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Verhärtete Fronten in den Verhandlungen der Metall- und Elektroindustrie

Tarif-Verhandlungen

Metall-Tarifparteien streiten um das richtige Augenmaß

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    Die IG Metall begründet ihre Lohnforderung unter anderem mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten der Arbeitnehmer.
    Die IG Metall begründet ihre Lohnforderung unter anderem mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten der Arbeitnehmer. Foto: Peter Kneffel/dpa

    Wenn Arbeitgeber und Gewerkschafter über das Ausmaß von Lohnerhöhungen diskutieren, dauert es nicht lange, bis Unternehmens-Vertreter einen maßvollen Abschluss fordern. Das erwarten die Firmen-Lenker von ihnen. So sagte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie, vor der ersten Verhandlungsrunde am Mittwoch in Bayern: „Wir brauchen einen Abschluss mit Augenmaß, der unseren Standort wieder zurück nach vorn bringt.“ Aber wo fängt Augenmaß an, wo hört es auf? Der Arbeitgeber-Repräsentant lässt keinen Zweifel daran, dass die Forderung der IG Metall nach 7,0 Prozent mehr Lohn und nach einer Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 170 Euro im Monat für ihn nichts mit Augenmaß zu tun hat. Schließlich handelt es sich nach seiner Lesart um eine der höchsten Tarif-Forderungen der jüngeren Vergangenheit. Brossardt unterfüttert seine Meinung mit Argumenten: „Ausgehend vom hohen Entgeltniveau, einem realen Lohnplus von 13 Prozent in den letzten 15 Jahren und einem Rekordabschluss in der letzten Tarifrunde ist das unverständlich.“ 

    Die Acht lacht: 2022 forderte die IG Metall acht Prozent mehr Gehalt

    Bei den Lohnverhandlungen im Jahr 2022 hatte die IG Metall unter dem Reim „Die Acht lacht“ ein Gehalts-Plus von 8,0 Prozent verlangt. Das Ergebnis konnte sich aus Sicht der Gewerkschaft sehen lassen, erhielten die Beschäftigten der wichtigsten deutschen Branche, zu der neben dem Maschinenbau auch die inzwischen kriselnde Autoindustrie gehört, insgesamt einen satten Lohnzuwachs: Nach einem Plus von 5,2 Prozent ab Juni 2023 kamen weitere 3,3 Prozent von Mai 2024 an hinzu. Zusätzlich gelangten die Mitarbeiter des Wirtschaftszweigs in den Genuss von 3000 Euro Inflationsprämie in zwei Stufen. Das sieht der bayerische Arbeitgeber-Vertreter nicht als das Maß aller Metall-Dinge an. So warnte Brossardt die Gewerkschafts-Verantwortlichen: „Transformation, Konjunkturschwäche und Standortprobleme belasten die Unternehmen und lassen die De-Industrialisierung weiter fortschreiten.“ Die konjunkturelle Lage sei ernüchternd, denn die Produktion sinke seit drei Quartalen, die Kapazitätsauslastung liege, abgesehen vom Corona-Einbruch, so niedrig wie seit 14 Jahren nicht mehr und die Auftragseingänge befänden sich im ersten Halbjahr 2024 rund fünf Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. 

    Natürlich gehört es zum Handwerkszeug eines professionellen Arbeitgeber-Mannes, vor Tarifrunden die wirtschaftliche Lage nicht allzu rosig zu zeichnen, sondern Risiken hervorzuheben. So stellte Lars Kroemer, Chef-Volkswirt des bundesweiten Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, klar: „Während die Welt wächst, verharrt Deutschland in der Stagnation. Die Metall- und Elektroindustrie bleibt in der Rezession.“ Das sind schlechte Nachrichten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der mit fast vier Millionen Beschäftigten größten deutschen Industriebranche. Aus Sicht Kroemers bleibt die Lage angespannt, drohe sich doch die Rezession im zweiten Halbjahr fortzusetzen, was immer mehr Betriebe zu Personalmaßnahmen trotz gleichzeitiger Fachkräfteengpässe zwinge. In dem Wirtschaftszweig sind innerhalb eines Jahres mehr als 10.000 Arbeitsplätze weggefallen. Und es könnten viel mehr werden. So droht die Volkswagen-Führung mit der Schließung von Standorten und einem Stellenabbau. Teile der heimischen Fahrzeugindustrie stecken in der Krise. So hat der Autozulieferer ZF in Aussicht gestellt, bis zu 14.000 von etwa 54.000 Arbeitsplätzen zu streichen. 

    Die Einschläge kommen näher für die Metallindustrie

    Die Einschläge kommen näher. Langsam wirkt sich die Wirtschafts-Krise auf den Arbeitsmarkt aus. Für die IG Metall sind das schwere Zeiten. Wie lässt sich die Forderung nach sieben Prozent mehr Lohn dennoch begründen? Der bayerische Chef der Gewerkschaft, Horst Ott, sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wir haben Jahre mit extremen Preissteigerungen hinter uns, die immer noch wirken. Die Menschen haben nach wie vor Probleme, ihre Lebenshaltungskosten zu tragen.“ Deshalb seien sie als Verbraucher auch zurückhaltend. So forderte der Gewerkschafter: „Wir brauchen jetzt steigende Löhne, um die Kaufkraft und damit die Konjunktur anzukurbeln.“

    Die Inflation ist zwar erstmals seit gut drei Jahren im August wieder unter 2,0 Prozent gesunken und lag bei verträglichen 1,9 Prozent. Gewerkschafter wie Ott verweisen aber auf das nach wie vor hohe Preis-Niveau. So bekamen die Arbeitgeber-Abgesandten zum Auftakt der ersten Verhandlungsrunde in München einen von Mitgliedern der IG-Metall-Jugend mit Lebensmitteln wie Pasta und Tomatensoße als Geschenk bestückten Einkaufskorb überreicht. Die darin enthaltenen Waren hätten einst noch 38 Euro gekostet, jetzt seien es 60 Euro. Auch deswegen hält Ott den Wunsch nach sieben Prozent mehr Lohn und die deutliche Steigerung der Ausbildungsvergütungen für berechtigt: „Unsere Forderung ist maßvoll und angemessen.“ Die unterschiedliche wirtschaftliche Lage der Unternehmen werde dabei berücksichtigt. 

    IG Metall sieht Lage positiver

    Bayerns IG-Metall-Chef ist sich sicher: „Die meisten Unternehmen machen weiterhin gute Gewinne, die Umsätze in der Metall- und Elektroindustrie liegen insgesamt höher als vor der Corona-Krise.“ Für ihn ist die wirtschaftliche Lage bei Weitem nicht so schlecht, „wie die Arbeitgeber sie jetzt zum Beginn der Tarifrunde versuchen darzustellen“. Die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner ist sogar überzeugt; „Mit ihren Forderungen beweist die Gewerkschaft Augenmaß.“ Da taucht wieder das Schlüsselwort vieler Tarifverhandlungen auf. Es wird deutlich: Augenmaß ist eine subjektive Sache. Was für einen Gewerkschafter maßvoll ist, kann für einen Arbeitgeber-Vertreter indiskutabel sein. Folglich stehen den Parteien langwierige und harte Gespräche nach dem ersten Abtasten in dieser Woche bevor, wo traditionell keine Annäherung gelingt. 

    Arbeitgeber und Gewerkschafter raufen sich indes verlässlich irgendwann zusammen, auch wenn es dazu auf Gewerkschaftsseite oftmals allerlei Formen des Protestes seitens der Mitglieder bedarf. Am Mittwoch legten bayerische Metallerinnen und Metaller schon mächtig los: Vor Verhandlungsbeginn fand in München nach Darstellung der Gewerkschaft „die größte Tarifaktion der IG Metall Bayern innerhalb der Friedenspflicht aller Zeiten statt“, beteiligten sich doch rund 5000 Beschäftigte an einem Demonstrationszug durch die Münchner Maxvorstadt und einer anschließenden Kundgebung direkt vor dem Haus der Bayerischen Wirtschaft. Die Friedenspflicht in der Branche endet mit dem 28. Oktober. Dann sind Warnstreiks, also vorübergehende Arbeitsniederlegungen möglich. Mit dem Instrument versucht die IG Metall in der Regel, Druck für einen Abschluss auszuüben. 

    Tarifverhandlungen: Im November beginnt wohl die heiße Phase

    Die Metall-Tarifrunde geht somit wahrscheinlich im November in die heiße Phase. Solche Verhandlungen sind immer kompliziert. In diesem Jahr dürften sie besonders zäh werden. Denn die Lohnrunde in der Metall- und Elektroindustrie wird überschattet von der Groß-Krise bei Volkswagen. Dort gibt es zwar eigene Lohnverhandlungen, an deren Ende ein Haustarif steht. Doch auch bei VW fordert die IG Metall 7,0 Prozent. Und weil viele Zulieferer des Auto-Riesen massive wirtschaftliche Probleme haben, dürfte der Wolfsburger Konflikt um mögliche Standort-Schließungen und den Abbau von Arbeitsplätzen die Metall-Tarifrunde überschatten. Für die Gewerkschafts-Führung könnte es dadurch schwerer werden, ihre Definition von Augenmaß durchzusetzen. 

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