Das deutsche Rentensystem ist marode und zahlreiche Politiker und Ökonomen warnten in den vergangenen Wochen und Monaten davor, dass wenn sich nichts ändere, das System zusammenstürzen könnte. Auch Rainer Dulger, Präsident des Arbeitsgeberverbandes BDA, sieht das Rentensystem vor einem Zusammenbruch - nur noch ein späterer Eintritt in die Rente könne vor einem Kollaps bewahren.
Dulger warnt vor Zusammenbruch des Rentensystems: Renteneintrittsalter muss steigen
Laut Rainer Dulger, Präsident des Arbeitsgeberverbandes BDA, sei die wirtschaftliche Lage in Deutschland in keinem rosigen Licht. "Die fetten Jahre sind vorerst vorbei", sagte er gegenüber der Bild am Sonntag in einem Interview. Es brauche daher eine "große Sozialreform, die die Dimension der Wirtschaftswährung und Sozialunion nach der Wiedervereinigung hat." Seiner Einschätzung nach werden unsere Sozialversicherungen wie es sie heute gibt, in den nächsten fünf Jahren nicht mehr funktionieren. Der Grund: Die Kosten würden explodieren. Dulger warnt davor, dass "Sozialstaat frisst Zukunft" nicht Realität werden dürfe.
Vor allem bei der Rente müsse dringend gehandelt werden: "Die Finanzierung unseres Rentensystems steht vor dem Zusammenbruch." Laut Dulger muss die Altersvorsorge saniert werden, denn aktuell kommen rund 50 Rentner auf 100 Beitragszahler. In 15 Jahren würden dann sogar 70 Rentner 100 Beitragszahlern gegenüberstehen.
Der Bild am Sonntag sagte der Präsident des Arbeitsgeberverbandes BDA, dass zwar jeder in Berlin diese Zahlen kenne, sich aber niemand traue, darüber zu sprechen. Eine Reform der sozialen Sicherungssysteme stelle allerdings eine ähnliche Herausforderung dar, wie die Energiewende. Und das sei genauso wichtig für die Generationengerechtigkeit.
Die Lösung: Dulger zufolge muss das Renteneintrittsalter an die mittel- und langfristig stark steigende Lebenserwartung gekoppelt werden: "Es darf nicht sein, dass die weiter wachsende Lebenserwartung zu einem immer noch längeren Ruhestand führt".
Die Rente mit 63 kritisiert er, denn der frühere Renteneintritt habe zu einem "Brain Drain" geführt, also das viele hochqualifizierte Arbeitskräfte in Deutschland nicht mehr zur Verfügung stünden, was die Unternehmen schwäche.
Politiker und Ökonomen kritisieren frühes Rentenalter: Fachkräftemangel in Deutschland verschärft sich immer mehr
Mit seiner Meinung ist Dulger nicht allein. Einigen Politikern wäre es sogar am liebsten, die Rente mit 63 abzuschaffen. Dazu zählt zum Beispiel Christian Lindner (FDP). Neben Winfried Kretschmann kritisiert auch Ökonom Bert Rürup den vorzeitigen Rentenbeginn. Letzterem hingegen würde es schon reichen, wenn der Zugang zur Rente mit 63 erschwert werden würde. Für den Finanzminister von Baden-Württemberg, Danyal Bayaz (Grüne), ist das nicht genug, denn er sieht schon die Rente mit 67 Jahren nicht mehr haltbar. Die Argumentation aller Kritiker ist dabei ähnlich: Wenn die Menschen in Deutschland später in den Ruhestand gingen, wäre ihre Arbeitskraft länger verfügbar, was wiederum dem Fachkräftemangel helfen würde.
Aber ist ein höheres Renteneintrittsalter, etwa eine Rente mit 70, realistisch? Da sich die Stimmen häufen, die für eine spätere Rente plädieren, könnte es in Zukunft eine Erhöhung geben. Allerdings vorerst nicht, denn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte dazu, dass es mit ihm kein höheres Renteneintrittsalter geben wird. Aktuell liegt es höchstens bei 67 Jahren und gilt für alle, die 1964 oder später geboren wurden. Frühere Jahrgänge dürfen hingegen früher den Ruhestand antreten.
Wie Dulger findet auch Wirtschaftsweise Veronika Grimm, dass das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden sollte. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe erklärte sie die dafür mögliche Formel: Steigt die Lebenserwartung um ein Jahr, dann sollen zwei Drittel dieses Jahres für die Erwerbsarbeit und ein Drittel für den Ruhestand zur Verfügung stehen. Von dem Modell ausgenommen müssten Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Menschen mit einer Schwerbehinderung und mit bestimmten Krankheiten können auch jetzt schon früher in Rente gehen.
Für die Idee, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, plädiert auch CDU-Vorsitzender Friedrich Merz. Es kann nicht mehr darum gehen, "ob wir mit 67 oder 70 Jahren in Rente gehen sollen", erklärte er gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sein Vorschlag: "Besser wäre es, die steigende Lebenserwartung in zusätzliche Arbeit und zusätzlichen Rentenbezug aufzuteilen."
Um das Rentensystem zu stützen, fordert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dass in Zukunft auch Selbstständige und Beamte in die Rentenkasse einzahlen sollen.
Pläne für eine Rentenreform gibt es bislang nicht. Bundesfinanzminister Lindner und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) allerdings sind gerade dabei die Aktienrente beziehungsweise das Generationenkapital auf den Weg bringen. So soll die Rente in Zukunft auch vom Aktienmarkt mitfinanziert werden.