Viel ist im Advent darüber zu lesen gewesen, wie stark die Gesellschaft auseinanderdriftet. Wie heftig die eigenen Standpunkte und Überzeugungen verteidigt und Andersdenkende abqualifiziert werden. Schon länger bemerke ich, dass auch unter Hundehaltern der Ton rauer geworden ist. Überall trifft man auf perfekte Auskenner mit dem unbändigen Wunsch, ihre Überzeugungen kundzutun. Gern auch vorwurfsvoll, wie folgende Beispiele zeigen.
Aha, Sie haben ihren Hund vom Züchter. Furchtbar, wo es doch so viele arme Hund gibt, die ein Zuhause suchen. – Ihr Hund ist aus dem Tierheim? Das kann nicht gut gehen, die sind alle traumatisiert und machen nur Probleme. - Oh nein, Ihr Hund bekommt doch wohl kein Fertigfutter? Alles voller Abfälle und Lockstoffe. - Wie, Sie kochen selber für den Hund. Wie dekadent. Woanders verhungern Kinder. – Enthält das Futter etwa Getreide? Darf der Hund auf keinen Fall haben. – Knochen? Sind Sie verrückt? – Das ist doch gesalzen. Wollen Sie den Hund umbringen? – Sie verwenden eine Flexileine? Ich dachte, Sie kennen sich aus. – Warum nehmen Sie denn keine Flexileine? Dann hat er mehr Spielraum zum Schnuppern. – Können Sie die Leine nicht losmachen? Der muss sich doch auch austoben! – Können Sie den Hund gefälligst anhängen? Der muss hier wirklich nicht frei herumrennen. - Im Ernst, Sie ziehen dem Hund im Winter einen Pullover an? Bitte, das ist ein Hund. – Warum ziehen Sie Ihrem Hund keinen Pullover an? Der friert doch! - Wieso sitzt Ihr Hund in einem Kinderwagen? Kann der nicht selber gehen? – Oje, der arme Hund humpelt aber. Ein Wagen wäre sicher gut für ihn. - Ehrlich, Ihr Hund bekommt ein Weihnachtsgeschenk? Schreckliche Vermenschlichung. – Und warum bekommt Ihr Hund nichts? Gehört der bei Ihnen etwa nicht zur Familie?
Beziehungsleben ist vielschichtig - zum Glück
Das ist nur eine kleine Auswahl an Vorwürfen und Kommentaren, die fast alle Hundebesitzer so oder in ähnlicher Form wohl kennen. Einige davon sind inhaltlich tatsächlich berechtigt, andere aber völlig sinnlos und halten keinem Faktencheck stand. Ab und zu ein kleines Stück Wurst, das Salz enthält, bringt einen gesunden Hund nicht um. Und ob sich ein Hund im Winter mit oder ohne Pullover wohler fühlt, weiß im Regelfall der Besitzer am besten, weil er sein Tier so gut kennt wie niemand sonst. Nicht falsch verstehen: Wenn ein Tier gequält wird, sollte man unbedingt einschreiten. Aber längst nicht jede Art des Miteinanders, die einem selbst widerstrebt, ist gleich Tierquälerei und bedarf eines Vorwurfs. Beziehungsleben ist so vielschichtig, dass man sich aus einer einzelnen Situation besser noch kein endgültiges Urteil bilden sollte.
Kürzlich war ich bei einem älteren, pensionierten Tierarztkollegen und seiner Frau zu Besuch. Beim Essen sprang ihr kleiner Hund fröhlich auf den Sessel neben ihm und schaute ihn erwartungsfroh an. Krümel bekam sofort eine Spiralnudel – und noch eine und noch eine. Den Hund vom Tisch füttern?! Früher hätte es sowas in diesem Haus nicht gegeben. Ein vom Tisch gefütterter Hund kann zu einem sehr lästigen Mitbewohner werden, der sein Recht unter Umständen hartnäckig einfordern wird. Und einige Bestandteile menschlicher Menüs sind für Hunde ungesund oder sogar schädlich. Mein verwunderter Blick war wohl der Anlass für diese Worte meines Kollegen: „Ich weiß, ich weiß, das müsste nicht sein. Und natürlich kann das unter Umständen zu Problemen führen. Aber ich kenne mich aus. Unser Hund ist kerngesund, brav und folgsam. Mir macht das Füttern am Tisch inzwischen Spaß. Ich bitte also um Nachsicht. Geht das in Ordnung für dich?“ Aber sicher.
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