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Volkswagen-Führung droht mit Werksschließungen und Personalabbau.

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Beben bei Volkswagen: Was passiert da eigentlich?

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    Thomas Schäfer, Markenvorstand bei VW Pkw, am Rande eines Managementtreffens nahe Wolfsburg am Montag.
    Thomas Schäfer, Markenvorstand bei VW Pkw, am Rande eines Managementtreffens nahe Wolfsburg am Montag. Foto: Moritz Frankenberg, dpa

    Professor Stefan Bratzel ist einer der führenden Automobil-Experten in Deutschland. Der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach neigt nicht zum Alarmismus. Doch die Krise der heimischen Fahrzeugbranche stimmt ihn zunehmend besorgt. Seine Tonlage hat sich seit Ende 2023 deutlich verändert. So sagt Bratzel am Dienstag im Gespräch mit unserer Redaktion, nachdem VW Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen für die Kernmarke in Aussicht gestellt hat: „Der Automobil-Standort Deutschland ist gefährdet. Wenn wir jetzt nicht handeln, war es das mit dem Auto-Standort Deutschland.“

    Aus den Worten des Spezialisten spricht zunehmend Dringlichkeit, auch was ein politisches Umsteuern betrifft. Beim Auto-Gipfel im November 2023 hat Bratzel Regierungsvertretern wie Kanzler Olaf Scholz die Probleme des Wirtschaftszweigs erläutert. Dabei machte er deutlich, wie weit Deutschland von dem ehrgeizigen Ziel entfernt ist, dass bis 2030 rund 15 Millionen Elektroautos auf den Straßen unterwegs sind. Der Branchenkenner geht davon aus, es würden höchstens acht Millionen. Und er rechnet der Bundesregierung vor, mit welch hohem Tempo China in der Elektromobilität unterwegs ist und Volumen-Hersteller wie VW damit kalt erwischt. 

    Das hört Kanzler Scholz nicht gerne

    Das sind unangenehme Anmerkungen, die Scholz & Co. nicht gerne hören. Lieber träumen Ampel-Koalitionäre vom „Deutschland-Tempo“, während Bratzel „China-Speed“ dagegenhält. Für ihn sind die nächsten zwei bis drei Jahre entscheidend, wie es mit dem Industrie- und Auto-Standort Deutschland weitergeht. Noch sei es nicht zu spät, merkt er an. Der Zustand der Marke VW ist für ihn ein Spiegelbild Deutschlands. Denn Volkswagen müsse wie das Land die Lähmung überwinden und sich von den Fesseln befreien, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Damit reagiert Bratzel auf den „Weckruf aus Wolfsburg“. Der Donnerschlag hallt weiter kräftig nach. Denn VW-Marken-Chef Thomas Schäfer hat ein Tabu in der Welt des Fahrzeug-Riesen gebrochen, in dem er die seit 1994 fortgeschriebene Beschäftigungssicherung aufkündigte. Die rund 120.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Volkswagen AG hätten demnach keinen Schutz mehr vor Kündigungen.

    Es bleibt nicht bei diesem Versuch der Arbeitgeberseite. Was unter den Angestellten für besondere Verunsicherung sorgt, ist Schäfers Aussage, Werkschließungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten könnten ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden. So ist der Manager überzeugt: „Die Lage ist äußerst angespannt und nicht durch einfache Sparmaßnahmen zu bewältigen.“  Diese Sätze gleichen einem VW-Hammer, hat die Marke VW doch in Deutschland noch nie Standorte geschlossen.

    Ein solcher Schritt käme einem weiteren Tabu-Bruch gleich. Entsprechend harsch reagiert die VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo. Sie stellt klar: „Mit mir wird es keine VW-Standortschließungen geben!“ Das Ausrufezeichen ihres Satzes spricht für sich. In einer internen Zeitung des Betriebsrates, die unserer Redaktion vorliegt, kündigt Cavallo „erbitterten Widerstand der Arbeitnehmerseite an und wirft dem Vorstand Versagen vor“. Derweil steht auch bei VW eine Tarifrunde an. Nach dem Willen der Gewerkschaft IG Metall sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sieben Prozent mehr Lohn bekommen. Auto-Experte Bratzel schüttelt den Kopf: „Das passt überhaupt nicht in die jetzige Situation bei VW.“ 

    Bei VW prallen zwei Lager aufeinander

    Bei dem Autobauer prallen zwei Lager aufeinander: Einerseits will die Führung der Marke VW auf die rückläufige Nachfrage gerade nach E-Autos, die Unterauslastung von Werken und eine mickrige Rendite von zuletzt 2,3 Prozent mit einem kostensenkenden Befreiungsschlag reagieren. Andererseits macht der Betriebsrat früheren und aktuellen Managern schwere Vorwürfe. Cavallo hält Ex-Volkswagen-Chef Herbert Diess vor, Fahrzeuge mit Hybrid-Motor für eine Nische gehalten zu haben, die rasch überholt wäre: „Das Gegenteil ist jetzt der Fall – und wir stehen weitgehend blank da.“

    Nach Einschätzung der Betriebsrats-Vorsitzenden kommt hinzu, dass die ersten Elektro-Fahrzeuge „nicht saßen, ihre Kinderkrankheiten waren zahlreich und das Design, vor allem innen, war VW nicht würdig“. Deshalb habe das Unternehmen mühsam und teuer nachbessern müssen. Das sei auf Kosten der Gewinnkraft gegangen. Cavallo hält dem VW-Management ebenfalls vor, es fehlten nach wie vor günstige Elektro-Modelle. So sei eine finanzielle Durststrecke entstanden, die länger anhalten werde.

    Audi-Betriebsrat wartet auf innovative Vorschläge des Vorstands

    Und wie wirkt sich der Konflikt bei Volkswagen auf die von weiteren Einsparmaßnahmen bisher nicht betroffene Ingolstädter Tochter Audi aus? Jörg Schlagbauer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Audi AG, lehnt die „konfrontative Art“ des VW-Markenvorstands ab und sagt gegenüber unserer Redaktion: „Unsere Solidarität und Unterstützung gilt den betroffenen Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen.“ Aktuell gebe es auch bei Audi Diskussionen, was die Zukunftsfähigkeit des Autobauers betrifft. Schlagbauer fordert vom Vorstand, dass er „seine Hausaufgaben macht und nicht einfach versucht, Probleme durch einen Angriff auf die Standorte, die Beschäftigten und die Tarifverträge zu lösen“. Der Betriebsratsvorsitzende wartet „auf die innovativen Vorschläge des Vorstands“. 

    Dudenhöffer sieht VW als Gefangenen

    Bei der Marke Volkswagen scheint ein Kompromiss zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in weite Ferne gerückt zu sein. Dass die Fronten derart verhärtet sind, wundert Professor Ferdinand Dudenhöffer, der Deutschlands bekanntester Auto-Experte ist, nicht. Nach seinem Befund ist das VW-Problem strukturell bedingt und damit chronisch. Dadurch fahre der Konzern verlässlich von einer Krise in die andere.

    Für den Beobachter des Wirtschaftszweigs ist Volkswagen „eher ein Staatsbetrieb als ein normales Unternehmen“. Dudenhöffer spielt darauf an, dass Reformen gegen die Arbeitnehmerseite und die bei dem Konzern mächtige IG Metall schwer durchsetzbar sind. Wenn die Gewerkschaft und das von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil regierte Niedersachsen sich einigen, können sie Vorstöße der Arbeitgeberseite blockieren. Das Bundesland hält schließlich 20 Prozent der Stimmrechte an VW. Das ist durch das VW-Gesetz abgesichert.

    Die IG Metall erläutertet die Konsequenzen aus der Regelung: Niedersachsen sei mit den Arbeitnehmer-Vertretern im Aufsichtsrat in der Lage, Arbeitsplätze und Standorte zu schützen. Wenn Weil und die IG Metall auf stur schalten, können sie VW-Markenvorstand Schäfer und Konzern-Lenker Oliver Blume ins Leere laufen lassen. Für Dudenhöffer ist das Unternehmen deshalb ein Gefangener. Er schlägt einen Befreiungsschlag vor: Demnach müsste sich Niedersachsen von den VW-Anteilen trennen. Dann wäre das Unternehmen eine normale Aktiengesellschaft.

    Professor Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, rät zur Vorsicht: „Anker-Aktionäre wie Niedersachsen planen langfristig und schützen Aktiengesellschaften vor feindlichen Übernahmen.“ So sichert die Familie Quandt als Großaktionär BMW ab, während Mercedes leidvoll ohne einen deutschen Beschützer auskommen muss. 

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    1 Kommentar
    Wolfgang Leonhard

    "Das sind unangenehme Anmerkungen, die Scholz & Co. nicht gerne hören. Lieber träumen Ampel-Koalitionäre vom „Deutschland-Tempo“, während Bratzel „China-Speed“ dagegenhält." Herr Stahl, da stellt sich doch die Frage, welchen Einfluss die Ampel-Regierung auf die Unternehmensentscheidungen von VW hatte und hat. Die Weichen, die zur heutigen Lage geführt haben, wurden vor Jahren gestellt. Es geht hier um Managementversagen, nicht um Politikversagen. Das sollte dem Leiter der Wirtschaftsredaktion doch eigentlich klar sein, oder?

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