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Regionale Landwirtschaft: Drei Menschen über den Bio-Boom in der Landwirtschaft

In der ökologischen Landwirtschaft ersetzt mechanische Bodenbearbeitung die Chemie.
Regionale Landwirtschaft

Drei Menschen über den Bio-Boom in der Landwirtschaft

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    Manchmal muss man die Dinge einfach mal machen. Anpacken. Sonst weiß man ja nie, ob die Idee oder der Traum den man hat, sich verwirklichen lässt. Und dann ändert sich auch nichts. Um zu merken, dass sie genau so ein Macher-Typ ist, braucht man bei Anja Dördelmann keine zehn Minuten. Sie steht in einer noch unbenutzten Großküche, nachdem sie eben noch durch die Baustelle in dem ehemaligen Ladenraum davor geweht ist.

    Hier ein paar mit Kunstleder überzogene Sessel und auseinandergebaute Bänke – „die haben wir gebraucht von einem Café“. Ein Fingerzeig dorthin: „Da kommen die Unverpackt-Sachen hin“, ein paar Erklärungen im Vorbeigehen: „Hier ist der Tiefkühlbereich und das Fleisch“ – schon sieht man, was sie sieht. Einen schmucken Laden, in dem man nicht nur alles bekommt, was man braucht. Alles ist auch noch bio und aus der Region. Anfang Juli soll es so weit sein, dann wird der Traum, den Dördelmann seit Jahren mit sich herumträgt, Wirklichkeit. Dann muss er allerdings auch beweisen, ob er dieser Wirklichkeit standhält.

    Anja Dördelmann steht vor dem Herzstück-Laden in Horgau im Landkreis Augsburg. Anfang Juli soll eröffnet werden.
    Anja Dördelmann steht vor dem Herzstück-Laden in Horgau im Landkreis Augsburg. Anfang Juli soll eröffnet werden. Foto: Matthias Zimmermann

    „Herzstück“ heißt der Laden gleich am Ortseingang von Horgau im Landkreis Augsburg, den Dördelmann mit einer Genossenschaft aufgebaut hat. Das Gebäude gehörte früher einer Metzgerei, noch viel früher war hier ein Coop-Markt – „auch schon eine Genossenschaft“, wie Dördelmann zwischen zwei Sätzen einwirft. Kurz, denn viele Pausen macht sie nicht beim Erzählen. Dass am „

    Jetzt also das Herzstück, wobei: genau genommen ist das erste Herzstück jetzt das zweite Herzstück. Denn die Sache hier in Horgau hat einfach viel länger gedauert, als Dördelmann dachte. Planung, Förderbescheide, EU-Richtlinien – Hürden gibt es viele für Macher. Da die Genossenschaft aber eigentlich startklar war und die Gemeinde Diedorf unbedingt eine Einkaufsmöglichkeit für Lebensmittel im Zentrum haben wollte, begann das Abenteuer eigentlich schon dort…

    2020 gaben die Deutschen 22,3 Prozent mehr für Bio-Lebensmittel aus

    Ein Schnitt. Und ein Schritt zurück, um das ganze Bild in den Blick zu bekommen. Die Biobranche boomt. Seit Jahren wächst der Absatz von Biolebensmitteln in Deutschland. Man ist zwar von niedrigem Niveau gestartet, noch 2019 betrug der Anteil von

    Die Menschen gaben insgesamt mehr Geld für Lebensmittel im Einzelhandel aus, weil Restaurants und Kantinen einen großen Teil des Jahres geschlossen waren. Aber der Biomarkt wuchs noch stärker. Woran das liegt? Zum Teil daran, dass Kantinen, Restaurants und Snackbars selten bio kochen. Für ihren Verbrauch zu Hause greifen die Menschen dagegen immer öfter zu Bioprodukten. So verschiebt sich die Waage zugunsten des

    Was man über Bio in der Region wissen muss

    EU-Siegel Vorverpackte Bio-Lebensmittel aus der EU müssen seit dem 1. Juli 2010 verpflichtend mit dem EU-Bio-Logo gekennzeichnet werden. Unverpackte Bio-Ware oder aus nicht EU-Ländern importierte Bio-Lebensmittel können auf freiwilliger Basis mit dem Bio-Logo gekennzeichnet werden. Das hinterlegte Kontrollsystem gewährleistet eine vollständige Rückverfolgbarkeit der betreffenden Erzeugnisse.

    Deutsches Bio-Siegel Zusätzlich zum EU-Bio-Logo können die Hersteller ihre Bio-Waren mit dem deutschen Bio-Siegel und den Zeichen der Verbände und Handelsmarken kennzeichnen.

    Bayerisches Bio-Siegel Um das Bayerische Bio-Siegel mit Herkunftsnachweis für ein Produkt verwenden zu können, müssen die Höfe und die verarbeitenden Betriebe bestimmte Qualitäts- und Herkunftskriterien erfüllen. Die Qualitätsstandards orientieren sich an denen der vier in Bayern aktiven Öko-Anbauverbände Bioland, Biokreis, Demeter und Naturland und liegen deutlich über der EG-Öko-Verordnung.

    Das Bayerische Bio-Siegel steht auch Unternehmen aus anderen EU-Staaten offen und trägt dann einen entsprechenden Herkunftsnachweis. Können die Produkte nicht lückenlos von der Erzeugung bis zur Ladentheke einer bestimmten Herkunft zugeordnet werden, existiert das Siegel auch in einer grünen Fassung, ohne Angabe einer Herkunftsregion.

    Öko-Modellregionen Um die Bio-Landwirtschaft in Bayern zu fördern, unterstützt die Staatsregierung seit dem Jahr 2013 sogenannte Öko-Modellregionen. Die Förderung des ökologischen Landbaus soll damit auch zu einer kommunalen Aufgabe werden. In Schwaben gibt es derzeit mit Oberallgäu Kempten, Ostallgäu, Günztal, Stadt.Land.Augsburg und Paartal fünf solcher Regionen, mit jeweils eigenen Projektmanagern.

    Der Weg dorthin führt über eine schmale und kurvige Straße. „Oben am Berg, kurz vor Sielenbach dann links. Man sieht von da weiter unten schon die Kirche“, hat Stephan Kreppold am Telefon gesagt. Das stimmt auch, die Wallfahrtskirche Maria

    Chemie und Technik machten das Leben der Bauern leichter

    Seit 1982 bewirtschaftet die Familie den Hof biologisch. Zweifel, ob dieser Weg der richtige ist, hatte Kreppold, der deutlich jünger wirkt als seine 76 Jahre, seitdem nie. Was nicht heißt, dass die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, vom Himmel gefallen ist. Am großen Esstisch der Familie sitzt er und blickt zurück in eine Zeit, in der es in der Landwirtschaft vielleicht groß und klein gab, aber nicht konventionell und bio.

    Stephan Kreppold, Biolandwirt aus Sielenbach, hat mit seiner Frau den Betrieb bereits 1982 auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt.
    Stephan Kreppold, Biolandwirt aus Sielenbach, hat mit seiner Frau den Betrieb bereits 1982 auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt. Foto: Sammlung Kreppold

    „Ich bin der Sohn einer Bauersfamilie. Und Bauernbub zu sein bedeutete damals, Erwerbsarbeit zu leisten“, erzählt Kreppold. „Sechs bis sieben Kinder wurden auf einem Hof gebraucht, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Arbeite und bete war bei uns zu Hause der Leitspruch. Schule und Sport waren Nebensache. In Summe erinnere ich mich nicht gerne an diese Zeit zurück“, sagt Kreppold und der Kontrast wirkt umso größer, als der Hof, den man gerade betreten hat, so schmuck und einladend wirkt. Aber Kreppold ist noch nicht fertig. Er erzählt mit der ruhigen Gewissheit eines Mannes, der gelernt hat, dass er seinen Entschlüssen trauen kann. „In der Nachkriegszeit war das hier in der Gegend auf den meisten Höfen so. Darum habe ich mir vorgenommen, nie Bauer zu werden, wenn das bedeutet, dass man arbeitet, bis man ins Bett fällt und in der Früh um fünf wieder raus muss, um Gras für die Kühe zu holen, egal ob es regnet oder nicht.“

    Es kam anders. Der Fortschritt machte das selbstbestimmte Bauernleben wieder interessant. „Mit dem Einzug von Technik und Chemie war das Leben wesentlich erleichtert“, erinnert sich Kreppold. „Die Schlüsselmaschine war der Mähdrescher. Ab diesem Zeitpunkt war die Bauernarbeit in Bezug auf die körperliche Belastung im Vergleich zu früher ein Kinderspiel.“ Kreppold war 20, als er vom elterlichen Hof, der seinem älteren Bruder vorbehalten war, hier auf den Hof seines Onkels auf dem Wilpersberg wechselte und dann schnell viel Verantwortung übernahm.

    „15 Jahre haben wir konventionell gewirtschaftet“, sagt er. Doch mit der Zeit beginnt er sich immer mehr Fragen zu stellen. „In der katholischen Landjugendbewegung kamen ich und meine Frau auch viel in Kontakt mit nicht-bäuerlicher Jugend. Da gab es Arbeitskreise und Diskussionen und da sind viele Fragen auf uns eingestürzt: In welchem System kann Lebensmittelerzeugung und Landbewirtschaftung zukunftsfähig sein? Es gab schon damals erkennbare Zweifel bezüglich der Risiken der Agrarchemie für Boden, Wasser, Tier und Mensch. Es gab Studien, die sagten, dass sie mehr Schäden verursacht, als von Herstellern und Inverkehrbringern jemals gesagt wurde“, erzählt Kreppold weiter, ganz ruhig und in druckreifen Sätzen. „Alle diese Überlegungen konzentrierten sich auf die Frage: Warum stellen wir nicht um?“, sagt Kreppold und lässt den Satz für einen Moment im Raum stehen.

    Die Folgekosten der konventionellen Landwirtschaft sind hoch

    Umstellen. Schon in dem Wort schwingt mit, dass da zwei Systeme aneinanderstoßen. Ein wenig bio ist so wie ein wenig schwanger. Es geht nur ganz oder gar nicht. Ob konventionell oder bio, jede Art der Landwirtschaft hat ihre eigenen Methoden und Systeme. Vor allem aber ihre eigenen Märkte. Sonst würde es nicht funktionieren. Denn dass Produkte aus der biologischen Landwirtschaft auf den ersten Blick teurer erscheinen, ist unbestritten. Doch der reine Ladenpreis relativiert sich mit Blick auf die Folgekosten der konventionellen Landwirtschaft, die in den vergangenen Jahren immer stärker in das Blickfeld gerückt sind.

    Insektensterben, Nitrat im Grundwasser oder Glyphosatrückstände in Lebensmitteln – die Liste der Streitthemen ist lang. Oft fühlen sich die Bauern mittlerweile zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt und als Schuldige an der Misere gebrandmarkt. Denn die Materie ist komplex und die Verantwortung der Verbraucher dafür, dass Lebensmittel noch immer vor allem billig sein sollen, kommt in vieler Kritik manches Mal etwas kurz. Doch Tatsache ist auch: Die Zahl der Betriebe, die keine Zukunft mehr in der konventionellen Art zu wirtschaften sehen, wächst beständig. Über 8000 Betriebe haben laut dem BÖLW in den letzten fünf Jahren auf bio umgestellt – in der gleichen Zeit gaben fast 12.000 Höfe auf.

    Josef Wetzstein kennt diese Zahlen – und noch viele mehr. Er ist einer von mittlerweile zwei Landesvorsitzenden des Erzeugerverbands Bioland, gehörte beinahe zu den Gründungsmitgliedern des bayerischen Ablegers von Deutschlands größtem Bioverband, der sein erstes Zuhause 1986 im Wohnzimmer von Wetzsteins Nachbar bei Gablingen, nördlich von Augsburg, hatte. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass wer in Schwaben mit Biolandwirtschaft zu tun hat,

    Bis 2030 soll 30 Prozent der Fläche in Bayern ökologisch bewirtschaftet werden

    Zwölf Prozent der Höfe im Freistaat wirtschaften mittlerweile ökologisch. Doch auch hier ist das Wachstum dynamisch. Von 2010 bis 2020 hat sich die ökologisch bewirtschaftete Fläche verdoppelt. Bis 2030 soll nun 30 Prozent der Fläche in Bayern so bewirtschaftet werden, das ist mittlerweile das erklärte Ziel der Staatsregierung. Die neue Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich kürzlich sogar ein Ziel von 40 Prozent bis 2030 gesteckt. Wetzstein hält das für erreichbar, in Österreich liege der Anteil in einigen Regionen heute schon bei 50 Prozent. Er sagt aber auch: „Wir sind froh, dass es ein klares politisches Ziel gibt. Aber wir brauchen auch die Menschen, die die Umstellung machen. Es muss sich einfach rechnen.“

    Josef Wetzstein (zweiter von rechts) ist Co-Landesvorsitzender von Bioland Bayern und ein gut vernetzter Experte für die Biolandwirtschaft in der Region. Rechts von ihm sitzt Ulrich Deuter, Projektmanager der Ökomodellregion Stadt.Land.Augsburg.
    Josef Wetzstein (zweiter von rechts) ist Co-Landesvorsitzender von Bioland Bayern und ein gut vernetzter Experte für die Biolandwirtschaft in der Region. Rechts von ihm sitzt Ulrich Deuter, Projektmanager der Ökomodellregion Stadt.Land.Augsburg. Foto: Marcus Merk

    Ein Landwirt, der umstellt, fällt erst einmal aus der bisherigen Vermarktungsstruktur heraus. Vollständig als bio anerkannt wird seine Produktion erst nach zwei bis drei Jahren. Doch in dieser Zeit bekommt er noch keine Bio-Preise gezahlt – und hat in der Regel um 20 bis 40 Prozent geringere Ernten. Noch dazu muss er seinen Landbau komplett umstellen, neue Techniken lernen und sich intensiv damit beschäftigen. Die Umstellung ist eine Herausforderung, auch wenn vor allem die Bio-Verbände mittlerweile eine intensive Beratung und Begleitung bieten, erklärt Wetzstein. Und manchmal geht es einfach nicht.

    „Ein intensiver Schweinemastbetrieb mit 3000 Tieren, der vor einigen Jahren einen neuen Stall gebaut hat, kann da nicht raus. So lange der Stall nicht abbezahlt ist, sitzt der Betrieb wirtschaftlich in der Falle“, gibt Wetzstein ein Beispiel. Dabei ist die Nachfrage nach Bio-Schweinefleisch derzeit nicht zu decken. Der Handel lockt mit langjährigen Abnahmeverträgen. Aber wer die Investitionen nicht in den Wind schreiben will, muss im alten System weitermachen. „Je intensiver man vorher gewirtschaftet hat, und je mehr man investiert hat, desto schwieriger ist es“, erklärt Wetzstein.

    Die Auflagen für Bio-Produkte bremsen die Verbreitung

    Aber auch bei Ackerbaubetrieben scheitert die Umstellung oft nicht am fehlenden Willen. Bäcker und Metzger, aber auch Restaurants und Kantinen brauchen eine Zertifizierung, wenn sie Bio-Lebensmittel anbieten wollen. Ganz konkret heißt das, dass die Materialflüsse streng getrennt gehalten werden müssen. Ein Bio-Körnerbrötchen darf eben nur mit Biogetreide hergestellt werden, eine Bio-Brühwurst nur mit Biofleisch und ein Schweinebraten mit einem Salat aus Bio-Kartoffeln ist eben kein Bio-Gericht.

    Das muss so sein, um die Glaubwürdigkeit des Labels bio zu garantieren, sagt Wetzstein. Aber das zwingt gerade kleine Betriebe dazu, sich auf nur bio oder nur konventionell festzulegen. Die Strukturen entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen also mitwachsen. Noch ein Beispiel: Eine Kantine, die bio kochen will, braucht vorgeschnittene und abgepackte Bioware. Auch da fehlt es noch, damit Bio-Ackerbau in der Breite wachsen kann. Wenn ein Betrieb die Umstellung gemeistert hat, ist das Einkommen des Landwirts oft besser als auf einem konventionellen Betrieb.

    Stephan Kreppold hatte nie Zweifel, dass die Umstellung finanziell nicht aufgehen könnte. „Ich habe miterlebt, wie das System ohne Chemie funktioniert hat und mir gesagt, wenn es mit nur mit Handarbeit funktioniert, wird es auch funktionieren, wenn ich die Vorzüge der Technik mitnehme.“ Diese Meinung, um es vorsichtig zu sagen, teilten nicht alle Landwirtskollegen in seiner Nachbarschaft. „Als es bekannt wurde, dass wir umstellen, hat es einige wohlmeinende Empfehlungen gegeben“, sagt Kreppold und lächelt dabei. „Wenn du das machst, wirst du mit 50 Jahren ganz bucklig daherkommen, vor lauter Disteln stechen und Ampfer ziehen“, war eine davon. Eine andere: „Wenn du das machst, gehört der Hof bald der Raiffeisenbank.“

    Bislang hatten Biobauern keine Absatzprobleme

    Den Hof mit heute gut 100 Hektar bewirtschaftet mittlerweile Kreppolds Sohn – zum Teil mit Maschinen, die Kreppold senior vor 30 Jahren selbst entwickelt und gebaut hat. „Ich habe immer versucht, die Prozesse so zu regeln, dass ich die Ziele Bodenschutz und Arbeitserleichterung miteinander erreichen konnte“, sagt der Landwirt, der auch ein ehrgeiziger Tüftler ist, und schiebt ein großes Holztor auf. Dahinter, in einer alten Maschinenhalle, stehen seine Schätze.

    Oldtimer, die nur noch zum Vergnügen oder für Vorführungen herausgefahren werden. Der schon erwähnte erste Mähdrescher zum Beispiel. Eine Garage weiter ein blauer Schlepper, der trotz seiner 55 Jahre noch immer ein wichtiges Arbeitsgerät ist. „Das Unkraut wird ausgerissen, enterdet und trocknet dann aus“, erklärt Kreppold die Funktion der angebauten Geräte. Am Ende ging es auch ihm darum, Vorgänge zu rationalisieren und effizienter zu machen, nicht anders als seine konventionellen Kollegen.

    Mittlerweile hat Johannes Kreppold den Hof von seinen Eltern übernommen und führt ihn weiter nach ökologischen Prinzipien.
    Mittlerweile hat Johannes Kreppold den Hof von seinen Eltern übernommen und führt ihn weiter nach ökologischen Prinzipien. Foto: Martin Golling (Archivbild)

    „Ich war immer angespornt vom Ziel eines fairen Wettbewerbs zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft“, sagt Kreppold. Darum hat er auch ziemlichen Ehrgeiz darin investiert, dass man seine Felder nicht auf den ersten Blick von konventionell bewirtschafteten unterscheiden kann. „Wenn die Erscheinung der Felder nicht in Ordnung ist, dann verstehe ich, dass konventionelle Bauern sagen, ich stelle nicht um“, da ist Kreppold bis heute kritisch. Die Umstellungsziele der Staatsregierung sieht er sportlich. Bislang sei der Biomarkt immer ein Nachfragemarkt gewesen, die Bauern hatten also nie Absatzprobleme. Jetzt werde es spannend zu sehen, wie sich die Aufzahlungsbereitschaft der Konsumenten entwickle.

    „Grob gerechnet kostet es pro Person und Tag zwei Euro mehr, sich nur mit Bioprodukten zu ernähren. Das macht bei einer vierköpfigen Familie immerhin fast 3000 Euro aus. Es gibt viele Familie, die sich das leisten könnten. Aber es gibt auch viele, die vielleicht bereit wären das Geld auszugeben, aber es schlicht nicht zur Verfügung haben“, räumt Kreppold ein. Er setzt auf Aufklärung, darauf, dass immer mehr Menschen verstünden, dass der Ökolandbau Gemeingüter wie Wasser, Boden, Luft und eine intakte und vielfältige Landschaft erhalte. Den Druck spüre die konventionelle Landwirtschaft ja massiv. „Ich bin optimistisch, dass das in größeren Schüben passiert. Wir müssen uns Schritt für Schritt aus dem Kreislauf der Agrargifte lösen. Stahl ersetzt Chemie“, sagt Kreppold, und klopft auf das Blech des blauen Traktors.

    Die Genossenschaft hat über 550 Mitglieder

    Zurück nach Horgau. Anja Dördelmann war noch nicht fertig mit Erzählen, wie man das macht: Eine Genossenschaft zu gründen mit dem Ziel, riesigen Handelsketten Paroli zu bieten und die Menschen davon zu überzeugen, dass es besser für alle ist, regionale Wertschöpfungsketten zu schaffen und Lebensmittel ökologisch und nachhaltig vor Ort zu produzieren. „Ich lebe hier und habe die Felder und Wiesen um mich herum. Ich will die Böden, die Wälder und die Luft nicht unnötig belasten. Wir können nicht auf alle warten. Wichtig ist, doch erst einmal zu sehen, was passiert hier, wie machen wir es richtig“, sagt Dördelmann. „Wir kaufen alle für uns selber ein. Ich habe einen Fünfpersonenhaushalt und möchte, dass es passt, was auf dem Tisch steht.“

    Mittlerweile hat die Genossenschaft über 550 Mitglieder – Einzelpersonen, Vereine und Firmen. Es sind Landwirte, Lebensmittelproduzenten, Handwerker und viele Menschen mit ganz anderen Berufen und Hintergründen, die einfach die Idee gut finden. 300 Euro kostet ein Anteil. Und die Gemeinde Horgau hat auch viel Fördergeld dafür bekommen, damit der alte Laden überhaupt EU-rechtskonform umgebaut werden konnte – Stichworte sind Lüftung, Kühlung, Brandschutz. Nun kann es losgehen. „Das Herzstück darf sich ausbreiten, aber wir sind nicht auf schnelles Wachstum aus, darauf schnell Kohle zu machen“, sagt Dördelmann. Viel wichtiger sei das Signal aus der Bevölkerung, dass die Menschen die Idee mittragen. Ein drittes Ladencafé ist in Planung, Bedingung dafür war aber, dass sich auch dort vor Ort genügend neue Genossenschaftsmitglieder finden.

    Am Ende muss sich der Laden selbst tragen

    Doch obwohl Idealismus und ehrenamtliche Arbeit die Genossenschaft bisher schon über manche Klippe getragen haben, muss das Herzstück sich künftig auch wirtschaftlich tragen. Sonst taugt die schönste Idee nichts. Die Feuerprobe mit dem ersten Laden in Diedorf macht Dördelmann Mut: „Wir haben fünf Tage vor dem ersten Lockdown aufgemacht, die Leute waren überall total verunsichert. Wir haben in dieser Zeit unfassbar viel gelernt, aber natürlich auch Fehler gemacht. Man spürt gleich die Enge der Handelsspanne. Der Druck im Lebensmittelbereich ist extrem hart. Da sind globale Konzerne am Start, die kämpfen mit harten Bandagen.“ Trotz aller Hindernisse hat der Laden im ersten Jahr seines Bestehens ein Plus gemacht. Die Menschen im Ort haben das Herzstück angenommen – und 18 Angestellte ein faires Gehalt verdient. „Es geht ja nicht, dass wir den Laden auf Kosten der Mitarbeiter betreiben“, sagt Dördelmann.

    Die Frage aber bleibt: Kann sich jeder bio leisten? Es gibt sicher Menschen, die nicht das Geld haben, um sich ausschließlich mit Bio-Lebensmitteln zu ernähren, sagt auch die Gründerin. Aber: „Ich glaube auch, dass sich bei vielen Menschen in den vergangenen Jahren die Prioritäten verschoben haben. Als ich ein Kind war, sind wir nicht jedes Jahr in den Urlaub zum Beispiel.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass ein Einkommen vielen Familien heute einfach nicht mehr reiche. Die Krise habe da bei vielen ein Umdenken angestoßen oder gar beschleunigt, ist sich Dördelmann sicher.

    „Vorher ist man im Hamsterrad einfach immer weiter gelaufen. Jetzt wurde ganz oft einfach eine Bremse gezogen, man hat sich mehr mit sich selbst beschäftigt. Viele sagen, das will ich nicht mehr. Ich denke das hält schon an“, schätzt Dördelmann. „Es ist eben nicht alles in Stein gemeißelt.“

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