Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Staaten wollen Atomkraft ausbauen: Chance für neue, kleine Reaktoren (SMR)?

Atomkraft

Steckt eine Zukunftschance in den Mini-AKW?

    • |
    Statt großer AKW kleine, moderne Reaktoren? Das wird unter den Kernkraft-Befürwortern heiß diskutiert.
    Statt großer AKW kleine, moderne Reaktoren? Das wird unter den Kernkraft-Befürwortern heiß diskutiert. Foto: Sina Schuldt, dpa

    Als sich die Staaten im Herbst 2023 in Dubai auf der Weltklimakonferenz trafen, stand die Frage im Mittelpunkt, ob sich die Erderwärmung auf 1,5 Prozent begrenzen lässt. Es ging um den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen Öl, Kohle und Gas und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Am Rande der Konferenz ist allerdings noch ein Beschluss gefasst worden, der wegweisend für die weltweite Energieversorgung sein könnte, im Atomausstiegs-Land Deutschland aber nicht die größte Aufmerksamkeit bekam. Über 20 Staaten – darunter die USA, Frankreich und Großbritannien – unterzeichneten eine Erklärung, die nukleare Energieerzeugung bis zum Jahr 2050 zu verdreifachen. Wenn man die Schaffung von Arbeitsplätzen, Unabhängigkeit und Klimaschutz vereinbaren will, sei nichts nachhaltiger und verlässlicher als die Kernkraft, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. In dieser Woche haben sich nun rund 30 Staaten auf einem ersten Atomenergie-Gipfel in Brüssel auf Einladung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verpflichtet, sich für den schnelleren Ausbau einzusetzen. In den Fokus rücken neue, kleinere Atomkraftwerke. Bekommt die Technik eine neue Chance? 

    In Deutschland sind im Jahr 2023 die letzten laufenden Atomkraftwerke abgeschaltet worden. International sieht es anderes aus: Weltweit erzeugten Mitte 2023 insgesamt 407 Kernkraftwerke Strom, das geht aus dem unabhängigen World Nuclear Industry Status Report hervor. 58 Reaktoren waren im Bau, im Laufe der Jahre gehen aber auch zahlreiche Reaktoren vom Netz. Die Atomkraft stand dem Report zufolge schon einmal stärker da. Noch 2002 waren 438 Reaktoren in Betrieb. Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung sei von 17,5 Prozent im Jahr 1996 – dem absoluten Höhepunkt – auf 9,2 Prozent gesunken. 

    SMR: Über 140 Designs sind bekannt

    Die Hoffnung ruht häufig auf kleineren, modernen Kraftwerkstypen, das Schlagwort lautet Small Modular Reactor, kurz SMR. Diese haben nach Angaben des Bundesamtes für Sicherheit der nuklearen Entsorgung eine Leistung von 10 bis 300 Megawatt. Auf 300 Megawatt kommt zum Beispiel ein mittleres Gaskraftwerk. Die Anfänge der Entwicklung reichen in die 50er-Jahre zurück, als man begann, die Atomkraft als Antrieb in U-Booten nutzbar zu machen. Bei den heutigen Konzepten handele es sich um klassische Leichtwasserreaktoren mit geringer Leistung bis hin zu andersartigen Konzepten, für die bislang aber wenig oder keine industrielle Vorerfahrung vorliege, beispielsweise Hochtemperatur- oder Salzschmelze-Reaktorkonzepte. In die Entwicklung fließt viel Geld: Frankreichs Präsident Macron hat im Februar 2022 beispielsweise eine Milliarde Euro für die Forschung bereitgestellt. 

    Derzeit seien über 140 Designs für SMR bekannt, berichtet Professor Jörg Starflinger, Direktor des Instituts für Kernenergetik und Energiesysteme an der Universität Stuttgart. "Einige Konzepte sind relativ weit, es gab aber auch Rückschläge", erklärt er den Stand der Dinge. Bisher sind nur in Russland und China Anlagen dieser Art in Betrieb. In Europa gibt es bisher keine Anlage und damit auch keine Betriebserfahrung. "Europa braucht einen oder mehrere Prototypen, die funktionieren und sich durchsetzen", sagt der Forscher. Die Anlage ließe sich vorzeigen und bei hinreichender Rentabilität sicher auch exportieren. "Ich unterstütze deshalb diese Initiative. Es gibt aber auch noch viel zu forschen und zu entwickeln." 

    Professor Jürgen Starflinger: AKW-Laufzeiten von 60 bis 80 Jahren machbar

    Dass in Europa in naher Zukunft flächendeckend Kleinreaktoren entstehen, damit rechnet Starflinger aber eher nicht. "Die kleineren Reaktoren haben Sinn in abgelegeneren Regionen mit kleineren Stromnetzen", ist er überzeugt. "Für das große europäische Stromnetz ist es derzeit sinnvoller, die bestehenden großen Kernkraftwerke zu erhalten. Existierende, abgeschriebene Kraftwerke produzieren extrem preiswert Strom." Eine Laufzeit von 60 bis 80 Jahren sei bei Wartung und Pflege machbar. In der Union, aber auch in der FDP bedauert man den deutschen Atomausstieg 2023. Die CSU setzt sich für die Nutzung kleiner, moderner Reaktoren und für die Kernfusion ein, die FDP vor allem für die Kernfusion. 

    Gerade bei den kleineren Reaktoren sind andere Forscher aber skeptisch, darunter Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. "Wirklich sichere Kernkraftwerke gibt es nicht", sagt er. "Bei kleinen modularen Reaktoren wären die Gefahren pro Reaktor geringer, da diese weniger radioaktives Material beinhalten", erklärt er. "Die Zahl der Reaktoren müsste aber insgesamt viel größer sein. Es müssten viel mehr Kernbrennstoffe transportiert werden, die Verbreitung von kernwaffenfähigem Material nähme zu und das radioaktive Müllproblem ist nach wie vor nicht zufriedenstellend gelöst. All das erhöht die Katastrophenwahrscheinlichkeit. Von mehr Sicherheit brauchen wir dabei nicht zu reden", sagt Quaschning. "Zudem ist die Wirtschaftlichkeit dieser Reaktoren im Vergleich zu erneuerbaren Energiesystemen mehr als fraglich", fügt er an. Tatsächlich ist im November 2023 in Idaho, USA, ein Vorzeige-Projekt für ein Mini-AKW wegen fehlender Rentabilität eingestellt worden. 

    Professor Volker Quaschning, Berlin: Kernfusion frühestens in 30 Jahren verfügbar

    Aber auch bei Kernfusion rechnet Forscher Quaschning nicht mit schnellen Durchbrüchen: "Die Forschungsministerin hatte in einem Interview verkündet, dass die Kernfusion möglicherweise in 10 Jahren zur Verfügung stände", sagt er. "Wirklich seriöse Schätzungen gehen aber eher von 30 Jahren aus", erklärt er. Es müssten noch viele technische Probleme gelöst werden. "In 30 Jahren müssen wir aber eigentlich weltweit schon klimaneutral sein", ruft der Forscher in Erinnerung. "Was soll uns eine Technologie bringen, die – wenn überhaupt – viel zu spät kommt und dann auch noch erheblich teurer als schon heute verfügbare erneuerbare Energien sein wird?", gibt er zu bedenken. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden