Die EU bereitet eine Beteiligung an der US-Initiative "Prosperity Guardian" zur Sicherung der Handelsschifffahrt im Roten Meer vor. Das wird nötig, weil von Iran unterstützte Huthi-Rebellen nach Beginn des Gaza-Kriegs mehrfach Schiffe im Roten Meer attackiert haben, um sie an einer Durchfahrt in Richtung Israel zu hindern. Ziel der Huthis ist es, ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen zu erzwingen. Die Frage ist, was bedeuten die Angriffe kurz- und mittelfristig für den Welthandel und die hiesige Wirtschaft?
Vincent Stamer, Handelsexperte beim Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) wertet für seine Forschung die weltweiten Positionsdaten von Containerschiffen in Echtzeit aus und verantwortet den sogenannten "Kiel Trade Indicator". Er erläutert im Gespräch mit unserer Redaktion, warum das Rote Meer und der Suezkanal für den Welthandel und den deutschen Außenhandel eine zentrale Handelsroute sind: "Etwa 12 Prozent passieren die Strecke. Auch für die Außenwirtschaft Deutschlands ist dieser Weg enorm wichtig, da etwa neun Prozent der deutschen Im- und Exporte diese Meerenge passieren." Auf der Route zwischen Ostasien und Europa verkehrten die Containerschiffe im Regelfall fast ausschließlich durch das Rote Meer. Stamer betont: "Dass Reedereien den Umweg von mehr als sechstausend Kilometern um Afrika in Kauf nehmen, zeugt von der außerordentlichen Gefahrenlage im Roten Meer."
Schiffe fahren nun um das Kap der Guten Hoffnung
Die Folgen beschreibt der Forscher so: Zunächst werden die Frachtschiffe umgeleitet und sind rund zehn Tage länger unterwegs. Langfristig benötigen die Reedereien daher mehr Schiffskapazität, um die Handelsrouten zwischen Asien und Europa im gleichen Takt bedienen zu können. "Die gute Nachricht ist, dass sie diese Kapazitäten nach den Erfahrungen der Vergangenheit aufgebaut haben." Sollte das Rote Meer dauerhaft unbefahrbar sein, würden sich Reedereien darauf einstellen können. Es könnte sogar dazu führen, dass ansonsten ungenutzte Kapazitäten produktiv eingesetzt werden können.
Es kann also sein, dass vereinzelte Waren aus Asien mit einer Verspätung von bis zu zwei Wochen in Deutschland ankommen. Mit Lieferengpässen wie vor zwei Jahren rechnet Stamer aber nicht: "Die Lieferketten haben sich in der Zwischenzeit normalisiert und keine Lockdowns stören die Produktion. Mit Blick auf die allerletzten Weihnachtseinkäufe am Samstag heißt das: "Das, was wir jetzt vor Weihnachten noch einkaufen, ist bereits im Lager oder im Geschäft. Von den aktuellen Verzögerungen dürften die Konsumenten hierzulande also erst mal nichts mitbekommen."
Kommen höhere Kosten auf die Verbraucher zu?
Und die Kosten? Laut Stamer dürften die Frachtraten wegen der längeren Fahrzeit "leicht ansteigen". Verbraucher müssten deshalb aber keine großen Preissprünge befürchten. Denn: "Die Transportkosten von Asien nach Europa stellen maximal zwei Prozent des Warenwertes dar – und das auch nur für die günstigsten Artikel." Bei teuren Waren wie etwa Elektronikartikeln fielen sie mit 0,1 bis 0,2 Prozent im Grunde gar nicht ins Gewicht. "Ein kurzfristiger Transport – die sogenannte Spotrate – von Asien nach Europa kostete am Freitag rund 1500 US-Dollar. Das ist noch sehr weit entfernt von den Preisspitzen von vor zwei Jahren, als der Preis bei 14.500 US-Dollar lag."
Auch Samina Sultan, Expertin für globalen Handel am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, geht davon aus, dass die Angriffe nicht die gleichen Auswirkungen haben werden wie im Frühjahr 2021, als der Riesenfrachter „Ever Given“ im Suezkanal über Tage querstand und nichts mehr ging. Wenn sich allerdings, schränkt Sultan ein, die Angriffe ausweiten sollten, würde es schwieriger. Sie sorgt, dass auch Öl und Gas über das Rote Meer verschifft werden. „Deutschland ist nun mal sehr auf LNG angewiesen. Das kommt auch auf diesem Weg.“ (mit dpa)