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Ukraine-Konflikt: Wenn der Kreml uns das Gas abdreht

Ukraine-Konflikt

Wenn der Kreml uns das Gas abdreht

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    Gasregler an einer Messstation im russischen Sudscha.
    Gasregler an einer Messstation im russischen Sudscha. Foto: Maxim Shipenkov (dpa)

    Es war nicht der Durchbruch, auf den Günther Oettinger so sehr gehofft hatte. Aber er konnte die dringend benötigte Einigung wenigstens ankündigen: „Ich gehe davon aus, dass wir in der kommenden Woche die Vereinbarung unterzeichnen werden“, sagte der EU-Energiekommissar am späten Dienstagabend in Brüssel. Fast zehn Stunden lang hatten die Vertreter Moskaus und Kiews miteinander gerungen, um den Knoten aus unbezahlten Rechnungen und unklaren Liefermengen des kostbaren Brennstoffes zu entwirren.

    „Winterpaket“ nannte Oettinger das, was nun auf dem Tisch liegt und morgen von den EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen gutgeheißen werden dürfte. Denn es sichert keineswegs nur der Ukraine Gas im Winter, sondern auch der EU.

    Die EU ist von russischen Gaszulieferungen abhängig

    Auch sie hätte zum Leidtragenden werden können. Klar ist schließlich: Die Europäische Union ist nach wie vor in hohem Maße von russischem Gas abhängig. Unklar ist hingegen, ob Moskau den Heizstoff weiter zuverlässig liefert. Denn: Das Gas fließt durch die Ukraine. Und die Russen befürchten, dass dort etwas für den eigenen Markt abgezweigt werden könnte. Wenn Moskau den Gashahn zudrehen würde, hätte das weitreichende Folgen.

    Noch dürfen sich die Bundesbürger einigermaßen sicher fühlen. Die Gas-Versorgung sei sichergestellt, weil es eine Vielzahl weiterer Quellen gibt, sagt Oettinger. Zudem sind die Speicher gut gefüllt. Wie lange die Vorräte in einem richtig kalten Winter reichen, ist jedoch nicht so eindeutig. Etwa fünf Monate kämen die Deutschen ohne weiteren Nachschub über die Runden. Das schätzt die Regierung. Spätestens dann könnte es aber eng werden.

    Noch schlimmer träfe ein russischer Boykott die östlichen Mitgliedstaaten der EU. Was dies im Ernstfall heißen würde, beschreibt die Kommission in nüchternen Worten: Auch die privaten Haushalte müssten möglicherweise auf ihre Heizungen verzichten.

    Ein russischer Boykott trifft vor allem die östlichen EU-Staaten

    Zehn Fakten zur Ukraine

    Die Ukraine wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 unabhängig. Die Hauptstadt ist Kiew. Die Ukraine ist mit 603.700 Quadratkilometern der größte Flächenstaat in Europa. Zum Vergleich: Die Bundesrepublik misst 357.121Quadratkilometer.

    Die Ukraine war zusammen mit Polen der Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2012. Spielstätten in der Ukraine waren: Die Hauptstadt Kiew, Donezk im Südosten, Lemberg (Lwiw) in der Westukraine und Charkow im Nordosten des Landes.

    Staatsoberhaupt der Ukraine ist seit 2010 Präsident Wiktor Janukowytsch. Sein Vorgänger im Amt war Wiktor Juschtschenko, der 2004 als ein Held der Orangenen Revolution international bekannt wurde.

    Julia Timoschenko: Julia Timoschenko war von Januar bis September 2005 und von Dezember 2007 bis März 2010 Ministerpräsidentin der Ukraine unter Präsident Wiktor Juschtschenko. Seit August 2011 befindet sich die 51-Jährige mit der charakteristischen Zopffrisur in Haft.

    Die Schwarzmeer-Halbinsel Krim ist eine Autonome Republik innerhalb der Ukraine. Sie hat rund zwei Millionen Einwohner und ist 26.100 Quadratkilometer groß. Die größte Stadt der Krim ist Sewastopol.

    Die Stadt Odessa, im Südwesten des Landes an der Schwarzmeerküste gelegen, gilt als ein Zentrum der Liberalen und Intellektuellen. Odessa hat rund eine Million Einwohner.

    Die Ukraine ist innerhalb des Landes in vielfacher Hinsicht gespalten. Der Fluss Dnepr, an dem die Stadt Dnipropetrowsk liegt, gilt als die geographische Trennlinie des Landes. Westlich ist die Nähe zu Europa und der Europäischen Union deutlich stärker ausgeprägt als im Osten, der die Nähe zu Russland pflegt.

    Die Ukraine galt zu Stalins Zeiten wegen ihrer fruchtbaren Schwarzböden als die "Kornkammer" der Sowjetunion. Als Stalin die Landwirtschaft kollektivierte, brach in den 1920 Jahren eine Hungersnot aus, die bis heute einen bestimmenden Platz im nationalen Gedächtnis der Ukraine hat.

    Fußballerisch erzielten die Ukrainer ihren bisher größten Erfolg bei er EM 2006: Die ukrainische Mannschaft erreichte das Viertelfinale.

    Die Boxer Wladimir und Vitali Klitschko haben für die Ukraine den Weltmeistertitel im Schwergewicht geholt.

    Der Streit, für den sich nun ein Weg zur Lösung abzeichnet, dreht sich vor allem um offene Rechnungen. Rund 3,5 Milliarden Euro verlangt der russische Staatskonzern Gazprom von Kiew für Brennstoff, der seit Herbst vergangenen Jahres nicht bezahlt wurde. Die ukrainische Seite wiederum weigert sich, weil man in Moskau nach dem Sturz des Putin-treuen Präsidenten Viktor Janukowitsch die Kosten für 1000 Kubikmeter Gas von 267 auf 485 Dollar angehoben hatte.

    Inzwischen war man wieder auf 385 Dollar (etwa 300 Euro) heruntergegangen. Die Summe gilt nunmehr als vereinbart. Im Gegenzug verpflichtet sich der ukrainische Konzern Naftogas, bis zum Jahresende rund 1,5 Milliarden Dollar (1,18 Milliarden Euro) der ausstehenden Gelder zu begleichen. Außerdem will die russische Seite Kiew nur noch gegen Vorkasse beliefern. Woher das ohnehin marode Land dieses Geld nehmen soll, ist unklar.

    Die EU wird ukrainische Schulden nicht übernehmen

    Schon im Laufe des Tages hatte es deutliche Worte der deutschen Kanzlerin gegeben. Angela Merkel hatte klargemacht, dass die EU weiterhin lediglich als Vermittler zur Verfügung stehe und „keinesfalls“ für ukrainische Schulden eintreten werde. Am Abend bekräftigte auch Energiekommissar Oettinger, dass die Gemeinschaft keine „Zahlungsgarantie“ für Lieferungen nach Kiew übernehmen werde. Die Regierung der Ukraine könne aber das Gas aus den über zehn Milliarden Euro bezahlen, die ihr von der EU im Rahmen diverser Vereinbarungen zur Verfügung gestellt wurden. Ob dem Land zwischen Russland und Europa damit geholfen ist, blieb gestern unsicher.

    Derweil mehren sich in Brüssel die Stimmen, die das Beispiel dieser Verhandlungen zum Anlass für einen Kurswechsel gegenüber Moskau nehmen wollen. Der designierte Kommissar für die Energieunion, der Slowake Maros Sefcovic, schlug bei seiner Anhörung im Europäischen Parlament vor, dass die 28 EU-Mitgliedstaaten eine Art „Einkaufs-Union“ bilden sollten, um gegenüber dem Staatskonzern Gazprom stärker auftreten zu können.

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