Eisenbahner haben ihren eigenen Berufsstolz. Bei Wind und Wetter bringen sie Menschen und Güter von A nach B. Und das tun sie an jedem Tag des Jahres. Und in jeder Nacht. Doch der Stolz ist verwundet, klein gemacht. Seit drei Jahren taumelt die Deutsche Bahn in eine schwere Krise, die sich über drei Jahrzehnte aufgebaut hat.
Von A nach B dauert es häufig viel länger als geplant. Manchmal endet die Fahrt auch im Nirgendwo. „Wir schämen uns teilweise für unser Unternehmen. Wir schämen uns in der Familie, dieses Unternehmen noch zu verteidigen“, ruft Dirk Richter in ein Festzelt auf dem Nürnberger Volksfest. Die Augen von 400 Eisenbahnern sind auf ihn gerichtet. Richter ist bayerischer Landeschef ihrer Gewerkschaft EVG. Scham ist das Gegenteil von Stolz. Die Sätze fallen an einem für die Eisenbahn historischen Ort. Zwischen Nürnberg und Fürth fuhr der erste Zug in Deutschland. Die Adler dampfte am Morgen des 7. Dezember 1835 die sechs Kilometer zwischen den benachbarten Städten.
Seinerzeit war das eine Sensation, die obere Gesellschaft lief zusammen, um dabei zu sein. Eine Kanone wurde abgefeuert, dem König Ludwig ein Hoch ausgebracht. Von Scham findet sich kein Wort in den Berichten vom Jubeltag. Fast 200 Jahre später hat sich die Stimmung verkehrt. Jubel und Stolz mag die Bahn nicht mehr hervorrufen, sondern Scham.
Die Lage der Deutschen Bahn: Wie ein Auffahrunfall in Zeitlupe
Schlecht steht es schon länger um das Unternehmen in Staatshand. Die Investitionen genügten nicht, um das Gleisnetz zu erhalten. Brücken aus Kaisers Zeiten, Stellwerke, in denen die Hebel noch mit der Hand umgelegt werden und kolossale Fehlschläge wie der Bahnhof Stuttgart 21. Jetzt ist eingetreten, wovor sie bei der EVG immer gewarnt haben.
Die Bahn wurde gegen die Wand gefahren, im Juni kam jeder zweite Fernzug zu spät. Während der Fußball-EM waren die ausländischen Zeitungen voll mit Berichten über abenteuerliche Bahnreisen und verpasste Spiele. „Es gibt Eisenbahner, die trauen sich gar nicht mehr ihren DB-Rucksack zu tragen. Entweder kriegst du Mitleid oder wirst ziemlich rüde angesprochen“, sagt der EVG-Bundesvorsitzende Martin Burkert beim Eisenbahnertag. Mitleid, noch so ein Wort, das nicht zum Bahnerstolz passt. Das Treffen war Burkerts Idee, zum 14. Mal kamen sie am Freitag im Nürnberg zusammen. Bier, Hendl und Haxen gehörten dazu, genau wie die Hitze der Bräter, die das Fleisch rösten. Über den Köpfen das Riesenrad und die Achterbahn.
Doch derart desolat wie dieses Jahr war die Lage bei der Bahn noch nie. Anfang der Woche zog Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Notbremse und verlangte ein radikales Sanierungskonzept vom Bahnvorstand. Scheitern keine Option, „das ist meine Vorgabe“, diktierte der Minister. Alle drei Monate muss ihm das Management nun Bericht erstatten. Der Auslöser war die Blamage während der Europameisterschaft. Auch die Halbjahreszahlen waren mies ausgefallen. Die rollenden Abteilungen Nah-, Fern- und Güterverkehr stecken allesamt in den roten Zahlen.
Zehntausende Stellen werden bei der Bahn abgebaut
Die Ansage aus dem Verkehrsministerium kam für den Vorstand aber nicht überraschend. Die Führungsriege hat bereits ein Papier ausarbeiten lassen, intern auf den Namen 3S getauft. Die Kosten müssen runter. Binnen drei Jahren soll die Bahn wieder Gewinne erzielen. Schon länger ist bekannt, dass 30.000 Stellen in der Verwaltung abgebaut werden sollen. Normalerweise würde das den lautstarken Protest der Gewerkschaft auslösen, aber die EVG hält still. „Wir brauchen mehr Indianer wie Häuptlinge“, sagt Burkert. Einzige Bedingung: Kein Stellenabbau im Betrieb, nur bei den Bürokraten.
Für Burkert sind andere Themen wichtiger: Nach 2027 fehlt in den Haushaltsplanungen das Geld für die Generalsanierung stark befahrener Trassen. Das große Sanierungsprogramm für die Gleise ist direkt nach der EM mit der vollständigen Überholung des Abschnitts zwischen Frankfurt und Mannheim gestartet. Die zweite große Sorge betrifft die Sicherheit. Der Frust über Verspätungen und Ausfälle entladen manche Reisende bei Schaffnern, Lokführer und Fahrkartenverkäufern. „Täglich werden wir beschimpft und angepöbelt. Es wird schlimmer, es wird härter. Das ist belastend“, erzählt Carola Schein. Sie ist seit 40 Jahren bei der Bahn, Betriebsrätin und fährt nach wie vor Schichten als Zugbegleiterin.
Deshalb wird aufgerüstet: Schein und ihre Kollegen im Regionalverkehr bekommen auf Wunsch kleinere Kameras, die offen sichtbar sind und Wütende daran erinnern, dass eine Beleidigung aufgezeichnet wird. Trotz des rauen Klimas sagt Carola Schein, dass es noch immer ihr Traumberuf ist. Der Stolz der Eisenbahner ist noch nicht ganz verschwunden.
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