Es ist kein schmeichelhaftes Bild, dass Topökonomen wie Ifo-Chef Clemens Fuest derzeit von der Wirtschaftspolitik zeichnen. Die Verunsicherung der Unternehmen, die das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut in seinen Konjunkturbarometern misst, sei mit Blick auf die Politik in Deutschland so groß, wie in Großbritannien zu Zeiten des Brexits, sagt Fuest. „Das muss man erst mal schaffen“, fügt er trocken an.
Ifo-Chef Fuest: Politik-Unsicherheit ist Konjunkturrisiko
Die großen Haushaltsprobleme der Ampel nach dem Verfassungsgerichtsurteil seien nur ein Teil der Probleme. „Es gibt etwas viel Tieferes, und das hat damit zu tun, dass wir eine Bundesregierung haben, die keine wirtschaftspolitische Strategie hat“, erklärt Fuest. Im Gegenteil kritisiert der Ökonom: „Zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium herrscht komplette Uneinigkeit, und das erhöht natürlich die Politik-Unsicherheit, und das ist ein Risiko sowohl für die kurzfristige Konjunktur als auch langfristig.“
OECD halbiert Wachstumsprognose für Deutschland
Die Berliner Vertretung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD hatte Fuest und andere Ökonomen eingeladen, ihre neuen internationalen Wirtschaftsprognosen für die führenden Industriestaaten zu kommentieren. Denn wie zu erwarten, fallen die neuen OECD-Zahlen für Deutschland nicht gut aus: Die Organisation halbierte ihre Prognose für die deutsche Wirtschaft von 0,7 Prozent auf nur noch 0,3 Prozent. Immerhin ein positiver Wert: Das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft IW sagt für dieses Jahr erneut eine Rezession von einem halben Prozent voraus.
Doch auch im OECD-Vergleich schneidet die Bundesrepublik deutlich schlechter ab als fast alle anderen Industrieländer der Welt: Die USA steuern auf 2,6 Prozent Wachstum zu, Spanien kann mit 1,5 Prozent einen fünfmal so starken Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts erwarten, Italien und Frankreich mindestens doppelt so viel wie Deutschland.
„Das liegt vor allem daran, dass die energieintensive Industrie ein größeres Gewicht in der deutschen Wirtschaft hat als in anderen Ländern der Eurozone“, sagte die deutsche OECD-Expertin Isabell Koske. Dazu komme die starke Exportabhängigkeit. Schlechte Nachrichten hat die OECD für den wichtigen Absatzmarkt China: Die Immobilienkrise werde dort noch lange anhalten, das Wachstum von fünf Prozent im vergangenen Jahr 2025 auf nur noch auf gut vier Prozent sinken – solch niedrige Werte kannte die Volksrepublik vor der Pandemie jahrzehntelang nicht.
Dazu kommen nach Einschätzung der OECD sehr viele hausgemachte Gründe, warum Deutschland beim Wachstum der größten 20 Volkswirtschaften auf dem vorletzten Platz vor dem schwer kranken Argentinien steht. Und so schickt die Wirtschaftsorganisation eines halbes Dutzend „Politikempfehlungen“ nach Berlin: Weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, mehr Anreize und bessere Rahmenbedingungen, dass mehr Frauen in Vollzeitjobs arbeiten, Stopp der Frühverrentungspolitik, weniger Steuer- und Abgabenlast für untere und mittlere Einkommen, sowie eine zielgerichtetere staatliche Ausgabenpolitik für mehr Investitionen und vor allem in Bildung. Hier verweist Expertin Koske auf den ebenfalls von der OECD erhobenen internationalen Pisa-Test und dessen schlechte Noten für Deutschland. Nach den Corona-Schulschließungen hatten sie nochmals nachgelassen.
In Bildung sieht auch der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Stefan Kooths, staatliches Geld am besten investiert: Die von der Bundesregierung favorisierten Milliardensubventionen für die Industriepolitik stünden auf einem sehr brüchigen Fundament, wenn es künftig immer weniger Ingenieure gebe. Die solideste Wachstumspolitik sei ein gutes Bildungssystem.