Früher war er ein Hippie. Doch längst ist Bernd Raffelhüschen ein Neoliberaler. Er sagt das mit einem Lächeln, obwohl solche auf eine freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung setzenden Ökonomen unter Linken und Gewerkschaftern als Inbegriff des Bösen gelten. Dem Renten-Experten und Finanzwissenschaftler macht es aber sichtlich Spaß zu provozieren. Nach einem neoliberalen Selbstbekenntnis schaut er seinem Gegenüber zufrieden in die Augen, ja, er freut sich auf Widerworte, um schlagfertig und redegewandt sofort kräftig kontern zu können.
Aber es mag an diesem Lächeln, vielleicht auch an seinen unschuldig wirkenden blauen Augen, ja dem blond-grauen, langen Lockenhaar liegen, dass man den Mann trotz all seiner markigen Sprüche auch nett anlächelt. Der aus Nordfriesland stammende und in Freiburg sowie Norwegen lehrende Professor ist ein in Talkshows gern gesehener Gast. Denn Raffelhüschen spitzt zu. Das lässt sich nach einem Gespräch mit ihm in Augsburg nur bestätigen. Dort sagt er am Rande einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft Sätze wie: „Zuwanderung ist sauteuer. Wir haben nicht die richtige Zuwanderung.“ Dann fügt er noch hinzu: „Unqualifizierte oder alte Menschen sind eine Zuwanderung in die bereits durch uns Einheimische schon überforderten Sozialsysteme.“ Kritiker stellen ihn schon mal in die rechte Ecke, unterstellen eine Nähe zur AfD.
In solchen Momenten hört selbst Raffelhüschen zu lächeln auf. Mit der AfD habe er nichts am Hut, er sei ein Liberaler. Und das schon seit jeher. Einmal hat sich der Renten-Experte in einem Interview mit der Welt sogar als Spät-Hippie geoutet, der Ende der 70er Jahre mit Gitarre und langen Haaren an den Stränden Norddeutschlands saß. Der Wirtschaftswissenschaftler erinnert sich an die liberale Ära, wo das Nacktbaden an westdeutschen Stränden in Mode kam: „Das war eine lustige Zeit. Da saßen die Studenten und Hippies am Strand. Die bauten sich kleine Zelte auf, manche hatten kleine Tütchen dabei.“ Die Zeit prägte Raffelhüschen: „Diese liberale Haltung etwa, dass mir bitte schön niemand sagt, was ich zu tun habe. Das ist für mich ein ganz großes und wichtiges Gut.“ Daher sei er komplett liberal, ja tolerant geworden.
Das mit der Toleranz ist Interpretationssache. Denn wenn Raffelhüschen nach dem Studium der von ihm verschlungenen Statistiken Fehlentwicklungen ausmacht, ist es vorbei mit Nachsicht und Liberalität. Dann rechnet der 60-Jährige den Verursachern solcher Zustände gnadenlos ihre Versäumnisse vor.
Da kann es schon mal vorkommen, dass der fleißige Vortragsredner Bankern, Politikern und Journalisten zwischen 30 und 60 Jahren vorhält, sie hätten sich im Durchschnitt nicht ausreichend reproduziert. Der Vater von drei Kindern lächelt dann herausfordernd und lässt seine Zuhörer wissen, sie seien daran schuld, dass aus der Bevölkerungspyramide ein Tannenbaum geworden sei. Daher stünden immer mehr alte immer weniger jungen Menschen gegenüber – mit allen negativen Folgen für die Rentenversicherung. Was daran interessant ist: Viele der Geschmähten lächeln auch noch. Raffelhüschen ist eben ein ökonomischer Unterhaltungskünstler. Er lässt Abstraktes konkret werden. Manche macht das aber aggressiv, wenn er etwa sagt: „Ich stehe dafür, dass Leute länger arbeiten müssen und dafür weniger Rente bekommen, weil sie nicht genug Kinder in die Welt gesetzt haben.“
Dies muss einige so aufregen, dass seine Frau schon einmal am Telefon Morddrohungen entgegengenommen hat und er selbst bedroht wurde: „Auf dem Haldenköpfle im Schwarzwald kam ein Rentner mit Krückstock und wollte mich verhauen.“ Ein anderes Mal drohte ein Mann auf einem Bahnsteig in Freiburg, ihn mit dem Gehstock zu verprügeln. Raffelhüschen meinte damals dazu mit der ihm eigenen herbfriesischen Ironie: „Das war jedes Mal so aggressiv, dass ich den Herren erklären musste, dass ich vom Land komme und zurückschlage.“ So weit kam es zum Glück nicht.