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Verdi-Chef Frank Werneke schimpft auf Bürgergeld-Reform: „Wir sind zurück bei Hartz IV“

Interview

Verdi-Chef Werneke: „Wir sind zurück bei Hartz IV“

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    Verdi-Chef Werneke protestiert gegen die Bürgergeld-Reform der Bundesregierung.
    Verdi-Chef Werneke protestiert gegen die Bürgergeld-Reform der Bundesregierung. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Herr Werneke, Kanzler Scholz freut sich über den Haushalt für 2025 und die 49 Punkte umfassende Wachstums-Initiative der Bundesregierung. Wie groß ist Ihre Freude, schließlich soll dadurch die Wirtschaft angekurbelt werden? Am 17. Juli will sich das Kabinett damit befassen.

    Frank Werneke: Aus der Perspektive von Beschäftigten, Rentnerinnen und Rentnern sowie Transferleistungs-Beziehern kann ich in der Wachstums-Initiative außer den energiepolitischen Vorhaben nichts entdecken, was eine positive Strahlkraft besitzt.

    Von den 49 Wachstums-Luftballons der Ampel-Koalition, die jetzt in den Himmel steigen sollen, lehnen Sie also die meisten ab.

    Werneke (lacht): Eine Reihe der 49 Vorschläge sind zu vage formuliert, um sie abschließend zu bewerten. Die Vorschläge zur Begrenzung der Energiekosten gehen in die richtige Richtung, viele Vorschläge gehen jedoch komplett an der Arbeits- und Lebensrealität der Beschäftigten vorbei.

    Weshalb denn?

    Werneke: Etwa, weil die Bundesregierung Beschäftigte durch finanzielle Anreize motivieren will, länger zu arbeiten.

    Angesichts des Fachkräftemangels ist diese Initiative der Bundesregierung doch nachvollziehbar.

    Werneke: Die Realität zeigt aber: Viele Beschäftigte brechen schon jetzt unter der Arbeitslast zusammen.

    Doch die Bundesregierung will für Menschen, die nicht arbeiten und Bürgergeld beziehen, den Anreiz erhöhen, wieder einem Job nachzugehen. Das klingt nach Zeiten von Hartz IV und dem Prinzip des Förderns wie Forderns. Vollzieht die Ampel die Rolle rückwärts zu Hartz IV, zu einer Art Hartz IV light?

    Werneke: Mit den entsprechenden Plänen in der Wachstums-Initiative der Bundesregierung sind wir zurück bei Hartz IV. Damit ist die von der Ampel zunächst vorgenommene Bürgergeld-Reform Geschichte.

    Wir sind zurück bei Hartz IV?

    Werneke: Das sage ich ganz klar so: Wir sind zurück bei Hartz IV. Denn nach der Wachstums-Initiative wird das Schonvermögen der Bürgergeld-Empfänger reduziert, also das Vermögen, das nicht vom Staat herangezogen wird, wenn die Betroffenen Bürgergeld erhalten. Im Papier der Koalition heißt es, das Bürgergeld diene als existenzsichernde Leistung und sei nicht dafür da, das Vermögen Einzelner abzusichern. Diese Reduzierung des Schonvermögens setzt Arbeitssuchende, die bald Bürgergeld beziehen, natürlich massiv unter Druck.

    Ist das nicht ein heilsamer Druck?

    Werneke: Nein, so werden Arbeitslose unter Druck gesetzt, Jobs mit schlechten Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Denn sonst würde ihr mühsam für den Ruhestand angespartes Vermögen angetastet. Damit nicht genug: Nach der Bürgergeld-Reform der Bundesregierung müssen Arbeitssuchende unakzeptabel lange Pendler-Zeiten akzeptieren. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden am Tag wären die Betroffenen gezwungen, eine Anreise und Abreise zum Arbeitsort von bis zu drei Stunden und damit eine halbe Stunde mehr als bisher in Kauf zu nehmen. Das ist unzumutbar.

    Warum eigentlich? Viele Beschäftigte pendeln mit Zug und Auto durchaus länger zum Arbeitsplatz.

    Werneke: Hinter solchen Beschlüssen für lange Pendelzeiten steht das Klischee, Bürgergeld-Empfänger seien nicht arbeitsfähig und arbeitswillig. Das ist ein Zerrbild. Und noch einmal: Mit der Reduzierung des Schonvermögens und der Ausweitung der Pendelzeiten will die Bundesregierung Menschen unter Druck setzen, schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Das ist eben nichts anderes als Hartz IV.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht das als Liberaler entspannter. Denn die fordernde Bürgergeld-Reform sei ein Gebot der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, die arbeiten.

    Werneke: Nach Durchsicht des 49-Punkte-Papier habe ich den Eindruck gewonnen, dass hier in weiten Teilen den Forderungen der FDP nachgegeben wurde. Insofern ist es kein Wunder, dass Herr Lindner frohlockt. Wenngleich es schon ein Treppenwitz ist, wenn gerade er über Gerechtigkeit unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schwadroniert. Dass die FDP nicht die Interessen von Beschäftigten vertritt, zeigt sich gerade exemplarisch an der Initiative der Partei, das Streikrecht einzuschränken.

    Demnach wäre die FDP der Sieger des Koalitions-Pokers.

    Werneke: In der Wachstums-Initiative gibt es noch mehrere nachteilige Regelungen für Beschäftigte, die FDP-Positionen entsprechen. So soll der Arbeitsschutz durch das Aufweichen der täglichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden gelockert werden. Die Erbringung von Überstunden soll steuerlich begünstigt werden, aber nur für Vollzeitkräfte. Das benachteiligt eine riesige Gruppe von Menschen, die keine Alternative dazu haben, in Teilzeit zu arbeiten, darunter sehr viele Frauen. Und dann sollen sie auch noch motiviert werden, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten.

    Was ist daran so schlimm?

    Werneke: Hinter diesem Vorhaben steckt die Aussicht, Menschen, die ohnehin zu geringe Renten haben, zu bewegen, weiter zu arbeiten, um ihre Renten aufzubessern. Besser wäre es, wenn die Koalition dauerhaft armutsfeste Renten durchsetzen würde. Nach unserer jüngsten Umfrage unter den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, an der sich mehr als 250.000 Menschen beteiligt haben, sagen fast alle Befragten, dass sie unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen keine Chance sehen, gesund in Rente zu gehen. Viele sagen, sie können nicht noch mehr arbeiten. Sie wollen vielmehr weniger arbeiten. Die Menschen werden nicht freiwillig mehr arbeiten. 

    Nach Ihrer Ansicht müssten die Wachstumskräfte in diesem Land anders entfesselt werden, etwa durch massive Investitionen in die Infrastruktur.

    Werneke: Der Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur ist immens, der Investitionsstau in den Kommunen beträgt 160 Milliarden Euro, der Zustand vieler Schul-Toiletten steht sinnbildlich für diesen Mangel.  

    Haben Sie sich mal eine solche Toilette angeschaut?

    Werneke: Bei Terminen vor Ort lasse ich nichts aus. Die Pläne der Ampel führen jedenfalls zu einer weiteren finanziellen Schwächung der Kommunen, das ist der falsche Weg.

    Immerhin regt sich innerhalb der SPD Widerstand gegen das Wachstums-Paket und die Bürgergeld-Reform. Generalsekretär Kevin Kühnert hat Unmut geäußert.

    Werneke: Ich habe bislang nicht den Eindruck, dass die SPD-Spitze, die Verständigung in der Ampelkoalition zum Bundeshaushalt und zur sogenannten Wachstumsinitiative infrage stellt.

    Hartz IV ist der SPD nicht gut bekommen. Wie sieht es mit dem neuen Hartz IV aus, wie Sie das nennen? Hat die SPD nichts gelernt? Was sagen Sie dazu als SPD-Mitglied?

    Werneke: Verdi ist parteipolitisch unabhängig und so agiere ich auch als Vorsitzender. Geschichte wiederholt sich auch nicht eins zu eins. Heute ist die Zahl der betroffenen Arbeitslosen erfreulicherweise viel geringer als zu Zeiten der Hartz-Reformen unter Gerhard Schröder. Die Anmerkung erlaube ich mir jedoch: In den 49 Punkten der Wachstums-Initiative finde ich kaum etwas, mit dem die SPD und die Grünen bei unseren Mitgliedern punkten können.

    Besteht die Gefahr, dass sich nach der Bürgergeld-Rolle rückwärts noch mehr Menschen von der SPD abwenden und linkeren Parteien wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht zuwenden?

    Werneke: Ob das Bündnis Sahra Wagenknecht eine linke Partei ist, darüber ließe sich länger streiten. Wenn ich das richtig verfolge, tritt Frau Wagenknecht zumindest in der Bürgergeld-Debatte nicht besser auf als die FDP. Für mich stellt sich eine grundsätzliche Frage für die Ampel-Parteien: Wo befinden sich in diesem Wachstums-Paket Punkte, die Menschen von der Arbeit der Bundesregierung überzeugen? Hier sieht es mau aus. Denn mit dieser Initiative wird die Krise im Pflegebereich nicht angegangen, die Unterfinanzierung der Krankenhäuser wird nicht angepackt, der notwendige Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs unterbleibt und der Investitions-Stau in den Kommunen bleibt. Es fehlen die Entscheidungen, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt führen.

    Frank Werneke, 57, ist seit 2019 Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi.

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    2 Kommentare
    Thomas Keller

    Vielleicht findet sich in einer Sofaritze ja auch mal Sondervermögen um Rentner ihr Rentner-Dasein zu gewähren. Es reicht auch irgendwann einmal. Einen Nebenjob kann ja ein jeder Rentner nach Können und Wollen annehmen, viele werden aber froh sein endlich auch mal zur Ruhe zu kommen. Es sind genug Kinder auf der Welt die auch Arbeit mal brauchen werden.

    Benjamin Kübler

    Ich finde die Reform sehr gut. Wohlstand muss halt nun einmal zuerst erwirtschaftet werden, und ich finde es ungerecht, wenn sich daraus manche Menschen einfach herausnehmen. Warum sollten Menschen von Steuergeldern der arbeitenden Bevölkerung unterstützt werden, wenn sie noch genug Vermögen haben, um erstmal vom Ersparten zu leben? Natürlich sollte jemand, der sonst nichts findet, auch weniger attraktive Jobs annehmen müssen - diese Arbeit muss ja auch gemacht werden. Da muss man sich dann halt entscheiden, ob man an sein Vermögen geht oder (zeitweise) halt mal eine Arbeit annimmt, die man nicht so toll findet. Ich finde es auch sehr gut, dass Überstunden steuerlich begünstigt werden. Für mich wäre das auf jeden Fall ein Anreiz, mehr zu arbeiten - und wer es nicht möchte, muss ja auch nicht und hat dadurch keinen Nachteil. Und vielleicht bewegt sich auch die Gen. Z wieder mehr, wenn sie den Eindruck gewinnt, dass sich Leistung wieder lohnt und man nicht mehr für Fleiß bestraft wird.

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