Europas Sanktionen zeigen schmerzhafte Wirkung in Russland. Viele westliche Unternehmen kündigen ihren Rückzug aus dem Land an, andere lassen ihre Aktivitäten zumindest ruhen. Nach Daimler Trucks und Volvo, hat am Dienstag etwa auch der französische Energiekonzern Total angekündigt, kein Geld in neue Projekte in Russland zu investieren. Zuvor hatte bereits die britische BP mitgeteilt, ihre Anteile am Gasriesen Rosneft zu verkaufen und auch Shell will die Zusammenarbeit mit Gazprom beenden.
Sehr aufmerksam dürfte in Brüssel und den europäischen Hauptstädten aber noch etwas anderes registriert werden: Die ersten russischen Großunternehmer äußern sich öffentlich zu den gegen sie verhängten Sanktionen. So beklagte sich etwa der Tui-Großaktionär Alexej Mordaschow in einer schriftlichen Stellungnahme, er verstehe nicht, wie die Sanktionen gegen ihn zur Beilegung des "schrecklichen Konflikts" in der Ukraine beitragen sollten.
Die Oligarchen halten dem Kreml in Moskau die Treue
Seit Montag hat die EU die Liste der Personen, die auf ihrer Sanktionsliste stehen, deutlich erweitert. Zahlreiche Oligarchen können nun nicht mehr über ihr Vermögen in der Europäischen Union verfügen. Erhoffte Wirkung der Maßnahmen ist, den Druck auf das Putin-Regime zu erhöhen. Denn Russland hat in den vergangenen Jahren nicht nur immense Rohstoffmengen exportiert. Es gehört auch zu den größten Nettokapitalexporteuren weltweit. Ihre Gewinne aus dem Rohstoffgeschäft haben die Unternehmer sehr gerne in der EU und der Schweiz angelegt.
Mordaschow ist Haupteigentümer des Stahlkonzerns Severstal und über seine Firmengruppe Unifirm mit gut einem Drittel der Anteile mächtigster Einzelaktionär des weltgrößten Reisekonzerns Tui. Bei dem Unternehmen aus Hannover sitzt er auch im Aufsichtsrat. Die EU begründet die persönlichen Sanktionen gegen ihn mit seinen Beteiligungen an einer Bank, die als persönliche Bank der russischen Führungselite gelte und einer Medienholding, die mit der Verbreitung von Propaganda die russische Invasion unterstütze.
Die russische Geldelite soll die Folgen der Sanktionen spüren
Das russische Oligarchensystem ist laut Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, schuld daran, dass das riesige Land mit seinen gewaltigen Bodenschätzen so weit unter seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten bleibt: Es prämiert nicht unternehmerische Innovation, sondern Mitläufertum und politisches Wohlverhalten", so Kooths. Die Ausbeutung der Rohstoffe ist relativ einfach. Wichtig für das Geschäft ist der Zugriff auf die Ressourcen und damit die Nähe zur Macht. Neue Technologien oder andere Wirtschaftsbereiche zu entwickeln ist mühsamer, als die Gewinne im Ausland zu reinvestieren.
Ein entscheidender Hebel bei den Sanktionen sei nun, so Kooths, dass die russische Macht- und Geldelite erkenne, dass ihr mit Putin schlechtere Zeiten drohen als ohne. "Selbst wenn Putin Kiew erobert, eine Marionettenregierung installiert und die Ukraine kontrolliert, werden die westlichen Sanktionen ja nicht aufgehoben. Russland droht eventuell ein Guerillakrieg und die Oligarchen müssen sich die Frage stellen, was sie noch anfangen wollen mit ihren Milliarden", so Kooths. Für lohnenswerte Auslandsinvestitionen käme dann vielleicht noch China infrage. "Aber die ökonomischen Kräfteverhältnisse verschieben sich dann deutlich zulasten Russlands."
Eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen hält Kooths für kaum möglich, solange Putin die Macht behält. Um einen Machtwechsel in Russland zu befördern, könnte der Westen sogar mehr bieten, als nur mit der Aufhebung der Sanktionen zu locken. "Man muss jetzt Wege finden, zu signalisieren, dass ohne Putin auch eine engere Zusammenarbeit möglich ist", so Kooths. Eine Garantie, dass dies zum Erfolg führt, gebe es aber nicht. "Mitläufertum, Opportunismus und Repressionsapparat sollten nicht unterschätzt werden", sagt Kooths.
Bei deutschen Firmen herrscht große Unsicherheit
Betroffen von den Sanktionen sind aber nicht nur die Superreichen, sondern alle Russen. Die Zentralbank hat die Zinsen drastisch erhöht, um den steilen Anstieg der Inflation auszubremsen. Bereits jetzt muss man in Moskau lange Schlange stehen um Geld abzuheben, berichtet Andreas Knaul, der für die Kanzlei Rödl & Partner seit über 20 Jahren als Wirtschaftsanwalt in Russland tätig ist, in einem Videoanruf aus Moskau. Er sieht die Erfolgsaussichten der Sanktionsstrategie skeptisch, spürt aber eine riesige Welle der Unsicherheit bei deutschen Firmen.
Große Unternehmen würden zwar ihren Rückzug verkünden. Mittelständlern, die in Russland aktiv sind, rät er aber zunächst abzuwarten. Zwei Fragen seien entscheidend: Mit wem mache ich Geschäfte? Und was verkaufe ich? "Die Sanktionen sollen zunächst einmal die Refinanzierungsmöglichkeiten des russischen Staates beschränken. Der deutsche Mittelstand soll eben nicht getroffen werden", sagt Knaul. Auch Geldgeschäfte seien über die russischen Niederlassungen europäischer Institute weiter möglich.
Russland hat sich auf den Krieg mit der Ukraine vorbereitet
Knaul rechnet mit weiteren russischen Gegensanktionen, die das Ziel hätten, dass möglichst wenig Devisen aus dem Land abfließen. So müssten bereits jetzt alle Deviseneinnahmen, die Unternehmen in Russland erzielen, zu 80 Prozent zwangsumgetauscht werden in Rubel. Angesichts der Entwicklung des Wechselkurses sei dies natürlich im Zweifel verlorenes Geld, sagt Knaul. Russland ist seiner Meinung nach nicht unvorbereitet in diesen Krieg gegangen. Die russischen Gegensanktionen auf die Sanktionen des Westen nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 hätten darauf abgezielt, das Land unabhängiger zu machen, etwa bei der Lebensmittelversorgung und durch das Anlegen großer Finanzreserven.
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