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Schaffen wir das?: Der Wohlstand erodiert: Was jetzt getan werden kann

Inflation und hohe Energiepreise nagen am Wert von Ersparnissen, Gehältern und Renten. Jetzt sind Auswege gefragt.
Schaffen wir das?

Der Wohlstand erodiert: Was jetzt getan werden kann

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    Die Deutschen sind so reich wie nie. In den letzten Jahren konnte man diese Meldung regelmäßig lesen. Im Jahr 2021 ist das Geldvermögen der Haushalte auf den Rekordwert von 7,6 Billionen Euro gestiegen. Die Zahl erregt angesichts ihrer Größe Ehrfurcht. Wenn einem nicht das Bild von Dagobert Duck in den Sinn kommt, der erst nach einem Bad im Geldspeicher erfrischt in den Tag startet, so scheint es uns zumindest so schlecht nicht zu gehen. Doch das Bild ist ein Zerrbild. Forscht man nach, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass das Vermögen nicht nur ungleich verteilt ist, sondern dass es für große Teile der Bevölkerung kaum möglich ist, Der Russland-Ukraine-Krieg droht diese Situation nicht nur zu verschärfen, die Wohlstandserosion droht sich auch tief in die Mittelschicht hineinzufressen. Ungleichheiten werden zementiert. Dem etwas entgegenzusetzen, ist nicht unmöglich, bedarf aber mutiger Schritte.

    Wer ist arm, wer ist reich? Die Sozialforscherinnen Irene Becker, Tanja Schmidt und Verena Tobsch haben diese Begriffe unlängst neu vermessen. Demnach müssen ganze 16 Prozent der Bevölkerung oder rund 12,6 Millionen Menschen im Land als arm gelten. Sie verdienen weniger als 65 Prozent des mittleren Einkommens, das grob bei rund 40.000 Euro im Jahr angesetzt werden kann. Jeder zusätzliche Euro wird in dieser Gruppe meist in Lebensmittel investiert. „Vermögen und Vermögensbildung durch Sparen spielen in diesem Bereich der Verteilung keine Rolle“, schreiben die Autorinnen in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Seit 2000 habe die auf dieser Basis entwickelte Armutsquote deutlich zugenommen.

    „Wir haben sehr starke Indizien, dass die Folgen des Ukraine-Kriegs und die hohe Inflation die soziale Spaltung weiter verstärken“

    Prof. Bettina Kohlrausch von der Hans-Böckler-Stiftungundefined

    Aber auch wer bis zu 80 Prozent des mittleren Einkommens bekommt, kann zwar seine grundlegenden Bedürfnisse wie Bekleidung, Internet oder einen Cafébesuch decken, die Teilhabe am sozialen Leben ist aber erschwert. Dies trifft immer noch auf 11,3 Millionen Menschen zu.

    Erst über 80 Prozent des mittleren Einkommens wird es leichter, ein Leben in Deutschland zu führen.

    Die Sozialforscherinnen sehen die Gefahr, dass sich die Lage weiter verschärft: „Wir haben sehr starke Indizien, dass die Folgen des Ukraine-Kriegs und die hohe Inflation die soziale Spaltung weiter verstärken“, sagt Professorin Bettina Kohlrausch, Chefin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. „Materielle Belastungen und Sorgen sind in den unteren Einkommensgruppen deutlich stärker ausgeprägt. Besonders beunruhigend ist hier, dass dies Gruppen sind, die schon während der Pandemie deutlich öfter Einkommenseinbußen hinnehmen mussten.“

    Forscher Christoph Butterwegge: Auch die Mittelschicht gerät unter Druck

    Doch die Energiepreis-Explosion setzt auch die Mittelschicht unter Druck, befürchtet der Kölner Politikwissenschaftler und Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge. „Bei den galoppierenden Energiepreisen kann die Warmmiete selbst bei vielen Haushalten schnell die Hälfte des Nettoeinkommens aufzehren“, sagt Butterwegge. „Das betrifft ältere Menschen, aber auch Mittelschichtfamilien mit zwei normalen Gehältern.“ Zum Beispiel, wenn die Frau als Verkäuferin und der Mann als Koch arbeitet. „Die Folge ist, dass am Urlaub oder am Essen gespart wird.“ Berichten Kinder nach den Ferien von ihren Urlaubserlebnissen, erzählen sie dann vom Baggersee, nicht mehr von der Fahrt ans Meer.

    "Bei den galoppierenden Energiepreisen kann die Warmmiete selbst bei vielen Haushalten schnell die Hälfte des Nettoeinkommens aufzehren", warnt Forscher Christoph Butterwegge.
    "Bei den galoppierenden Energiepreisen kann die Warmmiete selbst bei vielen Haushalten schnell die Hälfte des Nettoeinkommens aufzehren", warnt Forscher Christoph Butterwegge. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Geht es darum, zu verstehen, wie die Lage der Mittelschicht ist und weshalb die Verunsicherung wächst, ist es gut sich mit jemandem zu unterhalten, der sich um Erspartes von Bürgerinnen und Bürgern kümmert.

    Ralf-Joachim Götz ist Chefvolkswirt der Deutschen Vermögensberatung (DVAG), über die in Bayern über 1,4 Millionen Menschen Geld angelegt haben und vorsorgen. Bei vielen ist es die Inflation, die Sorgen bereitet. „Über Jahre lag der Zins bei null, die Verbraucherpreise sind zwischen 2010 und 2020 im Jahresdurchschnitt aber auch nur um 1,3 Prozent gestiegen“, erklärt Götz. „Wer Geld unter dem Kopfkissen aufbewahrt hat, verlor in zehn Jahren zwölf Prozent an Kaufkraft. Das war im Vergleich zur aktuellen Lage nicht so dramatisch. Zuletzt aber lag die Inflation in

    Ralf-Joachim Götz, Chefvolkswirt: Inflation und ihre Auswirkungen wurden häufig unterschätzt

    Langsam zeichnet sich ab, was Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck meinte, als er nach dem Ausbruch des Krieges Russlands gegen die Ukraine warnte: Wir werden ärmer werden.

    „Es ist ein Wohlstandsverlust, wenn ich Sparguthaben habe, diese aber über die Zeit an Kaufkraft verlieren", sagt auch Götz. "Es ist auch ein Wohlstandsverlust, wenn ich statt 1000 Euro plötzlich 2000 Euro oder mehr für Energie zahlen muss und damit für andere Dinge weniger Geld habe. Und es ist ein Wohlstandsverlust, dass der Dax seit Anfang Januar um über zehn Prozent gefallen ist.“

    Eine deutlich spürbare Inflation könnte noch über Jahre zum unliebsamen Begleiter werden: Klimaschutz ist notwendig, wird aber Geld kosten, der demographische Wandel führt zu fehlenden Fachkräften und macht Arbeit teurer. „In jüngerer Zeit wurde bei einigen Prognosen das Wachstum überschätzt, die Inflation aber unterschätzt“, sagt Chefvolkswirt Götz. Das meiste Vermögen ist sowieso nicht in der Mittelschicht zu finden. Rund 60 Prozent des Gesamtvermögens in Deutschland besitzen früheren Erkenntnissen der Hans-Böckler-Stiftung zufolge die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte.

    Kritik an den bisherigen Entlastungspaketen der Bundesregierung

    Was aber könnte man gegen die gesellschaftliche Erosion unternehmen? Am aller wichtigsten sei zunächst, denen zu helfen, die es am dringendsten brauchen, meint Politikwissenschaftler Butterwegge. Das seien Familien mit mehreren Kindern, die häufig eine Migrationsgeschichte haben. Insbesondere aber seien es ältere Menschen, die kälteempfindlicher als junge sind und sich mehr zu Hause aufhalten. Bisher eingeführte oder vorgeschlagene Maßnahmen hält der Forscher für wenig zielführend, insbesondere Einmalzahlungen oder Steuerentlastungen. „Einmalzahlungen beinhalten nur eine punktuelle Entlastung, die Energiepreissteigerungen treten aber kontinuierlich auf“, sagt er. Zudem seien sie meist wenig passgenau. „Die Energie-Pauschale von 300 Euro der Bundesregierung beispielsweise bekommt ein Normalverdiener genauso wie ein Top-Manager, der sie zwar höher versteuern muss, aber im Grunde überhaupt nicht braucht“, erklärt er. „Rentnerinnen und Rentner erhalten die Energie-Pauschale hingegen überhaupt nicht, da sie nur an Erwerbstätige fließt.

    „Wir haben sehr starke Indizien, dass die Folgen des Ukraine-Kriegs und die hohe Inflation die soziale Spaltung weiter verstärken“, warnt Professorin Bettina Kohlrausch, Chefin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.
    „Wir haben sehr starke Indizien, dass die Folgen des Ukraine-Kriegs und die hohe Inflation die soziale Spaltung weiter verstärken“, warnt Professorin Bettina Kohlrausch, Chefin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Foto: Hans-Böckler-Stiftung

    Auch Steuersenkungen, wie sie FDP-Finanzminister Christian Lindner befürwortet, hält Butterwegge für ein falsches Mittel, weil sie die einkommensschwächeren Haushalte kaum, Spitzenverdiener dafür aber umso mehr entlasten. „Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass sozial Benachteiligte und Bedürftige im Fokus stehen“, kritisiert er. Von den rund 29 Milliarden Euro umfassenden Unterstützungspaketen in der Energie-Krise seien nur 23 Milliarden an Privathaushalte geflossen, davon nur zwei bis drei Milliarden Euro an die einkommensarmen Haushalte.

    Was den ärmeren Haushalten helfen kann: Mehr Hartz IV, Zuschüsse zu den Stromkosten, Stromsperren verbieten

    Der Forscher hält stattdessen drei Maßnahmen für nötig. Erstens höhere Transferleistungen. „Die Regelbedarfe müssen erhöht werden, nicht nur die von Hartz IV, sondern auch die der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“, sagt er. Reicht die Rente nicht, können die Betroffenen als Aufstocker zusätzliche Hilfe des Grundsicherungs- oder Sozialamtes in Anspruch nehmen. Immerhin rund 530.000 Menschen in Deutschland nutzen dies. „Den Regelbedarf von 449 Euro monatlich muss man um 200 Euro erhöhen“, sagt Butterwegge. Zweitens fordert er, den explodierenden Stromkosten etwas entgegenzusetzen. Statt im Rahmen von

    Was aber könnte die Mittelschicht tun? Nach einer repräsentativen Bürgerbefragung im Auftrag des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung halten 38 Prozent der Bayern ihre Ersparnisse für so gering, dass Inflation dabei keine Rolle spielt. Wichtig ist auch ein finanzieller Puffer von etwa drei Monatsgehältern auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto, um flüssig zu sein, wenn eventuell das Auto kaputt geht oder, wie jetzt, hohe Energienachzahlungen drohen.

    Mit Immobilien und Aktien gegen die Inflation angehen

    Wenn aber gespart wird, legen die Bürger recht viel zurück. Dabei erreichte der Freistaat 2020 mit einer durchschnittlichen Sparquote von 17,8 Prozent Platz 1 unter allen Bundesländern, berichtet Chefvolkswirt Götz. Wer spart, will, dass der Wert auch erhalten bleibt. Bei hoher Inflation ist dies schwierig. Zwar gibt es mitunter wieder Zinsen fürs Kontensparen, diese gleichen aber die aktuelle Inflation bei weitem nicht aus, erklärt er. „Einige Festgeldangebote mit längeren Laufzeiten bieten mehr als 1 Prozent Verzinsung, bei einer Inflationsrate von 8 Prozent kommt dabei allerdings ein sehr negativer Realzins heraus. Der Sparer verliert Kaufkraft.“

    Immobilien sind mit den steigenden Zinsen und hohen Preisen in der Krise zwar deutlich schwerer finanzierbar, aber der Wunsch danach ist weiterhin da. Bei Bausparverträgen beobachtet die Deutsche Vermögensberatung rege Nachfrage.

    Letztlich spricht aus Sicht des Chefvolkswirts auch in dieser Krise viel dafür, Geld in aktienbasierte Anlagen zu investieren. „Die Börse ist keine Einbahnstraße und es gibt Zeiträume, in denen der Dax über drei Jahre nachgegeben hat. Langfristig aber haben Aktien bisher Sparbuch und Co. abgehängt“, erklärt Götz. Allerdings empfiehlt er genauso wie andere Fachleute angesichts großer Unterschiede bei der Entwicklung einzelner Unternehmen lieber auf Fonds zu setzen, regelmäßig zu sparen und einen langen Atem zu haben.

    So muss der ärmere Teil der Bevölkerung weiter bangen, ob das Geld für Miete, Heizung und Licht reicht. Die Mittelschicht sieht den Wert des Ersparten schwinden oder muss ins Risiko gehen, um eine Chance zu haben, den Wohlstand zu halten.

    Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket: Am Ende "Stückwerk"?

    Bisher stemmt sich die Regierung mit Tankrabatten, dem Neun-Euro-Ticket und Entlastungspaketen gegen die Erosion der Kaufkraft. Neue Pakete sind geplant, um die Verteilungskämpfe, die Energienot zu lindern. SPD-Kanzler Olaf Scholz verspricht: „You'll never walk alone.“ Ob es am Ende reicht?

    Letztlich, meint der Forscher Christoph Butterwegge, sind diese Maßnahmen stets Stückwerk, ein Kurieren der Symptome. „Falls man strukturell etwas ändern will, müsste man über die Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen unserer Gesellschaft nachdenken“, sagt er.

    Dafür allerdings müsste man ein Licht auf unser gesamtes Wirtschaftssystem werfen.

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    Die Serie: Nicht nur die Welt ist im Umbruch, sondern auch in Deutschland macht sich die Gewissheit breit, dass sich unser Land verändern muss, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Wie schaffen wir das? Diese Frage wollen wir in einer umfangreichen Serie stellen. Dabei soll es um Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Psychologie gehen.

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