einnahmen.

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