Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Neustart nötig? Deutschlands Wirtschaft vor der Zerreißprobe

Krise

Braucht Deutschland ein neues Wirtschaftsmodell?

    • |
    • |
    Die Industrie hat in Deutschland eine besondere Stellung. Nach dem Sieg von Trump rät Ökonom Achim Wambach zur Stärkung des deutschen Wirtschaftsstandorts durch einen Fokus auf Forschung und Entwicklung.
    Die Industrie hat in Deutschland eine besondere Stellung. Nach dem Sieg von Trump rät Ökonom Achim Wambach zur Stärkung des deutschen Wirtschaftsstandorts durch einen Fokus auf Forschung und Entwicklung. Foto: Silas Stein, dpa

    Deutschland steckt fest in der Krise. Der Wahlsieg von Donald Trump und das Scheitern der Ampel-Koalition in Berlin haben die Chancen auf eine schnelle Erholung weiter getrübt. Das Aufkommen eines neuen Protektionismus, dazu die gestiegenen Energiekosten seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges und der demografische Wandel versetzen die deutsche Wirtschaft unter Druck.

    Immer häufiger wird die Frage aufgeworfen, ob das deutsche Geschäftsmodell am Ende ist. Deutschland lebt wie kaum ein anderes Land von offenen Märkten. Die internationalen Verflechtungen der deutschen Unternehmen sind eng, gerade in der traditionell starken Industrie. Auch der Euro hat die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte gesteigert. Ohne die Gemeinschaftswährung wären Waren aus Deutschland international wohl teurer, da sie dann in einer deutlich härteren Deutschen Mark gehandelt würden.

    Donald Trump und das Ampel-Aus trüben die Chancen auf Erholung

    Seit zwei Jahren tritt die deutsche Wirtschaft auf der Stelle. Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) rechnet nach der US-Wahl mit stärkerem Gegenwind:. „Es ist stark zu erwarten, dass die Amerikaner den protektionistischen Kurs weiterführen und auch ihren Binnenmarkt für Unternehmen attraktiver gestalten werden. Sie werden die Unternehmenssteuer senken und auf diese Art den Druck weiter erhöhen, dass sich Unternehmen in den USA ansiedeln“, sagt der Top-Ökonom unserer Redaktion. Doch die Industrie ist in weiten Teilen von globalen Lieferketten abhängig.

    Der Sektor hat in der Bundesrepublik eine besondere Stellung. Begriffe wie Exportweltmeister, Autonation, „Made in Germany“ gehören zum Selbstverständnis des Landes. Die Industrie stand im Jahr 2022 für etwa 18 Prozent der deutschen Wirtschaftskraft, 16 Prozent der Beschäftigungen in Deutschland sind in der Industrie tätig. In anderen westlichen Volkswirtschaften wie Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Italien und den USA, ist die Bedeutung des Verarbeitenden Gewerbes für die Gesamtwirtschaft oft nur halb so groß.

    Hohe Zölle, niedrige Steuern: Unternehmen könnten in den USA abwandern

    Unter dem zunehmenden Protektionismus und den damit verbundenen Zöllen leidet die deutsche Exportindustrie daher besonders. Es wird laut dem Mannheimer Ökonomen nicht nur weniger exportiert, sondern die Zölle kratzen auch an der Marge: „Was wir exportieren, bringt weniger Gewinne“. Wambach hält es für besorgniserregend, dass Unternehmen unter Trump wohl noch mehr Anreize haben werden, in den USA zu investieren. Mithilfe von Subventionen lockt Washington Unternehmen in das Land, um selbst unabhängiger von Importen zu werden. Nach einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer aus dem vergangenen Jahr plante damals bereits jedes zehnte Unternehmen eine Produktionsverlagerung.

    Wambach rät: „Deutschland und Europa müssen ihren Wirtschaftsstandort stärken. Es gibt noch zu viele Binnengrenzen zu überwinden.“ In der EU könnte man etwa dafür sorgen, dass Strom leichter an Nachbarn lieferbar ist. Auch der Ausbau des Telekommunikationsnetzes könnte harmonisiert werden. „Gezielte europäische Zusammenarbeit, da, wo wir einen europäischen Mehrwert haben, nicht Zusammenarbeit als Selbstzweck“, erklärt der Ökonom.

    Der Report zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU, der im September vom ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, veröffentlicht wurde, enthält mehrere konkrete Empfehlungen. Eine davon: die Innovationslücke schließen. Im Vergleich zu den USA und China mangele es in der EU an Innovationen, speziell bei Zukunftstechnologien. Hier sieht auch der ZEW-Präsident Potenzial: „Unser Wohlstand generiert sich durch Wissen, nicht durch günstige Energiepreise“, sagt Wambach. Deutschland sei immer ein Standort gewesen, der mit einer guten Infrastruktur, einer guten Ausbildung und Rechtssicherheit punkten konnte, erklärt er.

    Fokus auf Forschung und Entwicklung in Deutschland

    Um weiter als Standort attraktiv zu bleiben, braucht es nach Wambach einen Investitionsfonds, eine Art Sondervermögen für die Infrastruktur, und eine Mobilisierung von privatem Kapital. „Das ist eine Finanzierungsfrage“, sagt Wambach und führt mit Blick auf die Rest-Ampel aus: „Die Regierung ist handlungsunfähig. Wir brauchen schnell klare Verhältnisse, das darf sich nicht lange hinziehen“. Es brauche eine Politik, die für ein Wirtschaftsmodell steht. Das habe die Ampel-Regierung trotz zeitweiser sehr guter Zusammenarbeit nicht hinbekommen, sagt der Ökonom. „Nur ein dynamischer Binnenmarkt ist ein Garant dafür, nicht zwischen den Wirtschaftsblöcken USA und China zerrieben zu werden.“

    Dass das deutsche Wirtschaftsmodell am Ende sei, will Wambach nicht unterschreiben. Die vergangenen 15 Jahre habe es gut funktioniert. In der Finanzkrise um 2008 war die deutsche Industrie ein wichtiger Stabilisierungsfaktor. „Wer weiß, wie sich die Weltlage noch ändern wird“, sagt Wambach. Gerade komme viel zusammen, so der Ökonom. „Die Stimmung ist in Deutschland schlecht, und auch in Frankreich ist sie schlecht. Aber es ist nicht nur die Stimmung. Wir sind in einer ernsthaften Krise.“

    Wie auch Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der davon ausgeht, dass ein Fünftel der verbleibenden Industrieproduktion in Deutschland bis 2030 verschwindet, geht auch Achim Wambach von einer Abwanderung aus: „Ein Teil der Unternehmen mit hohen Energiekosten und geringer Wertschöpfung wird abwandern“, sagt Wambach und zählt dazu etwa die Ammoniakproduktion. „Wir werden die Transformation sehen“, sagt der Experte und führt weiter aus, dass es unter anderem besser wäre, anstatt die Stahlindustrie zu subventionieren, stärker auf Forschung und Entwicklung zu setzen. Im Feld der Umwelttechnologie sei Deutschland beispielsweise mit führend.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden