Das Getreide auf den Feldern ist goldgelb, die Ernte nur noch eine Frage von Tagen. Und doch blicken die Bauern mit Sorge auf ihre Äcker. Das Wetter macht ihnen zu schaffen. Wieder einmal. Die Folgen des Klimawandels mit Starkregen, Hagel und dann wieder langer Trockenheit beschäftigen die Landwirte seit Jahren. Bereits im vergangenen Jahr hatte es mangels Regen im Norden Bayerns eine unterdurchschnittliche Getreideernte gegeben. Auch in anderen Teilen der Welt sorgen Wetterphänomene für Ernteausfälle. Doch wie könnten Pflanzen widerstandsfähiger werden gegen Wassermangel? Wie könnte es vielleicht sogar gelingen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren? Die EU-Kommission brachte am Mittwoch Bewegung in eine Debatte, die sich mit „grüner Gentechnik“ befasst.
Die bisher sehr strengen Regeln in Europa sollen deutlich gelockert werden. Viele gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel könnten dann in der EU einfacher erforscht und ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden. Das gilt auch für Verfahren wie die Gen-Schere. Die vor gut zehn Jahren entdeckte Gen-Schere steuert gezielt Gene an, die für eine bestimmte Eigenschaft verantwortlich sind. Bislang ist ein Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung, das in der Praxis mehrere Jahre dauert, zwingend. Weiterhin gelten sollen allerdings strenge Sicherheitsvorgaben.
Die Entscheidung ist umstritten. „Die Gentechnik hat in ihrer Geschichte noch keinen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherung geleistet. Ihr gesellschaftlicher Nutzen wird in der Theorie oft behauptet, aber in der Praxis zielt die Gentechnik auf Patente und Profite“, schreibt Entwicklungsministerin Svenja Schulze auf Twitter. „Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Entwicklungsländern können sich dieses teure Saatgut gar nicht leisten.“ Nichtregierungsorganisationen fürchten, dass große Konzerne noch mehr Kontrolle über die Lebensmittelproduktion bekommen könnten. Zudem sehen etwa Verbraucherschützer die Gefahr, dass Menschen sich nicht mehr bewusst gegen Essen entscheiden könnten, das durch neue Gentechnikmethoden verändert wurde – eine Kennzeichnungspflicht ist nämlich nur für Öko-Lebensmittel angedacht. Kritiker bemängeln zudem, dass in Ländern wie Brasilien oder den USA, in denen der Umgang mit Gentechnik schon jetzt deutlich liberaler ist, der Einsatz von Pestiziden sogar ansteigt.
Einsatz von Pestiziden könnte sich durch Gentechnik verringern
Viele Forscher sehen hingegen großes Potenzial in der Gentechnik. So besteht die Hoffnung, etwa eine Weizensorte zu entwickeln, die gegen die Pilzkrankheit Mehltau resistent ist. Aber auch stressresistente Maispflanzen oder Allergen-freie Erdnüsse sind denkbar. Führende Institutionen wie die Nationale Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ machen sich für die "grüne Gentechnik" stark. „Es gibt zahlreiche Projekte, bei denen mithilfe der neuen Züchtungstechnologien Pflanzen entwickelt werden, die resistenter gegen Pilze, Viren, Bakterien und andere Schädlinge sind“, sagt Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie an der Universität Bonn. Viele dieser Pflanzen seien schon erfolgreich im Feld getestet worden, allerdings überwiegend außerhalb Europas. „Wenn die Zulassung in der EU vereinfacht wird, würden in naher Zukunft viele schädlingsresistente Pflanzen auf den Markt kommen, die hohe Erträge mit viel geringeren Pestizidmengen ermöglichen“, sagt der Experte. „Das wäre ein wichtiger Baustein, um das Ziel der Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zu erreichen – und zwar ohne dass dabei die einheimische Produktion einbricht.“
Natürlich würden nicht alle Merkmale, die bei Pflanzen gentechnisch verändert werden können, den Einsatz von Spritzmitteln reduzieren. Deshalb sei es wichtig, weiter zu untersuchen, wie mithilfe von genetischen Eingriffen die Nachhaltigkeit in den Blick genommen werden muss. „Dabei hilft aber die Tabuisierung der Gentechnik nicht weiter", sagt Qaim. Die EU müsse stattdessen wirtschaftliche Anreize setzen, um gerade solche Projekte zu fördern, die helfen, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. Es sei Aufgabe von Politik, Innovationen zu steuern. Das würde auch helfen, die befürchtete Dominanz von Großkonzernen einzuschränken: „Die Dominanz weniger Großkonzerne im Bereich der Gentechnik kommt vor allem dadurch zustande, dass die Zulassungsverfahren so extrem langwierig und teuer sind“, sagt Matin Qaim. „Das können sich kleinere Firmen nicht leisten.“
Verbraucherzentralen warnen vor den Risiken der Gentechnik
Warnungen kommen von der Verbraucherzentrale. Durch den Einsatz von Gentechnik könnten „unbeabsichtigte und nicht umfassend kontrollierbare Wechselwirkungen mit der Umwelt, Schädlingen, in Bezug auf Klimafolgen und den Tierschutz sowie auf die Lebensmittelsicherheit“ erfolgen. „Diese unbeabsichtigten Effekte können auch eintreten, wenn der Eingriff ins Erbgut als gezielt und präzise gewertet wird“, mahnen die Verbraucherschützer. Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung seien komplexe Systeme, bei denen Risiken und Potenziale genau abgeglichen werden müssten. Lebensmittel müssten auf jeden Fall gekennzeichnet werden.
Die EU-Kommission schlägt vor, dass die neuen Gentechnikverfahren bei Öko-Lebensmitteln nicht eingesetzt werden dürfen. Um eine Koexistenz sicherzustellen, sollen die EU-Länder zudem Maßnahmen beschließen, beispielsweise Abstand zwischen Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen und mit konventionellen Pflanzen. Bevor die Vorschläge Realität werden können, müssen die EU-Staaten und das Europaparlament noch einen Kompromiss aushandeln. (mit dpa)