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Steuern: Trüffel sieben Prozent, Windeln 19 Prozent

Steuern

Trüffel sieben Prozent, Windeln 19 Prozent

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    Der Bundesrechnungshofs in Bonn.
    Der Bundesrechnungshofs in Bonn. Foto: picture alliance / dpa

    Christian Lindner war noch Generalsekretär der FDP, als er Steuer-Deutschland ein Versprechen gab. Die schwarz-gelbe Koalition, kündigte der heutige Finanzminister im September 2010 an, werde die Mehrwertsteuer einer Revision unterziehen. Motto: Weniger Ausnahmen, mehr Gerechtigkeit. Knapp 14 Jahre später hält der Bundesrechnungshof Lindner nun den Spiegel vor: Eine Reform, wie die Liberalen sie damals geplant, aber nicht durchgesetzt haben, würde dem Fiskus zusätzliche Steuereinnahmen von 35 Milliarden Euro im Jahr einbringen. 

    Schnittblumen werden anders besteuert als Topfpflanzen

    Konkret geht es um den ermäßigten Satz von sieben Prozent, der ursprünglich nur auf Waren und Dienstleistungen erhoben werden sollte, die den "grundlegenden Bedarf des täglichen Lebens" decken – Lebensmittel, Zeitungen, Bücher, Tickets für den Nahverkehr etwa. Mit den Jahren allerdings ist die Liste der Ausnahmen immer länger und der Dschungel an Widersprüchlichkeiten immer dichter geworden. Für einen Apfel, zum Beispiel, zahlt ein Kunde im Supermarkt den ermäßigten Satz von sieben Prozent, für Apfelsaft dagegen die vollen 19 Prozent. Bei normalen Kartoffeln nimmt der Fiskus ebenfalls sieben Prozent, bei Süßkartoffeln dagegen den regulären Satz. Oder, noch augenfälliger: Babynahrung kostet 19 Prozent Mehrwertsteuer, Hundefutter dagegen nur sieben Prozent. Und wer in der Gärtnerei frische Schnittblumen kauft, kommt ebenfalls in den Genuss des ermäßigten Satzes, bei einer Topfpflanze aber zahlt er (oder sie) den vollen. 

    Trotz der zweistelligen Milliardenbeträge, die durch eine Entschlackung der Ausnahmen zusätzlich beim Staat landen würden, hat bisher aber noch jeder Finanzminister eine solche Reform gescheut. Sie würde bedeuten, sich mit einer Phalanx an Lobbygruppen anzulegen – nämlich mit praktisch allen Branchen von den Gärtnern bis zu den Herstellern von Tierfutter, die das Privileg des ermäßigten Steuersatzes verlieren würden und ihre Preise erhöhen müssten. Kein Finanzminister, schon gar keiner von der FDP, will ein Jahr vor der Wahl die Wähler mit Steuererhöhungen und Mehrbelastungen verschrecken. Wie vor ihm schon Wolfgang Schäuble hat auch Lindner alle entsprechenden Überlegungen gestoppt. Eine eigens eingesetzte Arbeitsgruppe, heißt es aus dem Ministerium lapidar, halte das Vorhaben aus "aktuellen ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen" für politisch nicht durchsetzbar. 

    Windeln sind keine Güter des täglichen Bedarfs

    Der Bundesrechnungshof dagegen moniert regelmäßig die Willkür bei den ermäßigten Sätzen. Eine Reform sei überfällig, heißt es jetzt in einem Schreiben an Lindner, aus dem der Spiegel zitiert. Seit dessen Versprechen aus dem Jahr 2010 ist der Steuerschaden durch zunehmende Ausnahmeregelungen danach um zehn Milliarden Euro jährlich gestiegen. Unter anderem hatte die schwarz-gelbe Koalition damals entschieden, der Hotellerie den reduzierten Satz zuzugestehen, später kamen Damenbinden und andere Hygieneprodukte dazu. Als Beispiel für die ganze Widersprüchlichkeit führen die Rechnungsprüfer einen Kaffee an, den sich jemand zum Mitnehmen in einer Bäckerei holt. Bestehe er vor allem aus heißem Kaffee und nur einem Schuss Milch, entfallen darauf 19 Prozent Mehrwertsteuer. Lediglich sieben Prozent dagegen zahle, wer aufgeschäumte Milch mit einem Espresso bestelle, also einen Latte Macchiato. Und wer es gerne etwas luxuriöser hat, sollte wissen, dass auf Hummer und Kaviar die volle Mehrwertsteuer fällig ist, Trüffel dagegen sind steuerlich begünstigt. Sie gehören damit zum täglichen Bedarf – nicht dagegen die Windeln, die eine junge Familie kauft. Die werden nämlich mit 19 Prozent besteuert. 

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