Die Corona-Infektion der deutschen Wirtschaft verlief schnell und heftig. Um 9,8 Prozent ist die deutsche Wirtschaft im ersten Lockdown eingebrochen – so weit wie noch nie seit Erhebung dieses Wertes durch das Statistische Bundesamt. Damit die Unternehmen die Schocktherapie auch überleben, verordneten die Minister Altmaier (CDU) und Scholz (SPD) eine begleitende Intensivbehandlung mit Hilfsgeldern und erweiterten Kurzarbeitregeln.
Nach mittlerweile zwei Corona-Jahren zeigt sich: Der Patient erwies sich als erstaunlich robust. Die Selbstheilungskräfte sind intakt. Die Wirtschaft hat schnell und umfangreich auf die geänderte Lage reagiert. Fünf Anpassungen, die uns bleiben werden:
1. Lieferketten werden sicherer
Der Preis ist nicht alles Die Lieferkette muss sicherer werden, lautet die Lehre nach zwei Jahren Corona-Chaos. Die bayerisch-schwäbische Wirtschaft ist sehr international unterwegs. Verwerfungen bei den weltweiten Lieferketten betreffen sie laut IHK besonders. Denn: „Ein hoher Anteil von Vorleistungsgütern und Rohstoffen, die in der Region verarbeitet werden, kommen aus dem Ausland.“ Und was hier produziert wird, geht zum Großteil wieder ins Ausland. Das verarbeitende Gewerbe in Bayerisch-Schwaben, sagt IHK-Sprecher Thomas Schörg, macht insgesamt knapp die Hälfte seiner Umsätze im Ausland. Und was folgt nun, nach den gemachten Erfahrungen?
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat bundesweit bei den Unternehmen nachgefragt (AHK World Business Outlook) und heraus kam: 54 Prozent der Firmen wollen ihre Lieferketten diversifizieren. Und Schörg betont: „Bei Unternehmen, die von Lieferkettenproblemen als Folge der Corona-Krise berichten, liegt dieser Anteil sogar bei 67 Prozent.“
Von denen, die etwas ändern wollen, suchen 72 Prozent nach neuen Lieferanten und 15 Prozent der Unternehmen wollen ihre Produktion oder Teile ihrer Produktion verlagern. Schörg macht aber auch klar: „Auch wenn die Materialengpässe die Anfälligkeit von globalen Lieferketten aufgezeigt haben, bestehen die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung fort: günstigere Produktion, höhere Produktvielfalt und infolge von Produktivitätsgewinnen auch moderate Konsumentenpreise.“ Das bestätigt eine aktuelle Ifo-Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass eine Rückverlagerung internationaler Produktion nach Deutschland die deutsche Wirtschaftsleistung fast zehn Prozent schmälern würde.
2. Deutschland holt bei der Digitalisierung auf
Zögern geht nicht mehr Die Pandemie hat zumindest etwas Gutes bewirkt. Die Wirtschaftsmacht Deutschland weiß nun, wie sehr sie in Sachen Digitalisierung hinten dran ist. Wenn man es positiv sieht, ist so etwas wie eine digitale „Aufbruchsstimmung“ entstanden. Die hat zumindest Nils Britze ausgemacht. Er ist Bereichsleiter Digitale Geschäftsprozesse beim Digitalverband Bitkom. Er sagt, Treiber dafür war das Homeoffice. Aber das ist nur der Anfang. Dienstlaptop und Diensthandy sollte Standard sein, wo es gebraucht wird. Die entsprechende Software für Videokonferenzen, die Ausbildung der Mitarbeiter in IT-Sicherheitsfragen, man kann das fortsetzen. Viele Unternehmen haben ihre Digitalisierung in Angriff genommen und wegen der Pandemie entsprechende Projekte vorgezogen.
Die, die es gelassen haben, werden künftig Probleme bekommen. Britze macht ein einfaches Beispiel. Die digitale Signatur, die eine händische Unterschrift auf Geschäftspapieren und amtlichen Dokumenten rechtssicher ersetzt. „Das wurde für viele Unternehmen während der Pandemie, als alle im Homeoffice waren, auf einmal wesentlich, weil sie sonst nicht geschäftsfähig gewesen wären.“ Dass in deutschen Behörden immer noch Faxe herumstehen, hat sich zu Pandemie-Zeiten herumgesprochen. Für gut laufende digitale Prozesse aber sei es wichtig, dass es keinen „Medienbruch“ mehr gibt. Wenn ein Dokument per Fax ankommt, gibt es den; alles verzögert sich.
Es gab für die Unternehmen nach innen Hausaufgaben zu erledigen, aber natürlich auch nach außen. Das einfache, fast schon klassische Beispiel ist der Weinhändler um die Ecke, der im Lockdown auf einmal mit dem Vertrieb ins Netz musste. Und von jetzt auf gleich für viel mehr Kunden erreichbar war. Selbstverständlich nach Jahrzehnten mit dem World Wide Web, sollte man meinen. War es aber nicht.
Natürlich hängen die notwendigen digitalen Standards auch sehr von den Branchen und Unternehmen ab. Ein Weinhändler hat andere Notwendigkeiten als ein Roboterbauer, aber der Punkt, den Britze für die Zeit nach der Pandemie machen möchte, ist der: „Die digitale Denkweise, die sollte als Standard erhalten bleiben. Wer nur noch analog aufgestellt ist, wirtschaftet riskant.“
3. Das Homeoffice bleibt
Gleichgültig, ob es künftig einen Rechtsanspruch darauf geben wird, es ist längst klar: Das Homeoffice bleibt. Die steigenden Corona-Zahlen hatten zuletzt wieder mehr Beschäftigte von zu Hause aus arbeiten lassen. Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts waren es im Dezember zeitweise wieder 27,9 Prozent. Nicht so viele wie zum Höchststand im vergangenen März (31,7 Prozent), aber quer durch alle Branchen. Bei den Dienstleistern stieg der Anteil sogar auf 38,2 Prozent.
Das Potenzial liegt aber viel höher, denn grundsätzlich, allein bezogen auf das Tätigkeitsprofil, erklärt Ifo-Experte Jean-Victor Alipour, könnten über 50 Prozent der Jobs in Deutschland von daheim aus erledigt werden. Zudem hätten empirische Untersuchungen gezeigt, dass Arbeiten von daheim aus die Produktivität bei den Tätigkeiten steigere, die in Einzelarbeit ausgeführt werden können. Hinzu kommen: Weniger Pausen, weniger Ausfälle durch Krankheitstage und in den einschlägigen Studien wird außerdem genannt, dass viele in den ausgefallenen Pendelzeiten bereits loslegen.
Andererseits, das ist die Kehrseite, könne das Homeoffice kreative Prozesse und somit Innovationen – aufgrund mangelnden persönlichen Kontaktes – verhindern. Echte Gruppendynamik via Teams? Geht so. In der Forschung sprächen manche, so erklärt es Alipour, auch vom „Homeoffice Paradoxon“.
Auch dürfe man nicht nur davon ausgehen, dass ein Unternehmen nur spart, weil weniger Bürofläche nötig wird, wenn die Hälfte der Angestellten daheim hockt. Man gehe eher davon aus, dass sich die Büroflächen verändern. Weniger Einzelplätze, mehr Begegnungsstätten. Das aber wieder heißt: Umbau. Und der kostet. Auf der Haben-Seite steht dann wieder: Die Homeoffice-Option macht Unternehmen attraktiver, auch weil Bewerberinnen und Bewerber, wenn sie weiter weg wohnen, seltener ins Büro müssen und deshalb längere Pendelzeiten in Kauf nehmen.
Insgesamt aber, sagt Alipour, ist es Konsens, „dass der Homeoffice-Trend durch die Pandemie einen entscheidenden Schub erhalten hat und dieser langfristig anhalten wird“. Das würde laut dem Homeoffice-Experten auch in Online-Stellenanzeigen dokumentiert: Mitte 2021 sei in Deutschland das Homeoffice in Anzeigen drei bis vier Mal so häufig beworben worden, wie vor der Pandemie.
4. Handel besteht aus Geschäften und dem Online-Versand
Dass der Onlinehandel boomt, ist kein Geheimnis mehr. Doch mit dem ersehnten Abflauen der Pandemie erwarten Handelsprofis ein Comeback der Innenstädte – auch weil Onlinehändler den Nutzen der direkten Kundenbindung schätzen: Amazon investiert in stationäre Geschäfte, Home24 kauft die angeschlagene Kette Butlers.
Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute, vertraut auf die Selbstheilungskräfte der Märkte: „Die Innenstädte haben in den vergangenen zwei Jahren gelitten. Aber das bewegt auch die Mieten und plötzlich sind Standorte in der Innenstadt für ganz neue Händler attraktiv.“ Dazu kommen andere Trends, die von der Pandemie befeuert wurden. Omnichannel-Prinzip nennen die Händler einen davon. Das heißt, der Kunde ist immer freier, auf welche Art er einkaufen will. Es gibt für jede Situation den richtigen Weg. Click & Collect, also das Vorbestellen im Internet und persönliche Abholen im Laden, ist nur einer davon.
Kundenzentrierte Händler denken schon weiter: Bekommt ein Kunde ein Produkt in einer stationären Filiale nicht, wird es ihm zugeschickt. Will er spontan zu Hause kochen, bringt ein Lieferdienst die fehlende Zutat rasch ins Haus. Will er entspannt auf dem Sofa einkaufen, wartet der Onlineshop. Das Angebot ist immer da. „Die Lieferdienste sind schwer wirtschaftlich zu betreiben. Deswegen suchen Händler dort bislang eher Partnerschaften. Aber die Kunden erwarten das jetzt“, sagt Gerling.
Flexibler wird das Einkaufen auch beim Bezahlen. „Systeme, mit denen der Kunde mit seinem Smartphone selbstständig Waren scannt und bezahlt, werden sich ausbreiten“, prophezeit der Handelsexperte. Auf dem Handy läuft dann in der App des Händlers alles zusammen: Bonusprogramme, Zusatzinformationen zu Waren, die nicht auf die Verpackung gedruckt werden können, Aktionen und das Bezahlen.
5. Deutschland wird wieder zur Apotheke der Welt
Unabhängigkeit ist langfristig günstiger. Mit der Corona-Krise kam die Hoffnung auf, dass Deutschland wieder „Apotheke der Welt“ wird. Schließlich ist es besser, Medizin im eigenen Land parat zu haben, statt auf andere Länder angewiesen zu sein. Größter Erfolg ist die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs durch Biontech in Mainz. Aber auch andere Hersteller, wie IDT Biologika in Dessau oder R-Pharm in Illertissen, steigen in die Impfstoff-Produktion ein. Davon profitieren deutsche Zulieferer, zum Beispiel Hersteller von Spezial-Lipiden, die man für mRNA-Impfstoffe braucht. „In der Pandemie hat die Pharmabranche in Deutschland ihre Innovationskraft mit der Entwicklung des ersten zugelassenen Covid-19-Impfstoffs unter Beweis gestellt“, sagt Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller. „Auch in der Produktion von neuen Corona-Medikamenten spielt der Standort seine Hochtechnologie-Expertise aus.“
Eine Illusion blieb es dagegen, auch die Produktion massenhaft benötigter Wirkstoffe zum Beispiel gegen Bluthochdruck aus Indien und anderswo zurückzuholen. Dies wäre nicht rentabel. Lieferengpässe plagen die deutschen Apotheken weiterhin. Trotzdem hat das Land in der Pandemie gelernt: Die Apotheken durften bei Engpässen wirkstoffgleiche Medikamente oder – nach Rücksprache mit Arzt und Ärztin – ähnliche Wirkstoffe abgeben. „Dadurch sind Lieferengpässe nicht mehr so stark hervorgetreten“, sagt Thomas Metz vom Bayerischen Apothekerverband. Es wäre gut, wenn dies so bliebe.
Zweigeteilt ist die Erfahrung mit Masken. Zu Beginn der Pandemie fehlten Masken hinten und vorne. Dann stiegen heimische Unternehmen in die Produktion ein, darunter Jäcklin in Augsburg. Jäcklin investierte rund eine Million Euro. Rund 50.000 Masken kann das Unternehmen am Tag herstellen. Doch im Sommer 2021 herrschte bei der Nachfrage schon wieder „tote Hose“, sagt Geschäftsführer Jürgen Jäcklin. Von Vorsorge kaum eine Spur. Erst im Herbst 2021 kam mit den neuen Corona-Wellen der Bedarf zurück. Vor allem Kliniken wie das Uniklinikum Augsburg schätzen die guten Masken „made in Germany“. Ein weiteres Problem: Kommunen oder die Polizei kaufen weiter chinesische Billigware statt deutsche Masken. „Das Vergabesystem in Deutschland ist eine absolute Katastrophe, allein der Preis zählt“, kritisiert Jäcklin. Dabei sei der Preisunterschied zwischen chinesischer Billigware und einer hochqualitativen deutschen Maske mit 10 bis 15 Cent Differenz nicht so groß.