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Wirtschaft: Job gegen Leben: Wie eine junge Generation den Arbeitsmarkt aufmischt

Die neue Generation Z verhält sich selbstbewusster gegenüber ihren Arbeitgebern als die Generation vor ihr - und weiß, was sie will.
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Job gegen Leben: Wie eine junge Generation den Arbeitsmarkt aufmischt

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    Anna Moors weiß, dass sie ein privilegiertes Leben führt, dass das alles nicht selbstverständlich ist, der Job im Bundestag, das Stipendium bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Studienplatz an der privaten Zeppelin-Universität in Friedrichshafen: 800 Studierende, Seminare zu viert, ein hauseigener Holzsteg, der in den Bodensee ragt. Hier sitzt sie nun also, an einem Sweatshirt-warmen Nachmittag, über ihr verliert eine alte Eiche ihre Eicheln, Schwäne ziehen über den See. Die 20-jährige junge Frau trägt weiße Socken, die schwarzen Jeans zweimal hochgekrempelt und hat einen überzeugten Blick im Gesicht. Dann fallen Sätze wie: "Ich glaube nicht mehr, dass ich meinem Arbeitgeber etwas schuldig bin. Wenn überhaupt, ist es das Gegenteil."

    Eine junge Generation, sagt Klaus Hurrelmann, einer der renommiertesten Jugendforscher des Landes, sei wie ein Seismograf. Und wenn man Moors‘ Worte als Ausschläge versteht, dann kommt es da aktuell zu einem ziemlichen Erdbeben. Auf dem Arbeitsmarkt ändern sich die Kräfteverhältnisse. Die Jugend kalibriert ihr Leben neu zwischen Job und Freizeit. Da sind Heranwachsende, die sagen: So wie meine Eltern will ich nicht mehr arbeiten. Traditionsbewusste Firmenbosse, die klagen: Wo ist die Arbeitsmoral hin? Ein Wissenschaftler, der prophezeit: Das Berufsleben wird ein anderes sein. Und mitten im Raum die ganz große Frage: Was passiert da gerade? Und wieso?

    Unverständnis unter den Generationen: Anna Moors muss dolmetschen

    Für das Treffen am Bodensee schlägt Anna Moors den Montag vor, ein guter Tag, um Überstunden abzubauen. Neben ihrem Politikwissenschaftsstudium arbeitet sie als Social-Media-Managerin für den SPD-Bundestagsabgeordneten Armand Zorn, eine 20-Stunden-Stelle. Außerdem berät sie Politikerinnen, Geschäftsführer und Institutionen, wie sie junge Menschen besser erreichen können. Und sie bringt ihren überwiegend jugendlichen 50.000 Fans auf der Videoplattform TikTok den steifen Politikbetrieb näher. Moors kennt also beide Welten, von Ü40 bis U20. Sie sagt: "Ich finde es unfassbar schade, wenn Generationen es nicht schaffen, miteinander zu kommunizieren, weil die Gräben zu groß sind." In diesem Kommunikationsstau ist Moors quasi die Dolmetscherin.

    Anna Moors, 20, bezeichnet sich selbst als "Workaholic". Und doch hat sie eine andere Arbeitsauffassung als ihre Eltern.
    Anna Moors, 20, bezeichnet sich selbst als "Workaholic". Und doch hat sie eine andere Arbeitsauffassung als ihre Eltern. Foto: Erfan Dayvandi

    Sie hangelt sich enthusiastisch durch ihre Sätze und zieht Silben wichtiger Worte dabei in die Länge, ein wenig wie Annalena Baerbock. Ein "suuuper politischer Mensch" sei sie schon immer gewesen. Geboren bei Aachen, ehemaliges Armin-Laschet-Land, die Familie wählt schwarz, die heranwachsende Anna denkt eher rot-grün. 2019 tritt sie in die SPD ein. Sie macht ein Praktikum bei Claudia Moll, der Direktabgeordneten aus ihrem Wahlkreis, ist 2021 Teil des Wahlkampfteams von Olaf Scholz. Als der Kanzler-to-be in Fernsehduellen herumscholzt, merzt Moors verachtende Kommentare in seinen Digitalkanälen aus. "Die größte Hürde war,

    Nur nicht umkippen: Moors jongliert zwischen Job, Studium und Selbstständigkeit

    Ist Moors für die Arbeit in Berlin, im Schnitt eine Woche im Monat, büffelt sie in der Parlamentsbibliothek für Seminare. Verlässt sie ihre Vorlesungen in Friedrichshafen, checkt sie Mails ihrer Kunden oder plant neue Social-Media-Inhalte für

    Wenn sie ihren Handy-Kalender öffnet, tut sich vor ihr ein Regenbogen auf. Orange: Kacheln für Arbeit; helles Lila: Lernzeit; dunkles Lila: Seminare; Rot: sehr wichtige Termine; Grün: Zeit für das Ich, Familie und Freunde; Lachsfarben: Alltags-To-Do; Gelb: Sonstiges. "Ich plane Freizeit ähnlich wie Arbeit. Und gebe beidem denselben Raum", sagt sie.

    Vielleicht ist es zu plakativ zu sagen: Die Elterngeneration lebt, um zu arbeiten. Und deren Kinder arbeiten, um zu leben. Nur scheinen junge Leute eben nicht mehr akzeptieren zu wollen, dass das Pendel zwischen diesen beiden Polen nur mehr in eine Richtung ausschlägt. Dass nur die Karriere zählt, dass der Verpflichtungsdruck gegenüber dem Arbeitgeber größer ist als gegenüber dem sozialen Umfeld.

    Prioritäten wandeln sich: Vergnügen zählt wie die Arbeit

    Dieser Gedankenumschwung der Generation Z, also der um die Jahrtausendwende Geborenen, hat viel mit Resignation zu tun. Das Versprechen vom ewigen Wachstum, vom sozialen Aufstieg, einer sicheren Rente, dem Haus mit Garten und Kindern, die darin schaukeln – es funktioniert einfach nicht mehr. Gehälter stagnieren und Kosten steigen. Einer Spiegel-Umfrage zufolge denken 62 Prozent der 18- bis 29-Jährigen, dass es ihnen einmal schlechter gehen wird als ihren Eltern.

    Die Folge: Geld ist nicht mehr das oberste Kriterium für einen Arbeitsplatz. "An erster Stelle kommt eine gute Arbeitsatmosphäre und eine Garantie für die Balance von Arbeit und Freiheit", sagt Sozialwissenschaftler Hurrelmann. "Der Beruf soll wie auf den Leib geschnitten sein." Hurrelmann, der sich seit 20 Jahren mit den Einstellungen junger Menschen befasst, spricht von einer "eingebauten Burnout-Sperre". Aus den USA schwappte kürzlich ein umstrittenes Trendwort über den Atlantik: quiet quitting, übersetzt: stilles Kündigen, besser umschrieben mit: Dienst nach Vorschrift, gemeint ist: Junge Beschäftigte sind nicht mehr zwingend bereit, Überstunden zu leisten, so wie das nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts 2021 gut 4,5 Millionen Menschen in Deutschland taten.

    "Nach meiner Arbeitsdefinition ist das nur vertragsmäßiges Arbeiten", sagt Anna Moors. "Ich finde das in keinster Weise verwerflich. Genauso wie ein Arbeitgeber vertragliche Regeln in Anspruch nehmen kann, etwa durch eine Kündigung, habe ich dasselbe Recht."

    Ein Tag von früh bis nach der Tagesschau

    Damit ihr nicht noch wirklich eine Kündigung ins Haus fliegt, eine kurze Klarstellung: Zwischen Moors und ihrem Arbeitgeber, dem SPD-Abgeordneten Zorn, ist alles in Ordnung. Dass ein Tag mal bis weit nach Tagesschau-Zeit geht, kommt vor im politischen Berlin. Aber Überstunden baut sie ab. "Mein Chef ist ein Glücksfall. Wenn ich etwas zu bemängeln habe, kann ich das jederzeit ansprechen", sagt sie. Da gebe es ganz andere Bundestagsbüros.

    Sich selbst nennt Moors einen "Workaholic". Dass sie inzwischen den Anspruch hat, sich wenigstens die Sonntage freizuhalten, findet sie schon fast spießig. "Und doch habe ich eine andere Arbeitsauffassung als ältere Generationen: Wenn ich Migräne habe, weil ich schon seit 9 Stunden auf den Bildschirm starre, ist es vielleicht besser, es einfach mal liegen zu lassen. Dann kommt die Arbeit halt erst kurz nach der Frist morgen rein."

    Markus Vogel aus Nürnberg sieht das ähnlich. Aber er weiß auch, dass im realen Arbeitsleben andere Regeln zählen: Als er zu Schulzeiten bei Edeka an der Kasse jobbte, habe das Abrechnen nicht zur Arbeitszeit gehört. Genauso wie das Einkleiden bei seiner Stelle in einer Schinkenfabrik. Und als er als Praktikant bei einem Saucenhersteller anfing und eigentlich einen Youtube-Kanal aufsetzen sollte, da habe ihn der Chef wegen Personalmangels plötzlich zum Etikettieren ans Fließband stellen wollen. "Da meinte ich so: Leute, ich weiß, ich bin nur der Praktikant, aber in meinem Vertrag steht etwas völlig anderes. Ich habe dann abgebrochen", erzählt Vogel, heute 27, frisch verheiratet und Software-Entwickler für 3D-Drucker.

    Der Mann mit den pink gefärbten Haaren und dem Heavy-Metal-Pulli hat lange gebraucht, um den für ihn passenden Job zu finden. "Ich habe alles Mögliche gemacht", sagt er. Freies Soziales Jahr in Paraguay; Medienpraktika, um Regisseur zu werden; ein Lehramtsstudium, zwei Semester lang; schließlich Medieninformatik. Markus Vogel ist der Max Mustermann einer Generation, die sich nicht vor scharfen Kurven im Karriereweg scheut.

    Ein Drittel der Studierenden brechen inzwischen ihr Bachelorstudium ab. "Das ist sicherlich zum Teil mangelndes Durchhaltevermögen. Man bricht schnell ein, wenn es schwierig wird", sagt Forscher Hurrelmann. "Für die älteren Generationen war es sinnbildlich, weiterzumachen, auch wenn man den Sinn dahinter gar nicht mehr erkannt hat. Heute traut man sich zu sagen: Ich habe auf’s falsche Pferd gesetzt." Auch der erste Job sei für junge Leute nicht mehr für die Lebenszeit. "Sie suchen erst einmal und testen. Im Moment kann sich eine junge Generation das leisten."

    Denn es ist so: Die Generation Z mag heute in einer Zeit aufwachsen, in der sich die Krisen übereinanderschichten wie lange nicht: Klima, Corona, Krieg. Jugendforscher Simon Schnetzer spricht vom "Dauerkrisenmodus", von jungen Menschen, die "psychisch extrem angeschlagen" seien. Gleichzeitig aber sind ihre Berufsaussichten hervorragend. Die Babyboomer gehen langsam in Rente, es herrscht Vollbeschäftigung. 2021 gab es laut Bundesagentur für Arbeit mehr als 63.000 unbesetzte Ausbildungsplätze. 2005 waren es nur gut ein Fünftel davon. Bis 2030 könnten nach einer Berechnung des Instituts der Deutschen Wissenschaft fünf Millionen Arbeitskräfte fehlen. Die Kräfte auf dem Arbeitsmarkt haben sich verschoben – vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer.

    Wie reagieren die Unternehmen auf die selbstbewusste Jugend?

    Als Vogel nach abgeschlossenem Studium in diesem Sommer einen Job suchte, sortierte er erst einmal aus: Für eine Firma war Homeoffice keine Option, eine andere wollte keinen Arbeitslaptop zur Verfügung stellen, wieder andere zahlten nicht gut. "Die Generation Z ist sehr selbstbewusst. Sie weiß, dass sie gebraucht wird. Sie hat einen anderen Blick auf ihre Position am Arbeitsmarkt", sagt Klaus Hurrelmann. Wie also reagieren die Unternehmen?

    Man bekommt eine recht schnelle Vorstellung davon, was der Professor meint, wenn er sagt, in vielen Chefsesseln regiere heute noch "der Stil der Über-50-Jährigen". Autorität, Kontrolle, ein fast schon monarchisches Herrscherbild. Die Firma, das bin ich! Roland Mack etwa, Chef des Europaparks, sagte jüngst der Basler Zeitung: "Da kommen 25-Jährige und wollen nur drei Tage arbeiten." Auf Nachfrage unserer Redaktion wollte er sich nicht mehr äußern. Wolfgang Grupp, meinungsstarker Mittelständler des Textilunternehmens Trigema, wollte nur über das Thema sprechen, wenn er vorab den gesamten Text hätte lesen und freigeben dürfen, samt unterschriftlicher Zusicherung des Autors. Der Autor hat abgelehnt.

    Vom "Einkauf" der Mitarbeiter zum "Verkauf" der Jobs

    Heidrun Hausen will es besser machen. Sie möchte mehr zuhören. Sie muss mehr zuhören. Ans Ende ihrer Sätze packt sie oft ein "es reicht heute nicht mehr". Denn vieles reicht heute nicht mehr, für sie als Personalleiterin von Delo, einem Produzenten von Industriekleber. Der sichere Job zum Beispiel. "Wir müssen Leute frühzeitig dafür begeistern, was wir tun", sagt Hausen. Delo hat seine Personalabteilung verjüngt, in diesem Sommer einen Schülerwettbewerb veranstaltet. Die Recruiter waren sogar im Kindergarten, um den Kleinen vom Kleber zu erzählen. Die Bewerbungszahlen pro Stelle gehen zurück. "Früher waren wir als Personaler 'Einkäufer'. Wir haben Mitarbeiter 'eingekauft'. Heute sind wir 'Verkäufer'. Wir 'verkaufen' Jobs."

    So sieht das Hausen. Und so schlimm sei das auch gar nicht. "Wenn wir Innovationen wollen, dann braucht das Reibung. Ich meine das durchaus positiv." Bei Delo veranstalten sie jetzt neue Gesprächsformate. Die Jungen sollen mitreden, auf Augenhöhe. "Es müssen Motivationsköder ausgestreut werden, die zum Arbeitsprofil der jungen Leute passen", sagt Forscher Hurrelmann.

    Passgenaue Arbeit für jeden – kann das der Ausweg sein? Jedem Mitarbeiter ein persönliches Arbeitsmodell anzubieten, bezeichnete Thomas Hey vom Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft neulich als "nicht leistbar". Die Bürokratie im Arbeitsrecht sei ohnehin schon zu groß. "Es ist anspruchsvoll", gibt auch Personalerin Hausen zu. Klar würden Modelle wie die Vier-Tage-Woche diskutiert, aber: "Da geht es um verschiedenen Arbeitsumfang, -zeiten, und -orte. Das ist eine echte Herausforderung. Aber wenn es uns gelingt, führt das zu mehr Zufriedenheit." Und dann wiederum müsse nicht zwingend die Produktivität darunter leiden.

    Ein Jugendforscher ist sich sicher: Generation Z wird die Arbeitswelt umkrempeln

    Klaus Hurrelmann hält diese Entwicklung für unausweichlich. Er hat ein Buch geschrieben. Der Titel: "Generation Greta: Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist." Lässt man ihn die 271 Seiten kondensieren – der Anfang von was? – dann sagt er: "Ich halte es für überhaupt nicht ausgeschlossen, dass die jungen Leute mit derselben Hebelwirkung wie beim Klima auch das Berufsleben umkrempeln. Da kommt noch was."

    Was für sie ganz persönlich noch kommt, weiß Anna Moors nicht. Vielleicht mal Pressesprecherin im Bundestag, vielleicht Social-Media-Managerin bei einem Medienunternehmen? Träumereien. "Ich bin 20. Es wäre vollkommen anmaßend zu glauben, dass ich die nächsten zehn Jahre vorplanen kann", sagt sie. Kürzlich war sie auf ihrem Abitreffen. "So viele haben ihren Studiengang gewechselt, sind in eine andere Stadt gezogen, haben gesagt: Ok, war doch nicht meins!", erzählt sie.

    Die Sonne senkt sich langsam über den Bodensee. Drei Jungs am Ende des Stegs schlüpfen in ihre Badehosen und laufen ins Wasser. Moors macht noch ein Foto für ihr Instagram-Profil. Dann schlendert sie über den Campus nach Hause. Sie will noch ein paar Mails checken, ein paar Dinge für ihren Chef in Berlin vorbereiten. Ach, und in die Bibliothek muss sie auch noch. 18-20 Uhr, Lernzeit, so steht es helllila in ihrem Kalender.

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