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Windenergie: Stehen bald mehr Windräder in Bayern?

Windenergie

Stehen bald mehr Windräder in Bayern?

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    Der Zöschinger Windpark ragt hinter der Kirche St. Martin empor.
    Der Zöschinger Windpark ragt hinter der Kirche St. Martin empor. Foto: Karl Aumiller (Archivbild)

    In Zöschingen ist die Windkraftwelt in Ordnung. Hinter der Kirche St. Martin mit Turm und dunklem Spitzdach ragen acht Windräder aus dem Wald empor. Davor einige Wohnhäuser der kleinen Gemeinde im Landkreis Dillingen. Die Windenergieanlagen bilden einen der größten Windparks in Schwaben und sind zudem in der Hand von rund 700 Bürgerinnen und Bürgern aus der Region. Denn Zöschingen hat einen sogenannten Bürgerwindpark.Seit neun Jahren produzieren die Windräder jährlich genug Strom, um zwischen 7000 und 9000 Drei-Personen-Haushalte zu versorgen. So geht Energiewende – könnte man meinen. Doch Bayern hat ein Windradproblem.

    Das Urteil von Wirtschafts- und Energieexpertin Claudia Kemfert, ob Bayern genug beim Thema Windkraft macht, fällt jedenfalls vernichtend aus: "Bisher überhaupt gar nicht." Es gebe kaum Anträge auf neue Windanlagen, der Ausbau sei nahezu zum Erliegen gekommen. Ein Blick in die Zahlen der Deutschen Windguard GmbH verdeutlicht das: Mit 1129 Windrädern liegt Bayern bundesweit auf dem achten Platz – mehr als deutlich hinter Spitzenreiter Niedersachsen und den 6119 Windrädern dort. Betrachtet man die Windraddichte, sieht es noch schlechter aus für den Freistaat: 0,02 Windkraftanlagen pro Quadratkilometer kann Bayern aufweisen. Nach Berlin bedeutet das zusammen mit Baden-Württemberg den vorletzten Platz. In dieser Statistik führt Bremen mit 0,21 Windrädern pro Quadratkilometer. Woran liegt das?

    Bayern habe eben andere Stärken als Wind, sagt CSU-Generalsekretär Stephan Mayer gegenüber unserer Redaktion: "Sonne, Wasserkraft, Biomasse, Geothermie: Bayern ist überall an der Spitze. Und wir wollen hier auch weiter vorankommen." Deshalb dürfe der Süden von der Ampel nicht benachteiligt und ausgebremst werden. "Deswegen müssen die angekündigten Lockerungen des Naturschutzes auch bei der Wasserkraft und nicht nur beim Wind greifen."

    Energieexpertin: Bayern hat eine ausreichende Windausbeute

    Gibt es in Bayern also schlicht weniger Wind? So jedenfalls begründen Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Generalsekretär Mayer den schleppenden Windenergieausbau in Bayern. Mayer etwa sagt: "Dass Bayern kein Windland ist, liegt (...) an der Topografie. Deshalb tun sich auch andere Länder wie Baden-Württemberg beim Wind schwer." Expertin Kemfert hält dagegen: "Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass auch in Bayern eine ausreichende Windausbeute vorhanden ist, die unbedingt genutzt werden muss, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten." Ähnlich sieht das Windparkchef Jürgen Ganz, dessen Firma Vensol die Windräder in Zöschingen betreut. "Das Argument zählt überhaupt nicht. Es wäre vielleicht vor 15 oder 20 Jahren haltbar gewesen." Mittlerweile habe aber die Technik stark aufgeholt. Mit den Anlagen der heutigen Generation könne man überall in Bayern erfolgreich sein.

    Dass in Bayern etwas passieren muss, scheint auch der Staatsregierung klar zu sein. Am Mittwoch signalisierte CSU-Chef Söder auf einem Energiekonvent in München, dass Bayern mehr für den Ausbau der Windkraft tun wolle. Das Ziel seien "500 XXL-Windräder", gerne auch mehr. Allerdings soll die umstrittene 10H-Abstandsregel – mit Ausnahmen – weiterhin gelten. Warum eigentlich? "Die 10H-Regel hat die Windkraftdebatte in Bayern befriedet und sichert Bürgerbeteiligung", erklärt CSU-Generalsekretär Mayer.

    Doch wo sollen diese 500 plus x Windräder in Bayern dann stehen? Für Windparkchef Ganz, der Söders Aussagen als "populistisch" kritisiert, sind das "leere Lippenbekenntnisse" der Politik. "Aus planerischer Sicht ist das unmöglich." Neue Anlagen hätten mittlerweile eine Gesamthöhe von 240 Metern. Mit der bayerischen Abstandsregel würde das bedeuten, dass das nächste Wohngebiet mindestens 2,4 Kilometer entfernt sein muss. "Bayern ist dicht besiedelt, da ergeben sich keine Flächen für 500 oder mehr Windräder." Wenn ein signifikanter Ausbau der Windenergie in Bayern gelingen soll, muss die 10H-Regel fallen, sagt Ganz. Ansonsten sehe er für die Windkraft in Bayern schwarz.

    Wichtigste Maßnahme: "Sofortige Abschaffung der 10H-Abstandsregel"

    Das sieht auch Energieökonomin Kemfert so: Zwei Gutachten hätten gezeigt, dass pauschale Abstandsregeln schädlich sind und nicht helfen. Die Belange von Naturschutz sowie Anwohnerinnen und Anwohnern seien dennoch gut erreichbar. Die wichtigste Maßnahme in Bayern wäre also "eine sofortige Abschaffung der 10H-Abstandsregel", sagt Kemfert gegenüber unserer Redaktion. Außerdem gebe es zwei weitere Hebel, mit denen Bayern den Ausbau der Windenergie vorantreiben könnte: "Zwei Prozent der Fläche sollten für Windenergie ausgewiesen werden. Zudem wäre es wichtig, Kommunen, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern eine attraktive finanzielle Beteiligung zu ermöglichen", erklärt die Expertin.

    Eine Windkraftanlage im Windpark bei Zöschingen.
    Eine Windkraftanlage im Windpark bei Zöschingen. Foto: Vensol GmbH

    Bayern nutzt bisher nur einen Bruchteil seines Windpotenzials. Das liegt bei knapp 90 Gigawatt, zeigen Studien. Ende 2020 betrug im Freistaat die Leistung der Anlagen aber nur 2,5 Gigawatt. Zumindest ein Ausbau auf 32 Gigawatt sei nötig, um die Versorgungssicherheit in Zukunft zu decken. Konkret bedeutet das einen Zubau von 700 Windrädern pro Jahr in den kommenden zehn Jahren.

    Auch fehlende Digitalisierung bremst die Windenergie in Bayern aus

    Zurück in Zöschingen. Wenn Jürgen Ganz über seinen Windradalltag spricht, wird deutlich, dass weitere Probleme den Ausbau der Windenergie in Bayern ausbremsen – neben den Bedenken der Luftfahrt und des Naturschutzes sei das vor allem das komplizierte und langwierige Antragsverfahren. Von der Projektidee bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich das Windrad dreht, vergehen häufig zwischen fünf und sieben Jahre. Vor allem die fehlende Digitalisierung verlangsame den Prozess. "Beim Genehmigungsverfahren passiert alles in Papierform. Wir verschicken Tonnen an Ordnern, nichts ist digital – aber das ist ein bundesweites Problem", sagt Ganz.

    Seine Erfahrungen mit Windkraftanlagen hätten gezeigt: Angst und Widerstände gibt es vor einem solchen Projekt viele. Wenn die Windräder aber erst einmal stehen, gehen die Bedenken in der Bevölkerung zurück. "Wir bieten regelmäßig Führungen im Windpark an und wollen die Menschen mitnehmen." Probleme mit Bürgerinnen und Bürgern nach dem Start von Windenergieanlagen hätte Ganz' Team bislang nicht gehabt. Die acht Windräder gehören eben schon fast so zu Zöschingen wie die rund 700 Einwohnerinnen und Einwohner und der kleine Turm mit dem dunklen Spitzdach von St. Martin.

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