Herr Haeusgen, in Deutschland macht sich Pessimismus breit. Der Sägenfabrikant Nikolas Stihl meint, schlechter als 2023 könne es kaum noch werden. Die Financial Times schreibt, die deutsche Wirtschaft gleiche einem Unfall in Zeitlupe. Was sagen Sie als bekennender Optimist dazu?
Karl Haeusgen: Ich glaube nicht, dass sich Deutschland in ein verzagtes Land entwickelt hat. Doch die politische Debatte wird emotional zu polarisiert geführt. Wir hauen uns gegenseitig dauernd in die Pfanne. Das trägt allseits zu einer emotionalen Verspannung bei. Und daraus resultiert derzeit eine unglaublich negative Wahrnehmung von Deutschland.
Um noch einmal Nikolas Stihl zu zitieren: Kann es noch schlechter als 2023 kommen?
Haeusgen: Wenn es in den nächsten zehn Jahren wirtschaftlich Deutschland nie schlechter als 2023 geht, bin ich erleichtert und klopfe auf Holz. Auch wenn sich die deutsche Wirtschaft zum Ende des vergangenen Jahres in einer milden Rezession befand, ging es Deutschland im Corona-Jahr 2020 wie auch zu Zeiten der Finanzmarktkrise im Jahr 2009 wirtschaftlich deutlich schlechter. Ich bleibe dabei: Die Wachstumsschwäche des vergangenen Jahres ist kein Grund für die aktuellen Kassandra-Rufe.
Sie bleiben also ein Optimist.
Haeusgen: Ich habe unlängst dem US-Fernsehsender CNN ein Interview gegeben. Die Reporterin war völlig perplex, von einem Deutschen einmal etwas Positives über sein Land zu hören. Das Beispiel zeigt für mich: Wir müssen in Deutschland aufhören, die zum Teil negative Stimmung in unserem Land auch noch zu verstärken.
Und was ist mit dem Unfall Deutschlands in Zeitlupe?
Haeusgen: In diesem Bild steckt ja die Prognose, dass Deutschland langfristig auf einen Abgrund oder eine Wand zufahren könnte. Doch noch ist Deutschland nicht der kranke Mann Europas. Bis auf die leichte Rezession gibt es keine Kennzahl, nach der Deutschland wirtschaftlich unterdurchschnittlich unterwegs ist. Betrachtet man das Bruttoinlandsprodukt je Bürger oder das durchschnittliche Vermögen pro Kopf, die Arbeitslosen- und auch die Beschäftigtenzahl, schneidet Deutschland nicht unterdurchschnittlich ab. Hier rangieren wir stets im oberen Drittel der EU-Länder. Natürlich ist der Blick nach vorn eingetrübt, wie die aktuelle Prognose des Internationalen Währungsfonds verdeutlicht hat. Das ist eine anspruchsvolle Situation, wir dürfen uns nicht auf unseren Stärken ausruhen.
Dennoch ist die Stimmung vielerorts schlecht. Am rechten Rand ballt sich ein hohes Maß an Aggressivität gegen Migrantinnen und Migranten zusammen.
Haeusgen: Und das, obwohl die Migrations-Lage bei Weitem für die deutsche Gesellschaft nicht so angespannt ist wie 2015. Über das Thema wird dennoch zum Teil mit einem hohen Maß an Aggressivität diskutiert – und zwar auf beiden Seiten. Die rechte Seite geht emotional gegen Andersdenkende vor. Ich halte aber auch nichts von linken Slogans, wie sie bei der an sich wunderbaren „Demo gegen rechts“ in München gefallen sind, wo es ja hieß: „Ganz München hasst die AfD.“ Man muss die AfD mit Argumenten und nicht mit Hass bekämpfen. Auf alle Fälle finde ich es sehr gut, dass es diese Demos gegen Rechtsextremismus gibt. Hunderttausende gehen für unsere liberale Demokratie auf die Straße. Das ist ein mächtiges und richtiges Zeichen.
Sollten Unternehmer und Manager klar gegen AfD-Positionen Partei ergreifen?
Haeusgen: Unternehmer und Manager sollten gegen die Politik der AfD Position beziehen. Das ist eine Führungsaufgabe. Es ist falsch, dass Wirtschaft und Politik nichts miteinander zu tun haben. Jeder, der ein Unternehmen oder einen Verband führt, muss sich der gesellschaftlichen Diskussion stellen. Die hohen Umfragewerte der AfD in ostdeutschen Bundesländern zeigen, wie wichtig es ist, dass sich Unternehmer einmischen. Denn wenn die AfD in Thüringen oder Sachsen wirklich so gut wie in den Hochrechnungen abschneidet, gibt es ein böses Erwachen für uns alle.
Was hätten Wahl-Triumphe der AfD für wirtschaftliche Auswirkungen?
Haeusgen: Dann werden wir sehen, welche Welt-Konzerne sich noch in diesen Bundesländern ansiedeln, wenn sie bei einer Standort-Entscheidung mit einem AfD-Wirtschaftsminister vor die Kameras treten müssten. Auch der Mittelstand, der Kern unserer Wirtschaft, würde vor solchen Standort-Entscheidungen zurückschrecken. Fachkräfte werden abgeschreckt, weil sie die falsche Hautfarbe oder den falschen Namen haben. Die AfD würde einen konkreten wirtschaftlichen Schaden anrichten. Hinzu kommt der zum Teil offene Rassismus am rechten Rand. Das schürt Aggressionen. Dieses Gift wird in die Gesellschaft eingeschleust. Für uns als Verband des deutschen und europäischen Maschinen- und Anlagenbaus steht fest: Die Wirtschaftspolitik der AfD und anderer extremistischer Parteien würde den Standort Deutschland ruinieren. Auf Landesebene würde diese Wirkung schnell eintreten, wenn man an einer Regierungsbeteiligung der AfD nicht vorbeikommt. Und das Gleiche gilt mit Blick auf die Europawahl auch für die EU.
Was würde dann konkret geschehen?
Haeusgen: Es könnte schnell dazu führen, dass Unternehmen in diesen Bundesländern keine neuen Werke aufbauen, Kapital abgezogen wird und sich Beschäftigte dagegen entscheiden, dort einen Arbeitsplatz anzunehmen.
Die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel liebäugelt mit einem Dexit, also einen Austritt Deutschlands aus der EU.
Haeusgen: Ich gehe fest davon aus, dass die AfD auf Bundesebene niemals die Regierung bilden wird. Dennoch haben die Dexit-Pläne von Frau Weidel international große Aufmerksamkeit gefunden und keine lobenden Stimmen hervorgerufen. Fest steht aber: Kein Land in der EU profitiert so stark von der Europäischen Union und dem Euro wie Deutschland.
Wie steht es um den Wirtschaftsstandort Deutschland? Der Unternehmer Stihl merkt sogar kritisch an, man könne inzwischen sogar in der Schweiz günstiger als in Deutschland produzieren.
Haeusgen: Der Vergleich mit der Schweiz ist interessant. Denn die Eidgenossen sind trotz höherer Löhne wettbewerbsfähiger als Deutschland, weil Industrie-Beschäftigte des Landes zehn Tage weniger Urlaub als in Deutschland haben, weil es dort sieben öffentliche Feiertage weniger als bei uns gibt und weil die Standard-Arbeitszeit bei 4O statt den hiesigen 35 Stunden etwa in der Metall- und Elektroindustrie liegt. Zudem gehen die Schweizer später in Rente als die Deutschen.
Müssen wir in Deutschland wieder mehr arbeiten?
Haeusgen: Zunächst einmal wird die Lage in Deutschland sogar noch verschärft, indem die Arbeitszeit erfasst werden muss und das bewährte Modell der Vertrauensarbeit abgeschafft wird. Das ist bizarr, eben DGB der 70er-Jahre. Und kaum jemand spricht darüber. Dabei bräuchten wir in Deutschland Schweizer Verhältnisse, also eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Und ich kann mir auch gut eine Rente mit 68 vorstellen. Wir können von der Schweiz einiges lernen. Dort leben die Menschen gut. Vielleicht sollte der Vorstand der Gewerkschaft IG Metall mal einen Bus mieten und sich die Lage der Industrie-Beschäftigten in der Schweiz anschauen. Dort würden die Gewerkschafter viele zufriedene Menschen treffen.
Dabei gibt es innerhalb der IG Metall Bestrebungen, die Arbeitszeit sogar weiter zu verkürzen.
Haeusgen: Das würde den Fachkräftemangel nur weiter verschärfen. Ich habe mir mal von der IG Metall erklären lassen, wie man den Facharbeitermangel durch weniger Arbeitszeit heilen kann. Das war für mich als Unternehmer beinahe Realsatire.
Haeusgen (lacht): Sprechen Sie mich nicht auf Herrn Weselsky an.
Warum nicht?
Haeusgen: Weil ich es unfassbar finde, wie ein Gewerkschafts-Fürst den Bahnverkehr über Tage in großen Teilen lahmlegen lässt und das Land zum Affen hält. Ich stehe geplättet davor und denke mir: Das gibt es doch gar nicht.
Trotz aller Kämpfe wie bei der Bahn für eine geringere Wochenarbeitszeit wirken Sie überzeugt, dass wir in Deutschland irgendwann wieder länger arbeiten werden.
Haeusgen: Ich gebe zu: Es muss ein dickes Brett gebohrt werden, ehe die Arbeitszeit wieder steigt. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir langfristig wieder die 40-Stunden-Woche in der Metallindustrie und damit auch im Maschinenbau einführen.
Sie bleiben auch in dieser Frage ein Optimist. Was die Ampelregierung betrifft, dürfte Ihnen die Zuversicht aber abhandengekommen sein.
Haeusgen: Ich frage mich: Wo ist Kanzler Olaf Scholz? Die Ampelkoalitionäre sitzen im Kabinett zusammen, müssten sich also geeinigt haben und dennoch entsteht in der Öffentlichkeit ein gegenteiliges Bild angesichts unterschiedlicher Stimmen aus der Regierung. Mir fehlt hier die Autorität des Kanzlers. In einer Regierung muss es doch hierarchische Strukturen geben.
Sie zeigten sich aber lange mit der Arbeit von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zufrieden. Ist das immer noch der Fall?
Haeusgen: Unter dem Strich macht Robert Habeck nach wie vor einen guten Job. Wir Maschinen- und Anlagenbauer können mit dem Wirtschaftsministerium gut zusammenarbeiten. Herr Habeck kümmert sich um die Wirtschaft. Er arbeitet sich in die Themen ein und fährt raus zu den Unternehmen. Der Grünen-Politiker schaut sich Technologien an und will sie verstehen. Das haben wir in der Vergangenheit bei Wirtschaftsministern in dieser Intensität selten erlebt.
Gibt es gar nichts bei Habeck zu beanstanden?
Haeusgen: Doch, ich würde ihn im Gespräch gerne einmal davon überzeugen, mehr Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft und das freie Unternehmertum zu haben und weniger auf Regulatorik, also gesetzliche Vorgaben zu setzen. Wir brauchen mehr Freiheit und weniger Bürokratie. Diese Regierung versucht Probleme mit kleinteiligen Regelungen zu lösen, statt die Rahmenbedingungen zu verbessern, also etwa mit einem großen Wurf die digitale Infrastruktur auszubauen. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen, wie es der frühere Bundespräsident Roman Herzog gefordert hatte.
Erwarten Sie von Scholz noch so einen Mega-Wumms-Ruck?
Haeusgen: Bei aller Wertschätzung für unseren Kanzler, seine analytischen Fähigkeiten und sein großes Wissen: Mit Olaf Scholz wird wohl kein Ruck durch Deutschland gehen. Damit müsste gerade für die Energiewende ein Ruck durch die Mitte der Gesellschaft gehen. Das wäre das beste Mittel gegen Rechts. Die Tabuisierung der AfD hilft uns da nicht weiter. Nur durch eine gute Politik der Mitte können wir den rechten Rand abschmelzen.
Karl Haeusgen, Jahrgang 1966, ist seit Oktober 2020 Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, kurz VDMA. Zuvor war der Unternehmer Vize-Präsident der Organisation und von 2008 bis 2014 Vorstandsvorsitzender des VDMA Bayern. Der studierte Betriebswirt wurde 1996 Geschäftsführer der in Aschheim bei München sitzenden Hawe Hydraulik GmbH. Heute ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats des Unternehmens. Für die Hawe Gruppe arbeiten 2770 Beschäftigte.