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Prozess: Wirtschaftsprüfer belastet Ex-Wirecard-Chef Braun schwer

Prozess

Wirtschaftsprüfer belastet Ex-Wirecard-Chef Braun schwer

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    Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (rechts) bleibt ruhig, während ihn ein Zeuge belastet.
    Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (rechts) bleibt ruhig, während ihn ein Zeuge belastet. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Ehe der frühere Wirecard-Chef Markus Braun den Gerichtssaal betritt, sieht sich Sven-Olaf Leitz schon mal um. Der 50-Jährige, groß gewachsene Mann mit dem tadellos sitzenden Anzug und dem grau-melierten Haar ist einer der renommiertesten deutschen Wirtschaftsprüfer. Für die Gesellschaft KPMG verantwortet der Krawatten-Träger, Sakko-Zuknöpfer und Seitenscheitel-Träger im Vorstand den Bereich "Financial Services". Wenn Männer wie er einen Raum betreten und sich mit vor dem Bauch verschränkten Armen umschauen und eine Augenbraue hochziehen, ist ihnen die Aufmerksamkeit der Anwesenden gewiss. 

    Leitz wartet auf Braun, der es nicht weit hat, um den unter dem Münchner Gefängnis Stadelheim gelegenen Gerichtssaal aus seiner U-Haft zu erreichen. Den tief gefallenen Manager belastet der KPMG-Mann am Donnerstag erheblich – und das ohne Emotionen. Leitz beantwortet geduldig stundenlang die bohrenden Fragen von Richter Markus Födisch. Der angeklagte Ex-Wirecard-Boss legt derweil seinen Kopf, wie so oft, rechts zu Seite und verfolgt ohne Regungen die für ihn unangenehmen Aussagen von Leitz. Letzterer packt aus über die Umstände der Wirecard-Sonderprüfung, mit der KPMG im Herbst 2019 vom Aufsichtsrat des Unternehmens beauftragt wurde. Vorausgegangen waren schwere Vorwürfe gegen Wirecard. Dem Unternehmen wurde allen voran von der Financial Times vorgehalten, die Bilanzen könnten manipuliert sein. 

    Wirecard-Männer standen mit dem Rücken zur Wand

    Am Ende sollten die Zweifel lauter werden, dass auf asiatischen Treuhandkonten liegende Wirecard-Gelder von rund 1,9 Milliarden Euro wirklich existieren. Als sich eine Mannschaft aus KPMG-Leuten das Finanzgebaren des Online-Zahlungsdienstabwicklers aus Aschheim bei München vorknöpfte, standen Braun und seine Leute schon mit dem Rücken zur Wand. Sonderprüfer Leitz berichtet, wie er das Geschäft "von vorn bis hinten" durchleuchten wollte, was nach seinen Schilderungen ein aussichtsloses Unterfangen war. Immer wieder hätten die KPMG-Spezialisten Wirecard-Verantwortliche oft vergeblich gebeten, ihnen Verträge, Transaktions- und Buchhaltungsdaten sowie Angaben über die Geldflüsse herauszurücken. 

    Leitz drückt seine Hände wie eine Ziehharmonika weit auseinander und wieder zusammen, um das Gefälle von eingeforderten und letztlich nur spärlich geflossenen Informationen zu verdeutlichen. Das muss ein Eiertanz gewesen sein. Wer dem Sonderprüfer zuhört, gewinnt den Eindruck, Wirecard-Manager haben immer neue Ausreden aufgetischt, um nicht die Wahrheit servieren zu müssen. Der KPMG-Vorstand erinnert sich, wie er irgendwann entnervt festgestellt hat: "Ich brauche keine Erklärungen. Ich brauche Fakten." 

    Er wolle doch bis ans Ende schauen, die ganze Kette verstehen, begreifen, ob das Geld da sei oder nicht. Braun und seine Mannen müssen sich, wie es Leitz darstellt, eher als Vorhang-Zuzieher und kaum als Licht-ins-Dunkel-Freunde betätigt haben. Es kam zu bizarren Szenen. Der Sonderprüfer erinnert sich, wie ihm der Wirecard-Chef versichert habe: "Vertrauen Sie mir, es ist alles da." Braun soll einen Schritt weiter gegangen sein und sich als Beweis für seine nicht belegte These, die Milliardensumme existiere, gerühmt haben, im Besitz des "absoluten Herrschaftswissens" zu sein. Am Ende sind bei Leitz angesichts gehäuften Herrschaftswissens die Alarmglocken angegangen, zumal die eingeforderten Informationen nur im geringen Maße und "sehr, sehr zäh" geflossen seien. Der Mann und seine Prüfer-Riege konnten weder nachweisen, dass es die Gelder gibt, noch, dass es sie nicht gibt. Dies wiederum soll der genügsame Braun als Erfolg für sich reklamiert haben. Bis heute behauptet er, die Milliardensumme existiere und müsse nur aufgespürt werden. 

    Jan Marsalek hat einen speziellen Humor

    Ein Wirtschaftsprüfer wie Leitz mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung erlebt viel, aber Jan Marsalek, der flüchtige einstige Kompagnon von Braun, muss mit seinem Wiener Extrem-Schmäh alles in den Schatten gestellt haben. Leitz erzählt, wie ihn der ehedem für das Asiengeschäft zuständige Wirecard-Vorstand davon zu überzeugen versuchte, dass sich die immensen Summen doch auf Treuhandkonten befänden: "Wo soll das Geld sonst sein, etwa bei Kim Jong-il?" Hier könnte eine Diktatoren-Ungenauigkeit vorliegen: Denn der angesprochene nordkoreanische Diktator ist 2011 an einem Herzinfarkt gestorben. Korrekterweise hätte der eigentlich weltläufige Marsalek Kim Jong-ils fülligen Sohn Kim Jong-un bei seinem bösen Scherz anführen müssen.

    Braun wiederum, der auch aus Wien stammt, ist bislang nicht als Humorist hervorgetreten. Es kann also vorausgesetzt werden, dass seine Ermahnungen an Leitz ernst gewesen sein müssen. Der Wirtschaftsprüfer hat eine an ihn gerichtete Bemerkung des Wirecard-Manns bis heute in seinem Gedächtnis abgespeichert: "Sie haben den Drücker zum elektrischen Stuhl in der Hand." Leitz sagt, er sei nach Brauns martialischen Worten ruhig geblieben und habe geantwortet: "Ich sehe das nicht so dramatisch." Anders verhielt es sich mit den von ihm vor Gericht angeführten Versuchen von Braun & Co., "uns zu beeinflussen". So habe es Bemühungen der Wirecard-Leute gegeben, bestimmte Passagen aus dem KPMG-Abschlussbericht zu streichen. Leitz berichtet, wie er Braun einmal zu verstehen gegeben habe, das Vertrauen sei nun aufgebraucht. Darauf habe der Vorstandsvorsitzende mit möglichen rechtlichen Schritten gedroht. 

    Das ließ der KPMG-Mann an sich abperlen, ebenso wie ein von ihm geschildertes anderes taktisches Braun'sches Vertrauen-Gewinnungsmanöver. Der Manager habe ihn während der Zeit der Untersuchung gefragt, ob er Ski fahre. Seine Antwort lautete: "Ich fahre nur Snowboard." So lehnte Leitz nach seiner Erinnerung eine Einladung von Braun ab, "auf eine Hütte zum Skifahren zu kommen". Am Ende – und das ist ein Gipfel der an Abgründen reichen Wirecard-Geschichte – muss sich Braun nach der KPMG-Prüfung, die weder die Existenz noch die Nicht-Existenz der Milliardensumme belegte, Ende April 2020 auch noch im Vorteil gefühlt haben. Wenige Monate später brach das Wirecard-Kartenhaus zusammen

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