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Wirecard-Affäre: Richter nimmt Ex-Wirecard-Chef Braun kräftig in die Mangel

Wirecard-Affäre

Richter nimmt Ex-Wirecard-Chef Braun kräftig in die Mangel

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    Laut dem Kronzeugen der Staatsanwaltschaft war der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun ein "absolutistischer CEO".
    Laut dem Kronzeugen der Staatsanwaltschaft war der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun ein "absolutistischer CEO". Foto: Peter Kneffel, dpa

    Es wird ungemütlich für Markus Braun. Die Gesichtsfarbe des 53-Jährigen wirkt zunehmend rötlich. Er presst die Hände vor dem leicht nach vorn gebeugten Oberkörper immer wieder aufeinander, um so zumindest etwas Druck abzulassen. Der frühere Wirecard-Chef sieht sich am Donnerstag in München stundenlang bohrenden Nachfragen des Richters Markus Födisch ausgesetzt. Nun kann der Angeklagte nicht mehr wie am Montag weitgehend allein in dem bunkerartigen Gerichtssaal unter dem Gefängnis in Stadelheim Brauns Welt ausholend erklären. Nun muss er sich allerlei lästigen Widerworten erwehren. 

    Das sollte eine neue Erfahrung für einen Manager wie ihn sein, der es einst als Vorstandsvorsitzender des Online-Zahlungsdienstabwicklers gewohnt war, selbst die Fragen zu stellen. CEOs, wie solche Bosse auf Englisch kurz heißen, werden ungern unterbrochen, weder von Journalisten noch Juristen. Doch heute ist es so weit. Födisch lässt Braun keine rhetorischen Ausweichmanöver durchgehen und gibt dem schräg rechts von ihm sitzenden Angeklagten ohne Vorwarnung zu bedenken: "Sie haben jetzt in vielen Worten das Gleiche gesagt wie vorher, nämlich gar nichts." Es sei zu spüren, dass es sich um einen Profi handele, der mit der Presse zu tun hatte. Das sitzt. Braun lächelt minimal dosiert, Journalistinnen und Journalisten amüsieren sich ausgiebig.

    Richter befragt Ex-Wirecard-Chef Markus Braun: Ein wenig Humor im Prozess

    Das ist nur einer der wenigen Momente des Humors in dem von einem bleiern-ernsten Grundton getragenen Verfahren um einen Milliarden-Betrug. Födisch schaltet sogleich wieder in den sachlichen Modus zurück und macht das, was für Braun besonders unangenehm sein muss, konfrontiert der Jurist ihn doch mit früheren Aussagen. Er hält Braun vor, einst eingeräumt zu haben, "den Eisberg, der innerhalb Wirecards schlummerte" nicht gesehen und damit versagt zu haben. Demnach soll Braun auch noch eingestanden haben: "Als Kapitän hätte ich den Eisberg sehen müssen." Der Richter deutet das, als hätte der Ex-Wirecard-Mann eine Straftat eingeräumt. Provokant meint er zu Braun: "Das ist mehr, als Sie hier sagen. Sie stellen sich als Opfer dar." Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm fährt aus bequemer Sitzposition hoch: "Ich kann das seinen Einlassungen nicht entnehmen." Außerdem stelle sich Braun nicht als Opfer dar. 

    Födisch, ein in sich ruhender Mann mit Brille und sanfter Stimme, versucht, die Gemüter zu beruhigen, indem er sagt: "Ich will Sie nicht in ein Messer laufen lassen." Doch sind Brauns einstmalige Eisberg- und Versagens-Bekenntnisse eine Art eiskaltes Geständnis? Der sich selbst munter verteidigende Angeklagte versucht das mit Einblicken in sein Seelenleben zu entkräften: "Nach damals rund sechs Monaten Untersuchungshaft und eingeschränkter Akteneinsicht habe ich mich an mir selbst abgearbeitet." Schließlich sei eine Welt für ihn zusammengebrochen. Demnach wollte er mit dem Eisberg-Vergleich "die Emotion" zum Ausdruck bringen, dass ihm etwas massiv entgangen sein müsse. Braun betrachtet seine Aussage nicht als Geständnis, sondern will sie so verstanden wissen, "dass man als Kapitän immer eine politische Verantwortung hat". Heute habe er dank viel intensiverer Akteneinsicht einen klareren Blick darauf, was passiert sei.

    Ex-Wirecard-Chef Markus Braun beharrt darauf, nichts gewusst zu haben

    Födisch lässt das in seinem heutigen Ungemütlichkeits-Programm nicht auf sich beruhen und fragt Braun, ob er versagt habe. Nun fällt der, was den Charakter des Angeklagten betrifft, interessanteste Satz des 14. Prozesstages: "In dem Sinne, dass ich die Gleichung nicht gelöst habe, habe ich versagt." Dergleichen kann nur einem den Rechenkünsten zugewandten Menschen wie dem Manager einfallen, der Wirtschaftsinformatik studiert hat. Er beharrt auf seiner Sicht der Dinge, 2020 selbst nicht erkannt zu haben, "dass massiv Gelder aus der Firma rausflossen". 

    Dabei gibt sich Braun nach rund zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft geläutert: Das mit dem Eisberg würde er so nicht mehr formulieren. Inzwischen hat er seine Hände unter die Anklagebank geschoben. Er blickt zu Födisch auf und meint zu den aus seiner Sicht nicht mehr auffindbaren gut 1,9 Milliarden Euro. "Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten, dass mir so etwas entgeht." Originell wirkt hier die Forderung des Angeklagten, einmal sauber zu ermitteln, wie viel von der Summe zurückgeholt werden könne. Wohlgemerkt: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Milliardenbetrag erfunden wurde, um Wirecard vor Kreditgebern und der Aktionärsgemeinde in einem guten Licht dastehen zu lassen. Nach der Version war Braun in die Manipulation eingeweiht und Teil der Bande. Doch ein mutmaßlich führendes Bandenmitglied glänzt mit Abwesenheit. Der frühere Vertriebsvorstand Jan Marsalek verfolgt den Prozess nach seiner Flucht wohl aus der Nähe von Moskau. Er und Braun waren, wie joviale Männer gern sagen, Kumpel. Zumindest nach der Lesart des Ex-Wirecard-Chefs muss es 2020 zu einer ruppigen Entkumpelung gekommen sein, auch wenn ihm der immer schlechter aussehende Marsalek leidgetan habe.

    Sollte Jan Marsalek ein Frühstücksdirektor werden?

    Braun legt Ausdrucke von E-Mails vor, die belegen sollen, dass er konkrete Nachfolger für den mächtigen Vertriebsvorstand im Auge hatte. Ihm war aber an einem gleitenden Übergang von Marsalek zum neuen Mann gelegen, damit Kunden nicht verprellt würden. Zum Wechsel in dem wichtigen Vorstandsressort kam es nicht mehr. Braun behauptet, er habe Marsalek zum Chief Development Officer, einer Art Frühstücksdirektor, herabstufen, wollen, "weil er auf Partner setzte, die dem Niveau eines Dax-Konzerns nicht angemessen waren". Auch habe er ihm vorgeworfen, die Strukturen in seinem Ressort nicht so angepasst zu haben, dass all der Wirbel um Milliarden-Abflüsse vermieden werden konnte. 

    Braun präsentiert sich als Reformer in Wirecard-Endzeiten: "Ich habe frisches Blut für den Vertriebsvorstand für notwendig gehalten, um Wagenburgen aufzubrechen." Er wollte demnach Marsalek absägen, auch wenn er vor Gericht immer wieder anerkennend beteuert, wie "hochintelligent" sein langjähriger Weggefährte gewesen sei. "Warum wollten sie ihn dann loswerden?", fragt Födisch naiv. Der Angeklagte meint nur: "Ich würde nicht sagen, dass ich ihn loswerden wollte." War die Entkumpelung doch nicht ganz so radikal? Diese Frage kann wie viele andere nur Marsalek beantworten.

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