Die deutsche Wirtschaft stagniert seit Jahren. Auch viele Unternehmen in Bayern warten dringend auf ein Signal des Aufbruchs. Mit der Reform der Schuldenbremse und der Genehmigung neuer Schulden in historischer Größenordnung hat der alte Bundestag Anfang der Woche zumindest ein historisches Zeichen gesetzt. Was die Billion des Friedrich Merz für die Wirtschaft bringen könnte und welche konkreten Schritte nun folgen müssen, haben Expertinnen und Experten beim ersten Schwäbischen Wirtschaftsgipfel unserer Redaktion diskutiert. Das sind fünf Ideen für den Aufschwung in der Region:
Sondervermögen intelligent ausgeben
Es sind gewaltige Zahlen, mit denen im Bundestag jüngst hantiert wurde: Bis zu 500 Milliarden neue Schulden für die Infrastruktur darf die kommende Bundesregierung aufnehmen. 100 Milliarden davon sollen für den Klimaschutz fließen. Zusätzlich sollen Ausgaben für die Verteidigung, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, ebenfalls von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Doch Geld allein werde nicht reichen, um das Land wieder auf Vordermann zu bringen, sagt Monika Schnitzer, die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen: „Wir müssen das Geld jetzt sehr weise nutzen.“

Konkret setzt das für Schnitzer im Bereich Verteidigung etwa eine Reform im Beschaffungswesen der Bundeswehr voraus. Mehr Europa und mehr Wettbewerb könnten helfen, das viele Geld so auszugeben, dass es den größtmöglichen Nutzen erzielt. Wie der Krieg in der Ukraine zeige, seien neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz auch in der Wehrtechnik auf dem Vormarsch. Die USA haben es vorgemacht, sagt Schnitzer. Mit einer Innovationsagentur für die Verteidigung bringt Washington neue Technologien in die Branche. Das strahle dann wiederum positiv auf die ganze Wirtschaft aus. „Wir haben uns davor immer gescheut. Jetzt wäre der Zeitpunkt, um das umzusetzen“, findet Schnitzer.
Bürokratie abbauen
Bis die gewaltigen Summen aus den neuen Sondervermögen auch für die Konjunktur wirksam werden, dürfte es noch etwas dauern. „Erste Wachstumseffekte dürften wir 2026 sehen. Aber in der Summe kann das durchaus bis zu zwei Prozent Wachstum bringen“, erklärt die Wirtschaftsforscherin. Schneller rechnet sie bereits mit einer Art Zuversichtseffekt: Investitionen könnten allein deswegen getätigt werden, weil Unternehmen nun mit einer gewissen Planungssicherheit für die kommenden Jahre rechnen.
Doch damit die Mittel für Infrastruktur und Klimaschutz tatsächlich abfließen können, muss der Staat dringend seine Hausaufgaben erledigen. Schnitzer erläutert es am Beispiel des stagnierenden Wohnungsbaus: Flexiblere und harmonisierte Bauvorschriften für ganz Deutschland könnten dazu beitragen, die Baukosten zu senken, der Abbau von Regulierung insbesondere die Nachverdichtung im Innenbereich fördern.

Mehr Investitionen in Bildung
Ohne gut ausgebildete Arbeitskräfte kann die Wirtschaft nicht erfolgreich sein. Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) für Schwaben, warnt aber vor einer zu engen Fokussierung auf die akademische Bildung: „Viel zu lange haben alle nur auf die Hochschulen geschaut und dabei andere Bereiche vernachlässigt. In die Schullandschaft ist viel zu wenig investiert worden.“ Vor allem die Mittelschulen brauchten demnach deutlich mehr Geld. „Die Lehrerinnen und Lehrer dort leisten sehr viel. Aber die Mittelschulen sind das Steifkind der Bildungspolitik“, kritisiert Wagner.
Auch Monika Schnitzer bekräftigt die Bedeutung der Bildungsausgaben für die Zukunftsfähigkeit des Landes: „Wir geben weniger für Bildung aus als der OECD-Durchschnitt, unsere Kinder schneiden schlechter ab in der Pisa-Studie. Dass hier Handlungsbedarf besteht, sollte auf der Hand liegen.“ Bereits in ihrem jüngsten Jahresgutachten vom November hatten die Wirtschaftsweisen vorgeschlagen, gesetzlich festgelegte Mindestausgaben für die Bildung auf Ebene der Länder festzuschreiben.
Die Handwerkskammer zieht den Kreis noch größer: „Eine andere Baustelle sind die zwei bis drei Millionen Jugendlichen im Land, die gar keinen Abschluss haben und auch keine Ausbildung. Für sie tun wir zu wenig“, sagt Wagner. Das Land brauche Fachkräftezuwanderung, aber es gelte auch, die Potenziale zu heben, die schon vorhanden sind.

Keine Klientelpolitik
Marc Lucassen, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben, fordert eine wirkliche Zeitenwende, nicht nur in der Verteidigungspolitik: „Das heißt, dass wir alle damit leben müssen, den Gürtel enger zu schnallen.“ Wenn die Parteien, die wohl künftig die neue Regierung stellen, einerseits so viele neue Schulden machten und andererseits überlegten, etwa die Subventionen für Agrardiesel wieder einzuführen oder den Mindestlohn anzuheben, dann sei das eine Klientelpolitik, die nicht in die Zeit passe. „Warum bauen wir zum Beispiel für die Stromtrasse von Norden nach Süden Erdkabel, die um vieles teurer sind und weniger lange halten als Freileitungen?“, nennt Lucassen ein weiteres Beispiel.
Monika Schnitzer lobt die Sturheit der Grünen in den Verhandlungen mit der Union: „Wir können den Grünen sehr dankbar sein, dass sie das Wort ,zusätzlich‘ hineinverhandelt haben“, sagt sie. Ohne diese Ergänzung wäre eine Spielwiese für die Parteien eröffnet worden, alles zu verwirklichen, was in den Wahlprogrammen stand. „Da waren bei der SPD 60 Milliarden, bei der Union 90 Milliarden Euro an Versprechen drin, die irgendwo herkommen müssen“, so Schnitzer. Dies könne nun nicht mehr über das Sondervermögen finanziert werden.

Strukturreformen angehen
Die Babyboomer gehen in Rente, das setzt die Sozialkassen unter Stress. „Man freut sich, wenn die Menschen bei so guter Gesundheit sind, wenn sie in Rente gehen. Aber wir können es uns nicht leisten, dass die Menschen mit so hohen Bezügen so früh aufhören zu arbeiten“, erklärt Schnitzer. Als das heutige Rentensystem eingeführt worden ist, gab es sechs Beitragszahler pro Rentner, heute sind es noch zwei. Dringend notwendige Strukturreformen bei den Sozialversicherungen und der Rente dürften daher nicht länger auf die lange Bank geschoben werden. Schnitzers Vorschläge lauten: länger arbeiten, Rentenanstiege begrenzen, und eine Aktienrente als zusätzliche Säule einführen; sollte das immer noch nicht reichen, kann sie sich eine Umverteilung unter den Rentenbeziehern vorstellen. Wer mehr eingezahlt hat, bekäme dann im Verhältnis geringere Bezüge als Rentner, die weniger Geld verdient haben.
Was ist wirklich neu an diesen Ideen? Nichts. Das bedeutet: Deutschland hat kein Ideenproblem (einige wissen schon was zu tun wäre) sondern eher ein Realisierungs- bzw. Umsetzungsproblem. Das wiederum bedeutet: es sitzen die Falschen auf den Entscheidungssesseln.
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