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Zukunft & Digitalisierung: Wie das Isar Valley die bayerische Wirtschaft für die Zukunft boostert

Zukunft & Digitalisierung

Wie das Isar Valley die bayerische Wirtschaft für die Zukunft boostert

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    Es ist eine besondere Optik, die die Produkte des Start-ups Blickfeld ermöglichen. Sie basieren auf Lasertechnologie, die Oberflächen dreidimensional erfasst.
    Es ist eine besondere Optik, die die Produkte des Start-ups Blickfeld ermöglichen. Sie basieren auf Lasertechnologie, die Oberflächen dreidimensional erfasst. Foto: Blickfeld

    Eine Art Hinterhof, irgendwo in Sendling. In dem gleichen quadratischen Klotz ist noch eine Eismanufaktur und ein Fitnessstudio. Über den Parkplatz, in einen Aufzug. Vermutlich war es im zweiten Stock. Weil hier aber alles doch gewerbegebietsmäßig ziemlich gleich ausschaut, weiß man es ein paar Tage später bereits nicht mehr. Die Schiebetür geht auf. Erster Stop, Start-up kiutra. Schon ist man drin, mitten drin, im sogenannten „Isar Valley“. 

    Das Hightech-Spektakel, das von diesem Ort ausgehen soll, der von München in die Welt strahlt, ist eine globale Marke geworden, von der auch Bayerisch-Schwaben und der ganze Freistaat profitieren. Denn der Wettbewerb um die klügsten und innovativsten Köpfe wird härter. Das Isar Valley, was auch immer es genau ist und ausmacht, verortet Bayern auf der weltweiten Hochtechnologie-Landkarte – so viel steht fest. Und das kann für ein Bundesland, eine Metropolregion entscheidend sein, wenn allein in Deutschland jährlich 400.000 Fachkräfte fehlen – um die alle Industriestaaten werben. Was aber macht dieses Valley, dessen Außengrenzen so genau nicht zu fassen sind, aus? 

    Warum das Start-up kiutra im Isar Valley ist

    Das zeigt einem Alexander Regnat. Der promovierte Physiker, bescheiden aber verbindlich im Auftritt, ist Gründer von kiutra und natürlich hat er eine Meinung zum Isar Valley. Vorher aber erklärt er bei einem kleinen Rundgang, was er und seine Mitarbeitenden in diesem von außen so ausdrücklich nichtssagenden Gebäude Besonderes tun. Die Apparate, die hier gefertigt werden, erschließen sich jedenfalls nicht von selbst. 

    Vereinfacht gesagt ist kiutra ein Sondermaschinenbauer. Warum erklärt sich schon aus dem Firmennamen. „Kiu“ – englisch gesprochen – steht für Q. Das wiederum ist das Formelzeichen für Wärme. Verbunden hat Regnat es mit „tra“, das – wie alle die mal Latein büffeln mussten wissen könnten – von „trahere“ (also „ziehen“) kommt. Bedeutet in der Summe: Kiutra macht Kühlgeräte – allerdings nicht irgendwelche, sondern solche für Quantencomputer. Dabei geht es um Temperaturen im Bereich des absoluten Nullpunktes, also rund Minus 273 Grad. Diese sehr tiefen Temperaturen, erklärt Regnat, waren für die Material- und Grundlagenforschung schon immer sehr wichtig. Und sie sind es nun für die angewandten Quantentechnologien auch. Man könnte hier sehr tief in die komplizierte Materie einsteigen, aber für den Moment genügt es zu wissen, dass sich ein

    Die Firma kiutra arbeitet mit einem magnetischem Kühlverfahren

    Wer aber so schnell rechnet wie ein Quantencomputer, muss auch besser gekühlt werden als der Heim-PC. Für diese Kühlung sorgen die Produkte von kiutra. Regnat sagt es so: „All diese Quantenzustände, mit denen man arbeitet, sind extrem fragil. Sie werden sehr leicht durch thermische Faktoren wie zum Beispiel Schwingungen zerstört.“ Was dagegen hilft, sind stabile Tiefsttemperaturen. Klassisch sorgte man bisher mit Hilfe von Flüssiggas wie etwa Helium-3 für solche Zustände. Dieses Isotop muss allerdings künstlich, sehr aufwendig und damit teuer hergestellt werden. 

    Kiutra macht es anders: Gearbeitet wird mit einem magnetischen Kühlverfahren. Das geht vereinfacht in etwa so: Bestimmte Stoffe werden warm, wenn man sie in ein Magnetfeld bringt. Und sie werden wieder kalt, wenn man sie aus dem Magnetfeld wieder herausnimmt. Diesen zweiten Effekt verwenden Regnat und Kollegen, um in die Tiefenbereiche der Temperatur zu kommen, die ein Quantencomputer braucht. Regnat ist überzeugt: „Wir bauen Maschinen, die sehr einfach betrieben werden, preiswerter in der Anschaffung und im Betrieb sind, die deutlich kompakter gebaut werden können.“

    Helium-3 dagegen sei extrem selten und teuer. Lieferanten seien vor allem die USA und Russland. Weil Quantencomputing aber immer massiver verwendet wird, die Quantentechnologien immer wichtiger werden, sei Helium-3 eine „strategische Ressource“ sagt Regnat.

    Seine Botschaft ist klar: Wenn Europa technologisch souverän bleiben möchte, macht es Sinn bei der für die Quantentechnologie so entscheidende Frage der Kühlung weg von Helium-3 zu kommen. Regnat sagt: „Unser Verfahren ist momentan eigentlich die einzige Alternative am Markt.“ Wenn man dann vor so einem Teil steht, hat es vielleicht die Größe eines Raumentlüfters, wie sie während der Corona-Zeit überall in die Büros gepflanzt wurden. Sieht unspektakulär aus, kann aber offenbar eine ganze Menge.

    Freistaat und Landeshauptstadt haben viel für ein Gründerökosystem getan

    Kiutra gibt es seit 2018 und macht nach Unternehmensangaben Umsätze im einstelligen Millionenbereich. Regnat blickt optimistisch in die Zukunft. Warum er sein Start-up im Isar Valley angesiedelt hat? „Der Standort bietet einen sehr großen Vorteil: Es gibt hier die für uns besonders wichtigen hoch qualifizierten Mitarbeiter von den Hochschulen und Universitäten. Das ist für uns elementar wichtig.“ 

    Staatsregierung, Landeshauptstadt und die dort ansässigen Universitäten haben in den vergangenen Jahren viel dafür getan, dass Gründer wie Regnat sich im Isar Valley wohlfühlen und im Freistaat bleiben wollen. Die Technische Universität kann jährlich die Ausgründung von rund 70 technologiebasierten Start-ups vermelden. Und im UnternehmerTUM, Europas größtem Zentrum für Innovation und Gründung, sind über 1000 neue Firmen entstanden.

    Wie sehr sich der Standort als Digitalmetropole gemacht hat, wurde Anfang März deutlich, als der Tech-Riese Apple bekannt gab, in den nächsten sechs Jahren hier zusätzlich eine weitere Milliarde Euro in den Ausbau seines Europäischen Zentrums für Chip-Design zu investieren. München, wo

    Die neuen Büros kommen in die historische Arnulfpost, den sogenannten „Postpalast“. Das neue Entwicklungszentrum – unter anderem für Datenschutz und Sicherheit – soll den bestehenden Campus Arnulfpark ergänzen. So entsteht eine Dynamik, die viel Neues hervorbringt. Zweiter Stopp im Westend. Beim Start-up Blickfeld. 

    Das Start-up Blickfeld aus München heißt nicht ohne Grund so

    Auch hier strahlt der Firmensitz von außen nicht unbedingt Valley-Glamour aus. Faszinierend aber ist erneut, was dringend entwickelt wird. Die Tischtennisplatte, ohne die Start-up-Menschen offenbar nicht auskommen können, hat zudem ihren Platz gefunden. Ein paar Büros weiter sitzt Florian Petit. Chief Experience Officer und Gründer von Blickfeld. Auch der Robotiker hat an der TU München studiert, war später unter anderem in Stanford und hat mit einer Arbeit auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Kollaboration promoviert. 

    Blickfeld heißt auch nicht ohne Grund so. Die Produkte basieren auf einer Lasertechnologie, die die Oberfläche von Personen, Objekten oder Räumen dreidimensional abtastet und erfasst. In Fachkreisen wird sie Lidar genannt, eine Abkürzung für „Light Detection and Ranging“. Die Sensoren der Firma liefern 3D-Daten, mit denen Blickfeld verschiedene Anwendungsfelder erschlossen hat. Zum Beispiel kann ein Holzhändler präzise auf die Sekunde sagen, wie viel Platz er noch in seinem Lager hat, wenn ein gutes Angebot reinkommt. Auf einer Baustelle kann so eine Ladung Kies genau erfasst werden. Wie viel ist weg, wann muss Nachschub her? Das funktioniert auch mit Düngemitteln in Silos oder mit Rohstoffen für Medikamente.

    An Flughäfen können die Blickfeld-Sensoren anonym Menschenmengen in Echtzeit erfassen, die Software hilft dann, die Personenströme zu steuern – zum Beispiel beim Check-in. Auch im Sicherheitsbereich ist Blickfeld aktiv. Die Geräte sind nach Unternehmensangaben überlegen, weil sie bei allen Licht- und Witterungsbedingungen gleichbleibende Datenqualität liefern. Alles datenschutzkonform, wie Petit betont. Autonomes Fahren ist für Blickfeld natürlich auch ein Thema. 2017 wurde das Start-up in München gegründet. Inzwischen hat man Niederlassungen in den USA und China. 

    Nicht nur Daten sondern auch Hardware im Isar Valley

    Was man immer wieder hört, ist, dass das Isar Valley sich international so gut macht, weil es hier nicht nur Digital-Hightech, sondern auch sehr traditionsreiche Unternehmen wie die Autokonzerne – eine Fertigungstiefe – gibt. Sprich: Nicht nur Daten sondern auch Hardware. Florian Petit widerspricht nicht. Im Gegenteil. Auch er findet, dass diese Mischung das Isar Valley ausmacht. Denn der Speckgürtel um das Valley, die Zulieferer, die verlängerten Werkbänke, typische Mittelständler, relativ klein, aber extrem effektiv und sehr kommunikativ, die erhöhen für ihn den Wert: „Da geht es extrem schnell. Wenn ich da jetzt anrufe, dann kriege ich sofort jemand an die Strippe, der mir wirklich weiterhilft.“ Klar, die großen Techkonzerne seien wichtig, weil auch diese wieder andere anziehen, aber es braucht schon mehr als nur die, findet Petit.

    Und dann betont auch er den Wert des Netzwerkes. Weil es schon so viele Start-ups gibt und nicht wenige eben von früheren Mitstudierenden geführt werden, sei es leichter, sich auszutauschen. „Dafür braucht es aber Vertrauen. Und das ist im Isar Valley extrem ausgeprägt.“ Es quatscht sich halt leichter mit jemand über offene Fragen, den man früher schon mal auf dem Campus getroffen hat: Wie habt ihr damals das Software-Problem gelöst? Welchen Anwalt habt ihr genommen? Für die großen Tech-Unternehmen, meint Petit, sei das nicht so relevant. Für die bestehe der Reiz vor allem darin, dass hier so viele Hochqualifizierte von der TU, der Ludwigs-Maximilian-Universität aber auch von der Bundeswehr-Uni kommen. Entscheidend aber für den Gründer und seine Blickfeld-Standortwahl ist letztlich: „Es gibt hier ein Ökosystem für Gründer.“ 

    Das wird seit 2002 im von Susanne Klatten und Helmut Schönenberger aufgesetzten UnternehmerTUM gepflegt, einem gemeinnützigen Unternehmen, das jährlich mehr als 50 Tech-Start-ups hervorbringt. Hauptsitz ist der Forschungs-campus der TU in Garching. Es gibt aber auch das Munich Urban Colab in der Freddie-Mercury-Straße, im Kreativquartier. Hier arbeiten Start-ups mit etablierten Unternehmen, Stadt-Angestellten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Talenten und Kunstschaffenden aus verschiedenen Branchen und Disziplinen zusammen. Hier fühlt sich das Isar Valley vielleicht endlich mal valleymäßig an. Viele sehr große Bildschirme, viel digitaler Schnickschnack und ein nächstes interessantes Projekt. Denn Teil von UnternehmerTUM ist der Digital Mobility Hub. Hier, dritter und letzter Stop, arbeitet Johanna Bronisch, Innovation Technologist. 

    Wie das Unternehmertum Start-ups und etablierte Unternehmen vernetzt

    Der Ansatz der promovierten Neurowissenschaftlerin und ihren Kolleginnen und Kollegen: Wenn für die Wende im Verkehrssektor E-Mobilität entscheidend ist, dann ist es umso wichtiger zu wissen, welchen Strom man lädt. Das Problem ist, sagt Bronisch, dass sich das in Deutschland nur selten nachweisen lässt. Ideal wäre es beispielsweise, dass die Lade-App den E-Autofahrern eines Unternehmens mitteilt, wann die Photovoltaik-Anlage auf dem Firmendach den meisten Solarstrom produziert und dieser dann just in die Tiefgarage zum Fuhrpark geleitet wird. Das wäre besonders nachhaltig. Was wäre, wenn die Kundinnen und Kunden künftig immer wüssten, welchen Strommix sie gerade verwenden? Und daran ihr Konsumentenverhalten ausrichten würden? 

    Bronisch & Co. taten etwas, was den Wert des Isar Valley sehr gut beschreibt: Sie brachten diverse Start-ups mit etablierten Unternehmen wie dem Softwareentwickler SAP und dem Chiphersteller Infineon zusammen. Man entwickelte digitale Maschinenidentitäten, eine sichere und systemübergreifende Kommunikations- und Transformationsinfrastruktur über die die Daten fälschungssicher und überprüfbar übermittelt werden. Das Ziel ist, erklärt Bronisch: „Am Ende jedes Ladezyklus’ wird der Strommix berechnet und die Authentizität des, in diesem Fall, nachhaltigen Solarstroms durch eine Signatur der Transaktion belegt.“ Und weil der Preis der Hebel ist, wäre in einer idealen Welt nachhaltiger Strom der günstigste. Bis Juli will man soweit sein, dass ein skalierbares Produkt herauskommt, das Unternehmen kaufen oder weiterentwickeln können. Made in Isar Valley. 

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