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Ultra Fast Fashion: Erst Shein, jetzt Temu: Wie Billig-Konzerne den Modemarkt umkrempeln

Ultra Fast Fashion

Erst Shein, jetzt Temu: Wie Billig-Konzerne den Modemarkt umkrempeln

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    Das Shopping-Portal Temu wirbt mit dem Spruch "Shoppe wie ein Billionär" für seine günstigen Produkte.
    Das Shopping-Portal Temu wirbt mit dem Spruch "Shoppe wie ein Billionär" für seine günstigen Produkte. Foto: Jakub Porzycki, Imago

    Auf der Website des chinesischen Online-Händlers Shein ist einiges geboten: Knallig farbige Banner locken mit Rabatten von bis zu 90 Prozent, ein tickender Countdown macht auf die verbleibenden Stunden des Gratis-Versands aufmerksam. Wie wäre es mit einem Paar Hausschuhe für unschlagbare 4,87 Euro? Oder einem Sommerkleid für nur 7,97 Euro?

    Die Ramschpreise scheinen bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten gut anzukommen: Shein (sprich: Schi-in) ist zum größten Online-Textilhändler herangewachsen und dominiert weltweit besonders in der Zielgruppe der acht bis 26-jährigen Mädchen und Frauen. Obwohl der Konzern 2008 in China gegründet wurde, ist er dort kaum bekannt. Seit 2015 konzentriert sich Shein auf ausländische Märkte. Mit Erfolg: Der Wert des Unternehmens wird mittlerweile auf 100 Milliarden Dollar geschätzt – mehr als die Modeketten H&M und Zara zusammen.

    Shopping-Portal Temu macht dem Online-Händler Shein starke Konkurrenz

    Seit einigen Monaten bekommt Shein allerdings starke Konkurrenz von einem Shopping-Portal namens Temu (sprich: Timu), das seinen Ursprung ebenfalls in China hat. Mit mehr als 50 Millionen Downloads steht die App in Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich an der Spitze der App-Charts. Was verbirgt sich hinter den beiden Konzernen und was macht sie derart erfolgreich?

    Kurz gesagt lautet das Geheimnis hinter Shein und Temu: Ultra Fast Fashion. Noch schneller, vielfacher und günstiger produzieren als H&M, Zara und Co.. Die beiden Konzerne haben gegenüber den etablierten Modeketten den Vorteil, dass sie keine Läden betreiben, sondern ihre Ware rein online anbieten. Das spart nicht nur Kosten, sondern verkürzt auch die Lieferketten. Während Shein in eigenen Fabriken in China produziert, stellt Temu die Produkte nicht selbst her. Stattdessen bietet das Unternehmen nur die Online-Plattform für kleinere und größere Händler aus China. Dabei reicht das Sortiment von Mode über Haushaltsartikel bis hin zu Büromaterialien.

    Ultra Fast Fashion: Tausende Produkte werden in wenigen Tagen hergestellt

    Achim Berg von der Beratungsgesellschaft McKinsey ist Experte für die globale Modeindustrie. "Wo Fast Fashion aufhört und Ultra Fast Fashion anfängt, lässt sich nicht klar sagen, weil es für beide Begriffe keine eindeutigen Definitionen gibt", sagt er. Der Begriff Fast Fashion habe sich vor etwa 20 Jahren etabliert, als Modefirmen damit begannen, nicht mehr zwei bis vier, sondern doppelt bis vierfach so viele Kollektionen pro Jahr auf den Markt zu bringen. "Ultra Fast Fashion beschreibt eine neue Generation an internationalen Onlineanbietern, die fast täglich neue Produkte anbieten und für ein noch breiteres und schnelleres Angebot sorgen", erläutert Berg.

    Auf Shein sind durchschnittlich jeden Tag 6000 neue Designs zu finden. Das ergaben Untersuchungen der University of Delaware. Das bedeutet aber nicht, dass die Produkte sofort verfügbar sind. Vielmehr analysiert der Online-Händler zuerst, welche Fotos angeklickt werden und demnach angesagt sind. Diese Teile lässt Shein dann in hoher Stückzahl herstellen. Und zwar in drei bis sieben Tagen.

    Handelsexperte: "Temu wird auch den europäischen Markt umkrempeln"

    Shein und Temu nutzen diverse Verkaufstricks. Wer für die Portale wirbt, bekommt Rabattcodes. Außerdem setzen beide Konzerne auf die Werbung durch Influencer in den sozialen Medien, aber auch durch Popstars. 2020 veranstaltete Shein ein digitales Konzert mit US-Sängerin Katy Perry. Auch die App Temu setzt auf zusätzliche Unterhaltung, etwa durch Mini-Spiele. In der Süddeutschen Zeitung warnt der Handelsexperte Alexander Graf davor, Temu als bessere Kopie bekannter Plattformen zu unterschätzen: "Temu ist eine echte Innovation in Sachen Lieferkette, Warenmanagement und Logistik." Die Chinesen bräuchten bereits kein Amazon oder Ebay mehr. "Und Temu wird auch den europäischen Markt umkrempeln."

    Hält nicht nur in China die Post auf Trab: Der Online-Textilhändler Shein wird heftig kritisiert, ist aber sehr erfolgreich.
    Hält nicht nur in China die Post auf Trab: Der Online-Textilhändler Shein wird heftig kritisiert, ist aber sehr erfolgreich. Foto: Cao Zhengping, dpa

    Billig produzierte Ware hat jedoch einige Nachteile. Auf der Bewertungsseite Trustpilot geben 25 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer Shein die Bewertung "ungenügend". In den Erfahrungsberichten werden vor allem die schlechte Qualität der Kleidung und Schwierigkeiten bei der Lieferung bemängelt. Oft kämen Pakete überhaupt nicht an.Die Verbraucherzentrale stellt auch den Produkten von Temu ein schlechtes Zeugnis aus. Bei einem Probeeinkauf des WDR-Magazins Servicezeit waren einige Produkte beschädigt oder kleiner als auf den Fotos. Außerdem können bei einer Bestellung zusätzliche Steuern und Zollgebühren anfallen. Dagegen muss Temu selbst in vielen Fällen keinen Zoll bezahlen, weil der Konzern im Steuerparadies Irland registriert ist.

    Mithilfe von KI soll Shein ungefragt Modedesigns kopieren und nachahmen

    Gegen Shein und Temu stehen schwere Vorwürfe im Raum. Da geht es um Verstöße gegen das Handelsrecht, aber auch um Datenmissbrauch und Raubkopien. In jüngster Zeit mehren sich die Nachrichten über Modeschöpferinnen und -schöpfer, die ihre eigenen Designs auf Shein entdecken. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz soll der Online-Händler Designs ungefragt kopieren und nachahmen. Eine US-Kommission wirft beiden Konzernenaußerdem Zwangsarbeitund Menschenrechtsverletzungen vor.

    Vor einem Pop-up-Store des Onlinehändlers Shein weisen Klimaaktivisten auf die Umweltbelastung durch Fast Fashion hin.
    Vor einem Pop-up-Store des Onlinehändlers Shein weisen Klimaaktivisten auf die Umweltbelastung durch Fast Fashion hin. Foto: Alain Pitton, imago

    Greenpeace Deutschland kritisiert besonders die Umweltbelastung durch (Ultra) Fast Fashion. 2022 hat die Organisation die Bestandteile von 47 Shein-Artikeln untersucht. Das Ergebnis ist alarmierend: Insgesamt enthielten 32 Prozent der Produkte gefährliche Chemikalien in besorgniserregenden Mengen. Greenpeace-Expertin Viola Wohlgemuth spricht sich für ein Durchgreifen auf europäischer Ebene aus: "Die EU muss ihre Gesetze zum Schutz der Umwelt und Verbraucher auch für Onlinehändler durchsetzen." Gelangen die giftigen Stoffe über Abwasser und Luft in die Umwelt, verschmutzen sie Gewässer und gefährden die Bevölkerung in den Produktionsländern. "Ultra-Fast-Fashion befeuert derart aggressiv Klimakrise und Naturzerstörung, dass er sofort legislativ gestoppt werden muss", fordert Wohlgemuth.

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