Schon wieder Boeing, schon wieder ein Schreckmoment für Flugzeugpassagiere: Ein Jet der US-Fluggesellschaft Southwest Airlines hat am Sonntagmorgen Ortszeit beim Start in Denver eine Triebwerksabdeckung verloren. Die Maschine des Typs 737-800 landete nach Angaben der US-Flugsicherheitsbehörde FAA gegen 8.15 Uhr wieder sicher am Abflugort, alle 135 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder blieben unverletzt. Eine Ersatzmaschine brachte die Passagiere laut Airline mit drei Stunden Verspätung sicher an ihren Zielort Houston in Texas.
Auf einem in der Kabine aufgenommenen Video ist zu sehen, wie die offensichtlich lockere Abdeckung während des Beschleunigens auf der Startbahn immer weiter aus ihrer Verankerung gerissen wird und schließlich zerfetzt abfällt. Wie die FAA erklärt, die den Vorfall nun prüft, trafen Teile der Abdeckung dabei auch eine Landeklappe der Maschine.
Der Luftfahrtexperte und Chefredakteur des Fachmagazins Aerobuzz, Volker Thomalla, stuft den Vorfall im Gespräch mit unserer Redaktion durchaus als sicherheitsrelevant ein. "Es dürfen keine Teile von einem Flugzeug abfallen. Es deutet viel darauf hin, dass entweder ein Wartungsfehler vorlag, für den dann die Airline verantwortlich wäre, oder es handelte sich um Materialermüdung."
Das Beinahe-Unglück der Alaska Airlines wird zum Problem für Boeing
Auch wenn es wohl keine Verbindung zwischen den Ereignissen gibt, reiht sich der Vorfall ein in eine Serie von Pannen mit Boeing-Maschinen. Am 5. Januar wäre es fast zu einem Unglück gekommen, als eine fast neue Maschine des Typs 737-9 Max der Fluggesellschaft Alaska Airlines während des Steigfluges ein türgroßes Teil des Rumpfes verlor. Die meisten der 170 Menschen an Bord kamen mit dem Schrecken davon. Allerdings war durch einen glücklichen Zufall die Reihe neben dem Loch in der Außenwand leer geblieben.
Mitte März hatte eine Boeing 737-800 von United Airlines im Flug eine Abdeckung am Rumpf verloren. Das Flugzeug landete problemlos im US-Bundesstaat Oregon. Gut eine Woche zuvor hatte eine Boeing 777 der gleichen Fluggesellschaft beim Start in San Francisco ein Rad verloren. Auch diese Maschine, die eigentlich nach Japan fliegen sollte, landete ohne weitere Zwischenfälle in Los Angeles.
Der ewige Rivale Airbus liegt plötzlich vorne
Die Vorfälle haben Boeing erneut in eine tiefe Krise gestürzt. Schon 2019 erschütterten die Abstürze zweier Jets des Typs 737 Max mit insgesamt 346 Toten das Vertrauen in den Flugzeugbauer. 20 Monate dauerte es, bis das Modell nach vielen Nachbesserungsversuchen durch Boeing von den Behörden schrittweise wieder für den Flugbetrieb freigegeben wurde. Das Desaster kostete den US-Konzern Milliarden - und machte seinen europäischen Rivalen Airbus zur Nummer eins auf dem Markt für zivile Verkehrsflugzeuge.
Aufgrund dieser Vorgeschichte steht Boeing nun besonders im Fokus. Luftfahrtexperte Thomalla sagt: "Die größte Aufgabe für das neue Management ist es, das Vertrauen der Behörden wieder herzustellen. Das ist ein langwieriger Prozess. Aber Boeing muss nachweisen, dass man das Qualitätsmanagement deutlich verbessert hat." Ein Zeichen wurde bereits gesetzt. Vor Ostern hat Konzernchef Dave Calhoun angekündigt, Ende des Jahres zurückzutreten. Der Chef der Verkehrsflugsparte musste das Unternehmen mit sofortiger Wirkung verlassen.
Die 737-Max-Reihe ist ein Bestseller für Boeing
Umgerechnet rund 148 Millionen zahlt Boeing allein Alaska Airlines für Einnahmeausfälle nach der erzwungenen Stilllegung der Jets infolge der Ereignisse vom Januar. Doch die Gesamtrechnung dürfte noch um ein Vielfaches höher ausfallen. Die 737-Max-Reihe ist für Boeing ein Bestseller. Doch nach dem Beinahe-Crash hat die FAA der lange geplanten Ausweitung der Produktion einen Riegel vorgeschoben. Zudem will die Behörde jedes fertiggestellte Flugzeug einzeln abnehmen, statt wie üblich nur stichprobenartige Kontrollen durchzuführen. Das Vertrauen der Airlines hat ebenfalls gelitten. Ryan Air etwa habe eigene Qualitätsprüfer zu Boeing entsandt, erklärt Thomalla.
Der Rumpf für die Maschinen stammt von Spirit Aerosystems. Der Zulieferer war einst Teil von Boeing, wurde vor beinahe 20 Jahren aber verkauft. Nun will Boeing das Unternehmen wieder übernehmen, das kostet weiteres Geld. "Spirit Aerosystems produziert auch für andere Anbieter, dort sind bisher offenbar keine Probleme aufgetreten. Die Vermutung liegt nahe, dass man bei Boeing im Verhältnis zu manchem Zulieferer zu stark an der Preisschraube gedreht hat", mutmaßt Thomalla. Doch auch Airbus könne von den Problemen bei Boeing nur bedingt profitieren, meint Thomalla. "Stand Februar 2024 hat Airbus 8552 offene Bestellungen für zivile Verkehrsflugzeuge. Mit heutigen Kapazitäten lastet das die Produktion für rund elf Jahre aus."