In Deutschland werden Debatten geführt, die vor dem Krieg in der Ukraine undenkbar schienen. Lieber die Wohnung weniger stark heizen oder Industriezweige herunterfahren? Ist es richtig, klimaschädliche Kohlekraftwerke weiterlaufen zu lassen, um weniger Gaskraftwerke zu nutzen? Wie angemessen ist warmes Duschen? Die Gefahr eines Gas-Lieferstopps schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Alltag der Menschen.
Denn trotz des russischen Angriffskrieges importieren Unternehmen weiterhin große Mengen Erdgas aus Russland. Die Bundesrepublik ist abhängig vom Gas, das durch Pipelines aus dem Osten geliefert wird. Die Importe aus Russland machen einen erheblichen Anteil an der in Deutschland verbrauchten Gasmenge aus – vor dem Krieg waren es etwa 55 Prozent – und nicht überall lässt sich Erdgas einfach durch andere Energieträger ersetzen. Die Industrie braucht es für die Produktion, an der wiederum viele Arbeitsplätze hängen. Und laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) heizt etwa die Hälfte aller Haushalte in Deutschland mit Gas.
Im Vergleich zum Vorjahr ist der Gasverbrauch in diesem Jahr bisher etwa 14 Prozent niedriger. Das hat auch mit dem milden Frühjahr zu tun, doch der BDEW sieht auch bereinigt um Temperatureffekte noch eine Einsparung von 6,4 Prozent. "Es ist davon auszugehen, dass der Gasverbrauch vor allem aufgrund der steigenden Gaspreise zurückgeht", wird Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, in einer Mitteilung des Verbandes zitiert. Und auch die Appelle zum Energiesparen würden eine Rolle spielen.
Noch liefert Russland. Doch die Zeiten, in denen die Bundesregierung russische Staatsunternehmen als zuverlässigen Partner in der Energiewirtschaft bezeichnete, sind vorbei. Tatsächlich ist die Liefermenge bereits massiv zurückgegangen. Das zeigen die Daten der Bundesnetzagentur, die überwacht, wie viel Erdgas an den Import-Knotenpunkte nach Deutschland fließt.
Durch die Gas-Pipeline Nord Stream 1 fließt nur noch etwa 40 Prozent der Maximalkapazität
Der wichtigste Import-Punkt für russisches Erdgas ist Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, beziehungsweise die nahe Gemeinde Lubmin. Dort endet die Pipeline Nord Stream 1, durch die der größte Teil des russischen Gases nach Deutschland kommt. Aktuell sind das noch etwa 700 Gigawattstunden pro Tag.
Ein Blick auf den Verlauf zeigt: Das sind nur noch rund 40 Prozent der Menge, die hier im Mai ankamen. Mitte Juni brach die Liefermenge stark ein. Der russische Staatskonzern Gazprom begründet das mit angeblich verzögerten Reparaturarbeiten – der Bundeswirtschaftsminister hält das für glatt gelogen. "Die Begründung der russischen Seite ist schlicht vorgeschoben", sagte Robert Habeck. Putin habe die Liefermengen ganz bewusst reduziert, um Deutschland zu schaden. Klar ist: Mit den verringerten Liefermengen wird es Deutschland voraussichtlich nicht gelingen, seine Gasspeicher wie geplant bis zum Winteranfang zu mindestens 90 Prozent zu füllen.
Auffällig ist auch ein Einbruch der Liefermenge Mitte März. Die Bundesnetzagentur erklärt diesen mit dem Marktverhalten der Gashändler. Da es im März einige Zeit ungewöhnlich warm war, wurde weniger geheizt. "Die Gaslieferanten reagieren darauf in der Regel, indem sie weniger Gasmengen anmelden, entsprechend können die Gasflüsse in der Folge sinken", heißt es von der Bundesnetzagentur. Die Frühwarnstufe des Notfallplanes Gas wurde erst Ende März ausgerufen.
Russland hat die Gas-Liefermenge an Deutschland gedrosselt
Neben Greifswald ist Waidhaus in der Oberpfalz ein anderer wichtiger Import-Punkt. Hier endet die Transgas-Pipeline, die russisches Gas führt, das durch die Ukraine geleitet wird. Zuletzt kamen in Waidhaus täglich etwa 200 Gigawattstunden Gas an, vor einigen Monaten war es noch die dreifache Menge.
Ein dritter Import-Punkt wäre Mallnow in Brandenburg. Dort kommt eigentlich Gas aus der Jamal-Pipeline an, die russisches Gas durch Belarus und Polen führt. Die Importmenge hier liegt aber seit Monaten fast immer bei null. Die Bundesnetzagentur erklärt: "Seit Jahresanfang verläuft der Gasfluss in Mallnow überwiegend von Deutschland nach Polen." Es wird also eher Gas exportiert als importiert. Im Mai hat Russland dann auch seine Gaslieferungen an Polen eingestellt.
Keine Erdgas-Lieferungen mehr durch Nord Stream 1: Was passiert am 11. Juli?
Russland liefert also nur noch wenig Gas an Deutschland – und es dürfte sogar noch weniger werden. Am 11. Juli soll die jährliche Inspektion und Wartung der Nord-Stream-1-Pipeline beginnen. Diese findet immer im Sommer statt, da in dieser Zeit weniger Gas benötigt wird. Während der Wartung kann kein Gas transportiert werden. Laut Bundesnetzagentur dauert die Inspektion in der Regel zehn Tage. Die Dauer könne aber schwanken, "je nach Planung und Wartungsaufwand". Die große Sorge ist, dass Russland nach der Wartung den Gashahn nicht wieder aufdreht.