Läuft alles nach Plan und macht nicht noch ein Unwetter einen Strich durch die Rechnung, wird am Dienstag in Südamerika ein neues Kapitel Augsburger Technologie-Geschichte geschrieben. Denn ab 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit soll die neu entwickelte europäische Trägerrakete Ariane 6 mit diversen Satelliten an Bord vom Weltraumbahnhof in der Nähe von Kourou ins All geschossen werden. Dort an der Atlantikküste in Französisch-Guayana, nördlich von Brasilien, könnte die europäische Super-Rakete das erste Mal zeigen, was sie kann.
In Augsburg ist die Vorfreude unter den Beschäftigten des Raumfahrt- und Luftfahrtzulieferers MT Aerospace groß. Sie fiebern lange auf das Ereignis hin. Ihre Geduld wurde massiv auf die Probe gestellt, sollte die Rakete doch schon vor vier Jahren abheben. An den Augsburgern lag es nicht, dass die Ariane 6 mit einem derart großen Zeitverzug loslegen kann. Denn 2020 waren die von der Firma entwickelten, designten und gebauten Teile einsatzbereit. An dem Ariane-Programm sind indes viele europäische Länder und Unternehmen beteiligt, was zu Verzögerungen führen kann. Nach Frankreich ist Deutschland der zweitgrößte Auftragnehmer für die Euro-Rakete.
Ariane 6: Tanks und Außenhaut stammen vom Augsburger Unternehmen MT Aerospace
MT Aerospace steuert elf Prozent für den Flugkörper bei. So stammen die Tanks und die Außenhaut von den Raumfahrt-Spezialisten aus Augsburg. Um es in der Auto-Sprache zu sagen: Die Karosserie der Ariane 6 ist made in Augsburg. MT-Aerospace-Chef Ulrich Scheib ist am Dienstag in Kourou dabei, wenn der Jungfernflug erfolgen soll. Der 50-Jährige hat im April die Nachfolge des langjährigen Firmen-Leiters Hans J. Steininger angetreten, der in den Aufsichtsrat gewechselt ist. Scheib zeigt sich vor der Premiere gegenüber unserer Redaktion zufrieden, dass mit der Ariane 6 klar ist, „dass das europäische Tor zum Weltall offen bleibt“. Angesichts der weltpolitischen Entwicklungen sei dies enorm wichtig.
Dass auch das Augsburger Tor zum Weltall weit aufgesperrt bleibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn MT Aerospace rutschte nach Auslaufen der Vorgänger-Rakete Ariane 5 und des sich immer wieder verschiebenden Starts des Nachfolge-Modells in eine schwere Krise, war die Firma doch vor vier Jahren noch in hohem Maße vom Ariane-Geschäft abhängig. Steininger räumte einst ein, dass MT Aerospace 2019 rote Zahlen geschrieben hat: „Und 2020 waren sie tiefrot.“ Das Jahr 2020 bildete den Tiefpunkt für das Unternehmen, schließlich war der Umsatz von einst knapp 200 auf 110 Millionen Euro in die Tiefe gerauscht. Damals warnte der einstige Chef: „Wenn nicht für uns positive Entscheidungen fallen, stehen gut 100 Arbeitsplätze auf der Kippe, ja irgendwann ist sogar der Standort gefährdet.“
Ein Kraftakt der Belegschaft von MT Aerospace
Am Ende mussten zwar rund 100 Stellen überwiegend sozialverträglich abgebaut werden, dank eines Kraftaktes, den Management, Belegschaft und Betriebsrat mitgetragen haben, gelang es jedoch, das Augsburger Unternehmen zu retten. Der heutige Chef Scheib ist stolz, „dass wir das gemeinsam hinbekommen haben und wichtige Mitarbeiter für das Ariane-Programm halten konnten“. Immer wieder sagt er „gemeinsam“ und schließt damit die gesamte Belegschaft ein. Dass der Weg raus aus den roten Zahlen gelungen ist, das Unternehmen wieder wächst und Stellen in Entwicklung und Fertigung aufbaut, ist der Lohn harter Arbeit. Scheib wirkt dankbar, dass Bundesregierung, der Freistaat Bayern, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie die europäische Weltraum-Organisation ESA allesamt MT Aerospace unterstützt haben. Die wesentlichen Kräfte wollten das heimische Tor zum Weltall offenhalten. Es war interessant zu beobachten, wie in dieser Frage selbst Ministerpräsident und Weltraum-Fan Markus Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger an einem Strang zogen.
Dass Scheib überzeugt ist, die Firma könnte 2025 wieder das alte Umsatzvolumen von rund 200 Millionen Euro erreichen, hat auch unternehmerische Gründe: Denn einerseits zeigten sich die Anteilseigner der Firma, allen voran der Bremer OHB-Konzern mit der Familie Fuchs im Hintergrund, geduldig mit MT Aerospace: Das Unternehmen konnte auch in harten Zeiten Geld in den Ausbau neuer Technologien und Sparten investieren, um das Geschäft breiter aufzustellen, sich teilweise neu zu erfinden und die hohe Abhängigkeit vom Ariane-Geschäft zu verringern. So eroberte die Firma neue Raumfahrtkunden, stieg in den 3D-Druck für Raketenteile ein und baute die Wasserstoffaktivitäten aus.
Auch Boeing kauft in Augsburg
Spektakulär ist der Auftrag, für die Boeing-Mondrakete SLS. MT Aerospace baut Tank-Dome für den amerikanischen Träger. Das können die Augsburger besonders gut. Bei einem Gang durch eine Werkshalle glänzen für die Ariane 6 bestimmte Dome mit einem Durchmesser von 5,40 Metern. Sie werden in einem aufwendigen Schweißtechnik-Verfahren hergestellt. Am Ende bekommt die nach oben gebogene Oberfläche eine besondere Behandlung, wird sie doch mit kleinen Stahlkugeln beschossen, die abprallen, aber eine bestimmte Struktur hinterlassen. Weitere Details über die Tankdeckel verraten die MT-Aerospace-Spezialisten nicht, würde es doch ans Eingemachte gehen.
Dass auch der Weltkonzern Boeing auf die Augsburger Technologie fliegt, hat Söder bei einem Besuch mit Abgesandten des US-Riesen bei MT Aerospace beeindruckt. Auf alle Fälle ist die Zuversicht in Augsburg, aber auch bei den Verantwortlichen vor Ort groß, dass der Erstflug der Ariane 6 in Französisch-Guayana ein Erfolg wird. Die letzten, positiv verlaufenen Tests nähren den Optimismus. Das werde klappen, heißt es immer wieder. In Erinnerung ist manchen Weltraum-Kundigen indes, wie die Ariane 5 bei ihrem Erstflug am 4. Juni 1996 offiziell wegen eines Programmierfehlers nach knapp 40 Sekunden explodierte. Doch daran denken die Ariane-Verantwortlichen derzeit nicht. Die Ariane 5 wurde später auch eine Erfolgsgeschichte.
Auch wenn MT Aerospace nicht mehr so sehr wie früher vom Ariane-Programm abhängig ist, bleibt das Geschäft mit Tanks und Strukturteilen für die Rakete wichtig für die Augsburger. Sie wollen nach einem erfolgreichen Erstflug, wie Scheib sagt, „die Produktion hochfahren“. Es locken gute Geschäfte, zumal die Ariane 6 schon bis 2030 nach Darstellung der ESA-Verantwortlichen ausgebucht ist. Das sichert hunderte Arbeitsplätze in Augsburg. Auch Amazon-Gründer Jeff Bezos, ein Weltraum-Fan wie Söder, hat 18 Ariane-Flüge für Internet-Satelliten gebucht. Damit setzt auch der amerikanische Milliardär auf Hightech aus Augsburg.
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