Wenn der Kanzler kommt, muss die Kulisse stimmen. In der Fertigungsstraße des Münchner BMW-Werks, in der Olaf Scholz (SPD) am Dienstag spricht, reiht sich eine unlackierte Karosserie an die andere. Ob daraus ein mit einem Verbrennermotor angetriebener BMW wird oder ein elektrischer, ist da noch nicht entschieden. Der Weg zum Sprit- oder Stromfresser gabelt sich erst an einem späteren Punkt der Produktion.
Dieses Bild von einem Zwischenstadium passt perfekt für den Besuch von Scholz. Trotz Haushaltskrise in Berlin und Verkehrschaos rund um München ist er ins 100 Jahre alte BMW-Werk gekommen, um sich vom Stand der Transformation zu überzeugen. Dort ist vor wenigen Wochen der letzte Verbrennermotor vom Band gelaufen, derzeit werden in München Verbrenner und E-Autos gleichzeitig hergestellt. Bis 2030 soll die Ära von Diesel und Benziner in diesem Werk zu Ende sein, dann verlassen dort nur noch E-Autos die Hallen.
Bis 2030 soll es in Deutschland 15 Millionen vollelektrische Autos geben
Das sind Pläne nach dem Geschmack von Scholz. Bei einem Autogipfel im Kanzleramt hatte er zuletzt mit den Herstellern diskutiert, wie das Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Pkw bis 2030 in Deutschland erreicht und die Verbreitung der Stromer langfristig gestärkt werden könne. Ein Punkt, um den es dabei ging: Die umweltfreundlichen E-Autos sollen günstiger werden.
In München erklärte Scholz, wie er sich den industriellen Wandel vorstellt. Mit Spitzentechnologie müsse es gelingen, Industriestandort zu bleiben und gleichzeitig den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, die das Klima schädigen. „Wer hier die Produktion sieht und die ganzen Veränderungen, der geht weg mit dem sicheren Gefühl: Das wird unser Land schaffen“, lobte der Kanzler, der den Anteil der BMW-Beschäftigten an diesem Wandel hervorhob. Scholz hatte zuvor an einer Betriebsversammlung der Belegschaft teilgenommen, was Betriebsratschef Martin Kimmich mit viel Stolz kommentierte: „Wenn man Transformation erleben will, muss man hierherkommen.“
Dabei steht BMW-Vorstandschef Oliver Zipse den Vorgaben der Politik skeptisch gegenüber. In einer Reihe von Interviews kritisierte er im Herbst die deutsche Industriepolitik und das EU-Verbot neuer Benzin- und Dieselautos ab 2035. Für massenhaft E-Autos fehle es an Rohstoffen, die Infrastruktur für das Laden der Fahrzeuge sei mangelhaft und dann noch der Preis. Für BMW, das in Niederbayern ein Batteriewerk baut, sei Elektromobilität zwar ein wichtiger Weg, aber nicht der Einzige, sagte Zipse im Herbst.
BMW verkaufte zuletzt 630.000 Autos - nicht einmal 90.000 davon vollelektrisch
Das schwang auch am Dienstag im kurzen Statement Zipses mit. Er bezeichnete die Transformation als einen gleichzeitigen Prozess, der "auch im Alltag bestehen" müsse. Dabei dürfe man nicht zu viel versprechen. Beim Absatz jedenfalls dominieren derzeit noch die Verbrenner. Im zweiten Quartal des Jahres lieferte BMW mit seinen Marken fast 630.000 Fahrzeuge aus. Nicht einmal 90.000 davon waren vollelektrisch – allerdings hatte dieses Segment die höchsten Zuwachsraten.
Scholz hatte für den Dienstag eigentlich zwei Firmenbesuche geplant, die zweite Visite bei Airbus war jedoch wegen der Beratungen in der Haushaltskrise abgesagt worden. Angesichts des Glatteises war Scholz am Flughafen Memmingen gelandet, später startete er in München. Auch ein Mercedes aus dem Kanzler-Tross hatte es rechtzeitig nach München geschafft und sorgte für ein ungewohntes Bild auf dem Werksgelände des bayerischen Erzrivalen. Vor dem Tor dann ein Plakat, das ebenfalls nicht so recht zur Kulisse des Kanzler-Besuchs bei BMW passen wollte: ein altes Wahlplakat, auf dem die Bayernpartei ihre Vorstellung von politischer Transformation kund tat: „Los von Berlin“ lautet das Schlagwort, das so gar nicht zu dem Besuch aus der Hauptstadt passen wollte.