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Temu-Boom bedroht Einzelhandel: So reagiert die EU auf Online-Riesen

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Temu setzt den Einzelhandel unter Druck

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    Das asiatische Shoppingportal Temu hat sich in weniger als zwei Jahren zu einem der größten Online-Händler in Deutschland entwickelt.
    Das asiatische Shoppingportal Temu hat sich in weniger als zwei Jahren zu einem der größten Online-Händler in Deutschland entwickelt. Foto: Hannes P. Albert, dpa

    Billige Preise, unsichere Produkte und Gewinnspiele: Der Online-Marktplatz Temu steht in der Kritik, breitet sich aber scheinbar ungebremst aus. Während der Einzelhandel besorgt auf das Weihnachtsgeschäft blickt, rechnet die Paketbranche weiter mit Wachstum. Treiber dafür sind nach Angaben des Bundesverbands Paket- und Expresslogistik (BPEX) Sendungen von asiatischen Plattformen wie Temu. Seit weniger als zwei Jahren ist der Online-Händler in Deutschland aktiv und wächst rasant.

    Vor einem Jahr machten Lieferungen von Temu 2,1 Prozent aller Bestellungen aus. Nicht einmal ein Jahr später waren es bereits 4,8 Prozent aller Sendungen, die von Deutschland aus bestellt wurden. Das geht aus Zahlen des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) hervor. Der chinesische Online-Marktplatz landet damit auf Rang vier hinter Amazon, Otto und Ebay und hat sich in weniger als zwei Jahren zu einem der größten Online-Händler entwickelt.

    Mit dem Weihnachtsgeschäft und der sogenannten „Black Week“ vor der Tür rechnen Experten mit einem weiter steigenden Marktanteil der Plattform. Der Handelsverband Bayern geht - konservativ gerechnet - von rund 250 Millionen Euro Umsatz aus, den asiatische Anbieter, zu denen neben Temu auch Shein gehört, im bayerischen Weihnachtsgeschäft erzielen werden. Das wäre ein Plus von 20 bis 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

    Temu lockt mit billigen Preisen, Produktsicherheit ist oft nicht gewährleistet

    Temu gilt seinen Kritikern als der Ramschladen des Internets. Bei dem Online-Händler sind fast alle Produkte günstiger als anderswo. Eine Wintermütze gibt es für 4,80 Euro, Christbaumkugeln mit Katzenmotiven für 3,60 Euro. Temu lockt Kundinnen und Kunden nicht nur mit billigen Preisen. Die Waren sind dabei häufig No-Name-Produkte und eine Ultra-Billigversion von Markenware. Zusätzlich wirbt Temu mit zeitlich begrenzten Angeboten, hohen Rabatten und Glücksspielen.

    Die Europäische Kommission hat den chinesischen Online-Marktplatz indes wegen möglicher Verstöße gegen EU-Recht unter die Lupe genommen. Die Brüsseler Behörde leitete kürzlich ein formales Verfahren ein. Sie prüft laut einer Mitteilung die potenziell süchtig machende Gestaltung der Plattform und die Frage, ob Temu genug gegen den Verkauf illegaler Produkte unternimmt. Bestimmte unseriöse Händler würden wieder auf der Plattform auftauchen, nachdem sie gesperrt worden seien, hieß es von der Kommission.

    „Temu muss nun die EU-Vorschriften ernst nehmen und seine Praktiken vollständig mit unserem Verbraucherrecht in Einklang bringen“, sagte der zuständige Justizkommissar Didier Reynders. Als problematische Praktiken seien falsche Rabattaktionen, gefälschte Bewertungen sowie fehlende und irreführende Informationen zu Rechtsansprüchen der Verbraucher festgestellt worden. Auch Kontaktangaben verstecke Temu, sodass sich Kundinnen und Kunden nicht ohne Schwierigkeiten an die Plattform wenden könnten.

    Bemängelt wird im Hinblick auf Spielzeug besonders, dass die Ware, die über Temu bestellt wird, häufig nicht dem europäischen Standard entspricht. Auf den Spielwaren fehlt laut dem BEVH-Experten Frank Düssler teils das CE-Zeichen. Das Symbol sagt aus, dass der Hersteller das Produkt geprüft hat und alle EU-weiten Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz erfüllt. Dass die EU gegen Temu vorgeht, wertet Düssler als gutes Zeichen. „Jetzt wird sich zeigen, ob die EU-Vorschriften umsetzbar sind“. Ohne CE-Zeichen dürfen Spielwaren in der EU eigentlich nicht verkauft werden.

    Temu hat den Online-Handel revolutioniert

    Temu hat es in kürzester Zeit geschafft, den E-Commerce zu revolutionieren. Die Preise kann der asiatische Händler unter anderem so günstig halten, da die Ware, die über Temu bestellt wird, direkt vom Händler zum Kunden gesendet wird. Zwischenhändler und Lagerlogistik entfallen. Die Sendungen werden in kleinen Paketen von den Fabriken oder Kaufhäusern in China zum Empfänger gesendet. Der Online-Riese aus den USA, Amazon, führt den Konsumenten zum Händler. Bei Temu wird der Händler hingegen zum Konsumenten geführt, wie Düssler erklärt. Manche Ware, die bei Temu angeboten werde, sei noch gar nicht hergestellt. „Die Wertschöpfungskette wird umgedreht“. Die Lieferzeiten können dafür länger sein.

    Der Online-Marktplatz bedient sich zudem mitunter in einem gigantischen Einkaufszentrum in China. In der Metropole Yiwu südwestlich von Shanghai steht ein Komplex mit etwa 75.000 Geschäften. Auf Videos ist zu sehen, was in dieser Hauptstadt der Billigware angeboten wird: singende Puppen, bunte Fußbälle und Plüschtiere. Aus Yiwu kommt zudem etwa 80 Prozent der Weihnachtsdekoration, die rund um die Welt zum Fest aufgehängt wird.

    Die günstige Ware aus Fernost setzt die Einzelhändler in Deutschland unter Preisdruck. Selbst wenn die Kundschaft und das Geschäftsmodell ein anderes sind, bemerken auch Traditions- und Fachgeschäfte die Auswirkungen, da die Innenstädte sich leeren. Beim Spezialisten für Weihnachtsdeko „Käthe Wohlfahrt“ mit Sitz in Rothenburg ob der Tauber sieht man die Entwicklung zudem wegen eines anderen Punktes kritisch. „Produkte von Discountern wie von Temu verlieren schnell an emotionalem Wert. Durch die unglaublich günstigen Preise kommt der Großteil der Verbraucher nicht einmal mehr auf die Idee, das Produkt wertzuschätzen, geschweige denn darauf Acht zu geben, was die Wegwerfkultur immer mehr fördert“, sagt Geschäftsführer Takuma Wohlfahrt. (mit dpa)

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