Seit Monaten verlangt der Tarifstreit bei der Bahn den Fahrgästen Einiges ab. Am Dienstag könnte es zum inzwischen sechsten Mal aufgrund von Arbeitskämpfen der Gewerkschaft GDL zu Einschränkungen kommen. Daran wird voraussichtlich auch der Versuch der Bahn nichts ändern, den Ausstand gerichtlich stoppen zu lassen. Der Konzern hat vor dem Arbeitsgericht Frankfurt einen Antrag auf einstweilige Verfügung eingelegt.
Worauf müssen sich Fahrgäste einstellen?
Egal, ob die Gerichte den Streik stoppen oder nicht: Auf der Schiene dürfte es am Dienstag zu erheblichen Einschränkungen kommen. Erst für den späteren Montagabend war mit einer Entscheidung zu rechnen. Dass die Bahn dann den bereits aufgestellten Notfahrplan wieder kippt und das vollständige Angebot bis zum Betriebsbeginn am Dienstagmorgen wieder aufstellen kann, galt als unwahrscheinlich. Daher wird wie schon bei vorigen Streiks voraussichtlich jeder fünfte Fernzug unterwegs sein. Im Regionalverkehr könnte der Verkehr mancherorts schon schneller wieder wie gewohnt rollen.
Wie lange geht das mit den Streiks noch?
Der Tarifstreit bei der Bahn schwelt seit Monaten. Auch eine moderierte Verhandlungsphase mit externen Vermittlern brachte keinen Erfolg. Über Wochen wurde hinter verschlossenen Türen miteinander gesprochen. Einen Vorschlag der Moderatoren, die Arbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 36 Stunden abzusenken, wurde von der GDL abgelehnt. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel geht davon aus, dass der Konflikt nur mit einem vollständigen Einlenken der Bahn auf die GDL-Forderung nach 35 Stunden beigelegt werden kann. "Es ist also nicht mehr die Frage des ob, sondern des wie", sagt er. "Das sollte die Bahnführung besser schneller als später anerkennen und auf dieser Grundlage auch verhandeln." Die Forderung der GDL nach 35 Stunden ohne Lohnverlust gilt als Knackpunkt.
Ist es der härteste Tarifkonflikt bei der Bahn?
Das kommt darauf an, welchen Maßstab man anlegt. Sowohl was die Dauer des Tarifkonflikts als auch die Zahl der Arbeitskämpfe angeht, war der Tarifstreit zwischen der GDL und der Bahn 2014/2015 härter. Ein ganzes Jahr lang rangen beide Seiten damals um Lösungen. Erst eine formale Schlichtung führte schließlich zur Einigung. Mit zwei Warnstreiks und sechs Streiks brachte die GDL den Verkehr damals immer wieder zum Erliegen.
Die aktuelle Auseinandersetzung läuft seit November. Doch bei der Zahl der Arbeitskämpfe nähert sich die GDL inzwischen an. Nach zwei Warnstreiks im November folgte im Dezember eine Urabstimmung unter den Mitgliedern. Seither sind unbefristete Streiks möglich. Sollte es am Dienstag zum nächsten Arbeitskampf kommen, wäre das der vierte Streik seit der Abstimmung und insgesamt der sechste Ausstand im laufenden Tarifstreit.
Dass der derzeitige Konflikt manchem Fahrgast deutlich länger vorkommen könnte, liegt daran, dass im vergangenen Jahr auch die größere EVG über Monate hinweg über höhere Tarife verhandelte. Auch dabei kam es immer wieder zu Arbeitskämpfen. Nur wenige Monate nach einer Einigung lief dann der GDL-Tarifvertrag aus.
Warum eskalieren GDL-Bahn-Tarifkonflikte so oft?
Das hat unter anderem mit der Rolle der GDL bei der Bahn zu tun. Sie ist neben der EVG die kleinere von zwei Gewerkschaften, die beim Konzern um Mitglieder konkurrieren. Das sogenannte Tarifeinheitsgesetz legt fest, dass in einem Betrieb nur die Tarifverträge der mitgliederstärkeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. "Deshalb tritt die Lokführergewerkschaft nach meiner Beobachtung so unglaublich hartnäckig auf", sagte die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, der "Augsburger Allgemeinen". "Die GDL will damit mehr Mitglieder gewinnen und unter Beweis stellen, dass sie ihren Mitgliedern mehr zu bieten hat. Gäbe es nur eine Gewerkschaft bei der Bahn oder könnten unterschiedliche Verträge angewendet werden, dann wäre der Konflikt weniger groß."
Hinzu kommt, dass die GDL zwar eine kleine Gewerkschaft ist. Sie vertritt aber hauptsächlich Lokführer und das Zugpersonal, ohne die ein Zug nicht fährt. Ein Streik dieser Beschäftigten hat insofern automatisch eine große Wirkung.
Könnte eine formale Schlichtung ein Ausweg sein?
Die Bahn hatte die GDL erneut aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und eine formale Schlichtung ins Spiel gebracht. GDL-Chef Claus Weselsky lehnt das ab. Er verwies auf die jüngst gescheiterten Verhandlungen, bei denen zwei erfahrene Schlichter - der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther - mit am Tisch saßen. Doch die Gespräche hatten lediglich Schlichtungscharakter. Die beiden Moderatoren konnten zwar einen Einigungsvorschlag machen. Dieser war aber nicht bindend. Für eine formale Schlichtung bedarf es hingegen einer vorherigen Schlichtungsvereinbarung zwischen beiden Tarifparteien. Diese sieht in der Regel die Möglichkeit eines verpflichtenden Schlichterspruchs vor. Bisher ist nicht erkennbar, dass die Gewerkschaft sich darauf einlässt.
Was ist von Forderungen zu halten, die Verhandlungsführer auszutauschen?
Diese Forderung kommt vor allem aus der Union. "Die Herren Seiler und Weselsky haben sich dermaßen verhakt, dass sie den Weg frei machen müssen für neue Verhandlungsführer im Tarifstreit", sagte etwa Unionsfraktionsvizechef Ulrich Lange der "Bild am Sonntag". "Hier tragen zwei Streithähne offenbar auch eine persönliche Fehde aus, und die Bahnkunden müssen es ausbaden." Gemeint sind Bahn-Personalvorstand Martin Seiler und Weselsky. Doch so einfach können die Köpfe einer Tarifverhandlung nicht ausgetauscht werden.
"Bei der Bahnführung geht das", sagt Politikwissenschaftler Schröder. "Das ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Und wenn die sagen, der Mann bringt’s nicht - was ja offensichtlich der Fall ist - kann jemand Neues zum Zug kommen." Doch bisher zeichnet sich nicht ab, dass das Unternehmen Seiler austauschen will.
Bei der GDL ist ein solcher Schritt noch unwahrscheinlicher. "Das ist ja ein demokratisch gewählter Repräsentant, gegen den es keine Vorbehalte aus den eigenen Reihen gibt", betont Schröder. "Insofern gibt es dafür keinerlei Grundlage."
Sollte die Bundesregierung einschreiten?
Angesichts des festgefahrenen Konflikts werden solche Forderungen lauter. Man könne die Situation nicht länger laufen lassen, sagte etwa CSU-Generalsekretär Martin Huber in der RTL/ntv-Sendung "Frühstart". "Insofern ist die Bundesregierung gefordert, hier auch mitzuverhandeln und mitzuschlichten." Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) müsse mitverhandeln. Der Minister hatte sich zuletzt immer wieder kritisch vor allem zum Verhalten der GDL geäußert. Doch die Bundesregierung stellte erneut klar, dass sie sich nicht einmischen werde. "Es gibt Tarifautonomie in Deutschland. Die gilt auch, wenn es unbequem wird", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Deutschland fahre seit mehr als sieben Jahrzehnten gut mit dieser Regelung.
"Was sicherlich unschön wäre, wenn es vor laufenden Kameras eine Intervention gäbe, weil das mit dieser Symbolik weitreichende Auswirkungen auf unser Verständnis von Tarifautonomie hätte", sagt Politikwissenschaftler Schröder.
(Von Matthias Arnold und Patricia Bartos, dpa)