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Schwaben: 1000 unbesetzte Nachwuchsstellen: Nur im Schreinerhandwerk läuft es

Schwaben

1000 unbesetzte Nachwuchsstellen: Nur im Schreinerhandwerk läuft es

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    Abermals gibt es weniger Azubis in Schwaben.
    Abermals gibt es weniger Azubis in Schwaben. Foto: Martina Diemand

    Feiner Staub löst sich. Sorgsam zieht Jara Kiefert das Schleifpapier durch die Rillen des hölzernen Elements, das Teil einer Bar wird. Später wird es grundiert und lackiert und in einem Hotel der Blickfänger sein. Die 20-Jährige aus Kempten macht eine Ausbildung zur Schreinerin. Die Werkstatt ist einer ihrer liebsten Orte. „Ich freue mich zu sehen, wie man etwas anfängt, einen Schrank zum Beispiel, und dann Stück für Stück sieht, wie es fertig wird“, sagt sie.

    Eigentlich wollte Simon Marschall, Chef der gleichnamigen Schreinerei in Kempten, dieses Jahr nur einen neuen Auszubildenden einstellen. Dann aber sind es mit Jara Kiefert und Sebastian Kastaun zwei geworden, weil ihn beide überzeugt haben und mit Leidenschaft ihre Ausbildung angehen. Der Schreinermeister führt den Betrieb mit zehn Beschäftigten in vierter Generation. Hauptsächlich richtet die Schreinerei Privathäuser ein – von den Böden über Fenster bis zu den Möbeln. Aber auch Hotels zählen zur Kundschaft. Dass er selbst keine Nachwuchssorgen hat, dafür sieht Marschall mehrere Gründe. „Ein Grund ist sicher, dass im Schreinerhandwerk der Meisterbrief erhalten geblieben ist“, sagt er. „Außerdem sehen viele den Schreinerberuf als Berufseinstieg, um später zum Beispiel in Richtung Architektur zu gehen.“ Er selbst ist zum Beispiel studierter Innenausbau-Ingenieur. Generell sei die Azubi-Lage bei der Schreiner-Innung im Allgäu gut, sagt er. Mit mehr Lehrlingen als eigentlich geplant dürfte die

    Zahl der Ausbildungsverträge im schwäbischen Handwerk sinkt um 5,5 Prozent

    Zum Start des Ausbildungsjahres am 1. September sind in unserer Region weniger Ausbildungsverträge im Handwerk geschlossen worden als im vergangenen Jahr. Mit 3046 bisher gemeldeten Verträgen beträgt das Minus 5,5 Prozent, berichtet die Handwerkskammer für Schwaben. Während viele ältere Jahrgänge in Rente gehen, verlassen im Vergleich dazu im Trend weniger junge Leute die Schule. Der demographische Wandel macht sich bemerkbar. Dazu kommt, dass viele Schulabsolventinnen und -absolventen lieber an die Hochschulen gehen, als eine Ausbildung zu starten.

    Der Mangel an Nachwuchskräften ist für Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben, regelrecht alarmierend. „Das ist inzwischen eine gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Herausforderung erster Güte“, sagt er. Gerade in der jetzigen Energie-Krise sei dies fatal: „Ohne die Fachbetriebe des Handwerks wird die Energiewende krachend scheitern“, befürchtet Wagner. Handwerksbetriebe seien jetzt als Planer und Macher gefordert. „Denn diese Unternehmen montieren Photovoltaik-Anlagen, tauschen Heizungen aus, bauen energieeffiziente Häuser, installieren Ladesäulen und reparieren Elektrofahrzeuge“, sagt Wagner. Für diese Expertenaufgaben bräuchten die Handwerksunternehmen zusätzlich tausende qualifizierte Fachkräfte. Aber auch andere Dienstleistungen sind aus seiner Sicht gefährdet, unter anderem im Bau- und Ausbaugewerbe, bei Optikern, Hörakustikerinnen oder Orthopädieschuhmacher.

    Bessere Lage in Industrie, Handel und dem Dienstleistungsbereich: Hier gibt es mehr abgeschlossene Verträge

    Deutlich besser sieht die Lage in Industrie, Handel und dem Dienstleistungsbereich aus. Die Unternehmen in Schwaben bilden hier sogar mehr aus als im Vorjahr, berichtet die Industrie- und Handelskammer Schwaben. Trotz Krisenstimmung und Bewerbermangel beginnen zum Ausbildungsstart am 1. September in den IHK-Berufen 7237 junge Menschen eine duale Ausbildung. Das seien 3,9 Prozent mehr als 2021. „Angesichts der widrigen Umstände ist das ein starkes Zeichen“, sagt Christian Fischer, Leiter des Geschäftsfelds Ausbildung bei der IHK. „Die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen ist entgegen der vielfältigen Krisen sehr hoch. Mit den weggefallenen Corona-Maßnahmen war die Annäherung zwischen Ausbildungsinteressierten und Betrieben in diesem Jahr deutlich einfacher als die beiden Jahre zuvor“, erklärt Fischer. Besonders in der Industrie und im Hotel- und Gastgewerbe werde mehr ausgebildet: Dort erleben die Betriebe nach dem Ende der Corona-Beschränkungen eine hohe Nachfrage.

    In der Werkstatt der Schreinerei Marschall in Kempten liegt indes der Geruch von frischem Holz und von Leim in der Luft. Die Schraubzwingen im Halter sind größer als die meisten, die man im Baumarkt sieht, an der Werkbank steht das Werkzeug bereit. Dass er gut praktisch arbeiten kann, hat Schreiner-Azubi Sebastian Kastaun während eines Auslandsjahres in Kanada gemerkt, als er auf Baustellen gearbeitet hat, auch in Hochhäusern. Aber auch davor gab es bereits am Elternhaus immer wieder etwas zu reparieren. Das habe damals bereits Spaß gemacht. Am Schreinerberuf schätzt er die Abwechslung. „Man macht nie 14 Tage dasselbe.“ Zahlreiche Arbeitsschritte sind nötig, bis zum Beispiel ein Schrank steht. Bretter werden erst gehobelt, geschliffen, zugesägt, bis Löcher gebohrt und Teile lackiert und zusammengesetzt werden. „Für ein Produkt braucht man häufig zehn verschiedene Maschinen“, sagt er. In der Werkstatt gibt es eine moderne CNC-Maschine, aber auch klassische Hobelmaschinen und Kreissägen. „Der Schreinerberuf hat den fast romantischen Vorteil, dass man ein Produkt von Grund auf entstehen sieht“, sagt auch Schreinermeister Simon Marschall.

    Noch mindestens 1000 Ausbildungsplätze offen

    Trotzdem werden in den Handwerksberufen dieses Jahr wohl zahlreiche Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Im Bereich der Handwerkskammer für Schwaben sind noch rund tausend gemeldete Stellen offen. Gesucht werden nach Angaben der Kammer vor allem Beton- und Stahlbetonbauer, Maurerinnen, Zimmerer, Anlagenmechanikerinnen für Sanitär, Heizung, Klima und Elektroniker. Im Metallhandwerk sind Kraftfahrzeugmechatroniker, Metallbauerinnen sowie Land- und Baumaschinenmechatroniker gefragt. Bedarf bestehe aber auch an Fachverkäufern im Lebensmittelhandwerk und bei Bäckerinnen, Fleischern und Konditorinnen. Die Liste geht noch weiter. Längst werden alle Berufe für Männer, Frauen und Diverse ausgeschrieben.

    Die Nachwuchswerbung geht auch unkonventionelle Wege. Zum Beispiel wird auch mal im Freibad über die Berufswahl informiert, die IHK Schwaben hat einen Pop-up-Store, einen zeitweiligen Laden, in der Augsburger Innenstadt eingerichtet. Bei der IHK ist man sicher, viele offene Lehrstellen auch noch besetzen zu können: „Die Bewerbungs- und Einstellungsphase ist noch in vollem Gang“, sagt Fischer. Bis Ende des Jahres könnten noch zahlreiche Ausbildungsverträge geschlossen werden.

    In den letzten Jahren haben die Ausbildungsberufe die Türen in Richtung Fortbildung geöffnet und sind auch dadurch attraktiver geworden. Nach der Ausbildung kann man nicht nur den Meister machen, auch ein Studium kann sich später anschließen. „Alles ist viel durchlässiger geworden“, sagt Schreinermeister Marschall.

    Für Jara Kiefert und Sebastian Kastaun steht dies aber noch nicht im Vordergrund. Sie möchten jetzt erst einmal in die Praxis eintauchen und später im Beruf arbeiten.

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