Es ist ein Kernanliegen der SPD für diese Legislaturperiode: Mit dem sogenannten Tariftreuegesetz soll festgeschrieben werden, dass Aufträge des Bundes künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden dürfen, die ihren Beschäftigten Tarif-Arbeitsbedingungen bieten. Die FDP bremst bei dem Projekt. Nun hat Arbeitsminister Hubertus Heil den Entwurf des Gesetzes, das er zusammen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verantwortet, an die betroffenen Verbände verschickt. Das sieht er vor:
Warum will die SPD das Gesetz?
Das grundlegende Problem aus Sicht der Sozialdemokraten ist die seit Jahren zurückgehende Tarifbindung in Deutschland. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes galt im früheren Bundesgebiet noch 1998 für 76 Prozent der Beschäftigten ein Branchen- oder Firmentarifvertrag. Bis zum vergangenen Jahr ist diese Quote auf 51 Prozent gesunken. Im Osten Deutschlands sind die Zahlen noch niedriger, sie sanken von 63 Prozent auf 44 Prozent.
Tarifverträge bieten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Regel ein höheres Einkommen und bessere Arbeitsbedingungen. Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) liegt das Lohnplus bei gleicher Tätigkeit im Schnitt bei elf Prozent. Hinzu kommen häufig bessere Regelungen bei Arbeitszeit, Urlaub oder etwa der Altersversorgung. Bislang, so steht es in dem Gesetzesentwurf, belohne das Vergaberecht aber ausgerechnet Firmen, die nicht tarifgebunden sind. Sie könnten niedrigere Angebote abgeben, da ihre Personalkosten geringer sind.
Welche Regeln sind geplant?
Ab einem geschätzten Auftragswert oder Vertragswert von 30.000 Euro sollen bei Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen des Bundes künftig nur noch Unternehmen zum Zug kommen, die ihren für die Aufträge beschäftigten Mitarbeitern tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren. Welche das im jeweiligen Fall sind, will das Arbeitsministerium per Rechtsverordnung für jede Branche festlegen. Weil das Konfliktpotenzial hier hoch sein dürfte, soll eine Clearingstelle eingerichtet werden, die in Streitfällen eine Empfehlung abgeben kann. Das Gremium soll aus je drei Vertretern der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite bestehen.
Teil des Gesetzentwurfs sind auch neue Regeln für Betriebsräte. Viele Unternehmen versuchten, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern oder zu behindern. Verfolgt werden solche Delikte bislang nur auf Antrag. Künftig sollen die Staatsanwaltschaften von sich aus tätig werden müssen, wenn sie Hinweise bekommen, dass Straftaten vorliegen könnten. Betriebsratswahlen sollen zudem digitaler werden. Bei regelmäßigen Wahlen im Jahr 2026 soll es probehalber zusätzlich die Möglichkeit geben, seine Stimme online abzugeben. In einem ersten Entwurf des Gesetzes war noch die Rede von einem digitalen Zugangsrecht für Gewerkschaften in die Betriebe. Das steht nun nicht mehr in dem Text.
Wie soll kontrolliert werden?
Eine neue Prüfstelle Bundestariftreue bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See soll die Einhaltung der Regeln stichprobenartig prüfen. Auch Beschäftigte von Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen sollen von den Regeln profitieren. Der Auftragnehmer muss die Einhaltung der Regeln auch von diesen Partnerunternehmen einfordern und im Zweifelsfall nachweisen.
Eine Befreiung von der Nachweispflicht ist möglich, wenn die Subunternehmen oder Leiharbeitsfirmen ein sogenanntes Präqualifizierungsverfahren durchlaufen und dabei ein Zertifikat erworben haben, das ihnen die Tariftreue bestätigt. Bei Verstößen gegen die Regeln drohen den Auftragnehmern Vertragsstrafen und die fristlose Kündigung des Auftrags sowie der Ausschluss von weiteren Vergabeverfahren.
Was sagt die Wirtschaft?
Bedeutende Teile der Wirtschaft lehnen das Gesetz ab. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), sagte unserer Redaktion: „Das sogenannte Tariftreuegesetz ist ein Tarifzwangsgesetz. Die Bundesregierung macht die öffentliche Auftragsvergabe nur teurer, bürokratischer und komplexer. Das schadet gerade kleineren und mittleren Unternehmen, die sich vielfach aus dem Wettbewerb zurückziehen werden.“ Die Arbeitgeber plädierten dafür, die Tarifbindung durch mehr Öffnungsklauseln in Tarifverträgen zu erhöhen. Unternehmen hätten dann die Möglichkeit, im Rahmen der Tarifpartnerschaft einzelne Regelungen wegzulassen.
Zu den Neuregelungen bei Betriebsräten sagte Kampeter: „Die Drohung mit dem Staatsanwalt ist kein nachhaltiger Beitrag für den Betriebsfrieden. Die Verhinderung und Behinderung von Betriebsräten ist schon heute eine Straftat. Die Zahl der jährlich zur Anklage gebrachten Fälle liegt im einstelligen Bereich. Es gibt daher kein Bedürfnis für eine Änderung der Rechtslage.“
Wie reagieren die Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften begrüßen das Vorhaben. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte unserer Redaktion: „Vergabestellen geben meist dem günstigsten Angebot den Zuschlag, ohne dabei auf Folgekosten zu achten, die aus Lohndumping und niedrigen Arbeitsstandards entstehen. Angesichts der Tatsache, dass nur noch knapp ein Viertel der Betriebe tarifgebunden sind, wäre es naiv zu glauben, dass öffentliche Aufträge – und damit unser Steuergeld – vordringlich an tarifgebundene Bieter gehen.“ Die öffentliche Hand vergebe jährlich Aufträge im dreistelligen Milliardenbereich, etwa ein Drittel bis ein Viertel davon entfalle auf den Bund.
Bei der Behinderung von Betriebsratsarbeit oder -wahlen müssten Arbeitgeber de facto bislang wenig fürchten. „Fast jede fünfte Betriebsratsgründung wird von der Arbeitgeberseite behindert, besonders oft bei inhabergeführten Unternehmen. Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, werden gezielt eingeschüchtert und schikaniert. Das ist für Betroffene nicht nur nervenaufreibend, es kann auch existenzbedrohend sein“, sagte Körzell. Er fordert daher Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei den Ländern einzurichten: „Dadurch entstünde zwangsläufig eine Spezialisierung, die die Praxis besser versteht und auch Behinderungsstrategien aufdecken kann.“
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden