Herbert Diess sitzt in kariertem Sakko, Jeanshose und weißem Hemd auf einem Balkon. Er lässt sich von einem Vertrauten zu seinem Abschied als VW-Chef befragen. Dem 63-Jährigen werden Bilder aus seiner am Ende gescheiterten Karriere in Wolfsburg gezeigt. Diess wirkt bestens gelaunt, ja lächelt ausdauernd. Er fängt in dem Filmchen, das im Karriere-Netzwerk LinkedIn zu sehen ist, einen ihm – warum auch immer – zugeworfenen Basketball.
Der Manager liebt soziale Medien. In dem Video gibt er sich betont gelassen, als ob ihn seine Abberufung nicht aus der Bahn wirft. Dabei muss ihn der Entzug des Vertrauens durch die Volkswagen-Großaktionäre Porsche und Piëch hart und unerwartet getroffen haben. Seine zur Schau gestellte Lässigkeit geht so weit, dass er eine spezielle Interpretation des Machtwechsels zu lancieren versucht, die in Beschäftigten-Kreisen Kopfschütteln hervorruft. Gönnerhaft sagt er über den neuen VW-Boss Oliver Blume: „Das ist wirklich mein Wunschnachfolger. Wir haben auch schon lange immer wieder diskutiert und gesagt, Oli, wenn ich fertig bin und du so weit bist, dann machen wir das.“
Dann fügt Diess an die Adresse des gebürtigen Braunschweigers Blume hinzu: „Der wird das sehr gut machen. Er kennt das Unternehmen, kommt aus der Region, hat jetzt bei Porsche einen sensationell guten Job gemacht.“ Hier endet das Filmchen. Dabei ist aus der Arbeitnehmerschaft eine ganz andere Deutung des abrupten Abgangs von Diess zu vernehmen. Ihm sei von Eigentümerseite schlicht der Stuhl vor die Türe gestellt worden, nachdem er schon zuvor die Belegschaft mit Planspielen, in Deutschland müssten bis zu 30.000 Arbeitsplätze abgebaut werden, gegen sich aufgebracht hat.
Dass auch den Piëchs und Porsches der mentale Keilriemen gerissen ist und sie den lange von ihnen gestützten Manager wegschickten, spielt in dem LinkedIn-Abschiedsinterview keine Rolle. Auch nicht, dass die VW-Besitzer wie der Betriebsrat Diess anlasten, von ihm angestoßene Themen wie die Entwicklung einer einheitlichen Software für den Konzern nicht entschieden genug vorangetrieben zu haben, was aus Sicht von Beobachtern in einem Chaos gemündet ist. Ein Volkswagen-Kenner, der namentlich nicht genannt werden will, sagt: „Diess hat keine Antennen, um seine eigenen Fehlleistungen zu erkennen und Kritik aufzunehmen.“ Insofern bleibe sich der einstige VW-Chef mit seiner Deutung, er habe „den Oli“ als VW-Boss eingefädelt, treu.
Wenn ein Manager wie Diess bei VW tief fällt
Und wie das so ist, wenn ein Manager tief fällt, wird in seinem Leben kräftig rumgestöbert. So rechnet die FAZ vor, der dem Konzern noch als Berater zur Seite stehende Mann mit Vertrag bis Herbst 2025 könne bis zum wirklichen Ende seiner VW-Zeit noch mit Zahlungen von bis 30 Millionen Euro rechnen. Just zu seinem Abschied wird Journalisten auch ein rätselhafter Account des sozialen Mediums Instagram mit zuletzt nur 947 Followern zugespielt. Auf einem Bild ist ein Mann mit Panama-Hut zu sehen, der kräftig in eine Birne beißt. Umso mehr der Betrachter das Foto vergrößert, wird klar: Die engen Augenschlitze und die markante Nase, ja das ganze Gesicht hat eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Diess.
Doch warum zeigt sich der Manager im Internet, wie er irgendwo im Norden Spaniens, unweit des Atlantiks Obst verzehrt? Weitere Bilder und kleine Texte schaffen Aufklärung: Demnach hat Diess dort auf einem von ihm erworbenen Landgut 1000 Rote-Williams-Birnbäume aus Südtirol anbauen lassen. Die Früchte seien fest, sehr aromatisch, groß, von schöner Farbe und hätten keine Schädlinge, lässt der Nebenerwerb-Obstbauer die Community wissen. Auch ein Hotel ist auf dem Areal entstanden. Das Wirtschaftsfachorgan Business Insider schreibt über den Instagram-Account, den das Online-Magazin klar Diess zuordnet: „Vom Auto-Bauer zum Birnen-Bauer“. Auf alle Fälle will er erst mal eine Auszeit nehmen, wobei unklar ist, ob es ihn zu den Birnen zieht, die wohl zu Schnaps verarbeitet werden sollen.
Während also der eine, Diess, den Wolfsburger VW-Kosmos verlässt, ist dort der andere, Blume, in raschem Tempo auf dem Konzern-Thron angekommen. Dabei würde der neue Chef niemals in monarchischen Kategorien denken. Seine Welt ist der Fußball. Das Ballspiel dient dem einstigen Stürmer, der später Libero spielte, wie er unserer Redaktion im Februar in einem Interview verriet, als Inspirationsquelle für seine Manager-Existenz.
Blume sieht sich als „Spieler-Trainer“ und mag keine „Selbstdarsteller“. Der Star sei für ihn die Mannschaft. Aus seiner Sicht stehen die Marken des Volkswagen-Konzerns wie VW, Audi, Porsche, Skoda oder Seat im Mittelpunkt. Der 54-Jährige sagt immer wieder, er möge Menschen und denke nicht an einen Personalabbau. Das sind neue Töne in der doch lange auf Hierarchie und die Prinzipien „Druck“ und „Angst“ aufgebauten Welt der VW-Konzernspitze. Immer wieder ist vom „freundlichen Herrn Blume“ die Rede. Mancher glaubt gar an eine Kultur-Revolution bei Volkswagen durch den Einzug von Mannschaftsgefühl und gesitteten Umgangsformen.
Der neue VW-Chef Blume ist ein Fußball-Fan
Haben frühere Konzern-Chefs wie Martin Winterkorn Untergebene schon mal in den Senkel gestellt oder wie Diess hin und wieder sarkastisch abprallen lassen, scheint Blume eher am unter Spielern beliebten Fußball-Trainer und Motivationskünstler Hansi Flick Maß zu nehmen. Dabei wäre es vermessen, den neuen VW-Zampano nur als nett einzuschätzen. Er sei, wie es in Stuttgart bei Porsche heißt, auch hartnäckig und fordernd, eben in das Umsetzen von Strategien verliebt. Blume gilt als großer Strukturierer von Herausforderungen. Dabei will der Manager neben dem VW-Top-Job weiter Porsche-Chef bleiben und den Sportwagenbauer Ende September bis Anfang Oktober an die Börse bringen, wenn nicht noch ein Orkan an den Finanzmärkten aufzieht.
Manch Insider in Wolfsburg sind die „neue Menschlichkeit und Harmonie“ bei Volkswagen etwas suspekt. „Herr Blume kann auch nicht zaubern“, sagt einer. Das sieht Ferdinand Dudenhöffer, der mit seinen 71 Jahren der erfahrenste deutsche Auto-Experte ist, genauso. Seines Erachtens kann der neue VW-Chef noch in diesem Winter, wenn Europa in die Rezession schlittert, in schweres Wetter kommen. Insofern versteht es Dudenhöffer nicht, dass der neue Volkswagen-Lenker so schnell versprochen hat, nicht die Axt ans Personal zu setzen. Das könnte der Manager, glaubt der Auto-Spezialist, schon 2023 bereuen, wenn die Konjunktur eingebrochen sei, die Nachfrage sinke und Fahrzeughersteller hohe Rabatte gewähren müssten. Für den Auto-Kundigen stellt die mit großer Wahrscheinlichkeit negative wirtschaftliche Entwicklung die größte Baustelle für Blume dar. Auf Platz zwei in der VW-Dudenhöffer-Skala rangiert das massive Software-Problem, eben die nach wie vor lahmende Entwicklung eines einheitlichen Betriebssystems für alle Konzern-Marken. Professor Stefan Bratzel sieht das sogar als Hauptproblem für VW. Die Bewährungsprobe für Blume hat es in sich. Diess kann sich alles aus der spanischen Birnen-Ferne betrachten und bestätigt fühlen, wenn sein Nachfolger doch Arbeitsplätze streichen muss.