Stellt der Rat der Wirtschaftsweisen – derzeit sind es drei Frauen und zwei Männer – sein Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung vor, muss die Bundesregierung meist gute Miene zu einem nicht ganz so guten Spiel zeigen. Bundeskanzler Olaf Scholz übte sich darin am Mittwoch wie früher Angela Merkel. "Ich freue mich, dass Sie in Ihrem Gutachten die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der letzten Zeit als positiv und auch im Ergebnis erfolgreich bewerten, die wir getroffen haben", sagte er. Schließlich musste die Regierung eine Energiekrise bewältigen, die Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine losgetreten hatte. Im Hintergrund blickten Finanzminister Christian Lindner (FDP, akkurat gebundene Krawatte) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, eher leger gebundene Krawatte) dagegen recht ernst drein. Scholz führte die Bemühungen der Koalition ins Feld, wieder Wirtschaftswachstum zu schaffen. Darunter rund hundert Maßnahmen für schnellere Planungen und Genehmigungen im Land. Doch leicht wird das Unterfangen nicht. Die Wirtschaftsweisen zeigen sich skeptisch, was das künftige Wachstum betrifft. Um mittelfristig neuen Schub zu schaffen, pochen sie auf Investitionen und massive Reformen, gerade auch bei der Rente.
Der Sachverständigenrat erwartet, dass die deutsche Wirtschaft dieses Jahr um 0,4 Prozent schrumpft und in die Rezession fällt. Noch im Frühjahr waren die Wirtschaftsweisen von 0,2 Prozent Wachstum ausgegangen. "Die konjunkturelle Erholung in Deutschland verzögert sich", hieß es. Die Konjunktur werde noch immer von der Energiekrise und den durch die hohe Inflation gesunkenen Realeinkommen gebremst. Dazu komme eine schleppende Entwicklung in China. Die höheren Zinsen setzen zudem dem Bau und den Investitionen im Inland zu.
Kommendes Jahr könnte die Wirtschaft um 0,7 Prozent wachsen
Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber auch: Die Inflation gibt langsam nach. Die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten dadurch wieder Mut fassen. "Dies dürfte zu einer verhaltenen konjunkturellen Erholung führen", so die Wirtschaftsweisen. Das Wirtschaftswachstum könnte 2024 deshalb wieder auf 0,7 Prozent steigen.
Um mittelfristig aber wieder richtig wirtschaftlich Kraft zu schöpfen, sind aus Sicht der Professorinnen und Professoren stärkere Investitionen und tiefgreifendere Reformen nötig. "Viel bedeutsamer als die konjunkturelle Schwäche sind die mittelfristigen Wachstumshemmnisse für das Produktionspotenzial“, sagte die Sachverständige Veronika Grimm.
Sachverständige mahnen Investitionen in Maschinen, Roboter und IT an
Ein großes Problem sei, dass in den kommenden Jahren geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Um der Falle zu entkommen, seien stärkere Anreize für die Menschen erforderlich, mehr zu arbeiten, eine ambitionierte Zuwanderungspolitik und verbesserte Schulbildung. "Investitionen in Kapitalgüter wie Maschinen, Roboter und Informationstechnologie können die gesamtwirtschaftliche Produktivität erhöhen", so das Gremium.
Insbesondere mahnen die Ökonominnen und Ökonomen auch eine weitgehende Rentenreform an. "In den kommenden 15 Jahren beschleunigt sich die demografische Alterung in Deutschland deutlich", warnen die Sachverständigen. Damit steige der Finanzierungsbedarf in der gesetzlichen Rentenversicherung beträchtlich. Die Sachverständigen fordern ein Bündel an weitreichenden Maßnahmen.
Wirtschaftsweise: Renteneintrittsalter sollte auf über 67 Jahre steigen
Zum einen fordern die Wirtschaftsweisen eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters, das ab 2031 auf 67 Jahre steigt. "Es ist davon auszugehen, dass die fernere Lebenserwartung zukünftig weiter steigen wird", schreiben sie. "Das legt eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters nahe." Es wäre wichtig, eine solche Anhebung zeitnah zu kommunizieren. "Das gesetzliche Renteneintrittsalter könnte im Anschluss an die aktuell laufende Anhebung bis zum Jahr 2031 weiter schrittweise erhöht und an die fernere Lebenserwartung gekoppelt werden", schlagen die Forscher vor. Dies könnte zum Beispiel so aussehen: Lebt die Bevölkerung im Schnitt ein Jahr länger, sollte man acht Monate länger arbeiten. Im Jahr 2051 gäbe es den Erwartungen nach die Rente dann erst mit 68.
Zudem fordern sie eine Reform der bisherigen Riester-Rente. Diese sei intransparent, renditeschwach und werde zu wenig genutzt. "Die Einführung der Riester-Rente hat es trotz hoher Förderquoten nicht geschafft, bei Haushalten mit niedriger Finanzbildung die private Altersvorsorge zu stärken", heißt es. Als bessere Form der ergänzenden Altersvorsorge schlagen die Forscher einen öffentlich verwalteten, stark aktienbasierten Fonds mit breiter Diversifizierung vor. Als Vorbild gilt hier häufig Norwegen.
Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbinden
Auch die frühere Rente für alle, die 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben, ist den Forschern ein Dorn im Auge. Die Maßnahme ist nach Argumentation der Forscher nicht zielgerichtet genug, um Menschen entgegenzukommen, die hart körperlich gearbeitet haben, zum Beispiel auf dem Bau oder in der Pflege. "Die Regelung wird insbesondere von Personen mit mittlerem Einkommen und überdurchschnittlicher Gesundheit in Anspruch genommen", heißt es im Gutachten. Als Alternative schlagen sie vor, einen früheren, abschlagsfreien Renteneintritt nur für Geringverdienende zu schaffen. Beispielweise sollten Personen mit mindestens 40 Versicherungsjahren und einem Jahreseinkommen von höchstens 60 Prozent des Durchschnittseinkommens vorzeitig abschlagsfrei in Rente gehen können.
Außerdem schlagen die Fachleute vor, angehende Beamte künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzubinden.
Bindung an die Inflationsrate als kurzfristige Maßnahme
Ins Gespräch bringen die Experten auch kurzfristige Maßnahmen, zum Beispiel Rentenerhöhungen nicht mehr an die Erhöhung der Löhne zu koppeln - wie es im Kern heute geschehe -, sondern an die Inflationsrate. "Dadurch wäre die Kaufkraft der Bestandsrenten garantiert, sie würden aber nicht mehr an zukünftigen Reallohnsteigerungen partizipieren", heißt es im Gutachten.
Für diesen wie für alle anderen Vorschläge gilt natürlich: Sie sind unverbindlich. (mit dpa)