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Mode: "Made in Germany": Wie eine deutsche Textilproduktion gelingen kann

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"Made in Germany": Wie eine deutsche Textilproduktion gelingen kann

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    Die Herstellung einer Jeans vebraucht in der Regel viele Ressourcen. Eine Jeansfabrik in Mönchengladbach möchte das ändern.
    Die Herstellung einer Jeans vebraucht in der Regel viele Ressourcen. Eine Jeansfabrik in Mönchengladbach möchte das ändern. Foto: Fredrik Von Erichsen, dpa (Symbolbild)

    „Made in Germany“: Dieser Spruch gilt als Gütesiegel für hochwertige Produkte aus Deutschland. Er steht für Ingenieurskunst, Erfindergeist und Zuverlässigkeit – aber kaum für eine heimische Modeindustrie. Etwa drei Viertel der Kleidung für den deutschen Markt wird in China produziert, auch Bangladesch, die Türkei und Indien sind wichtige Importländer. Doch spätestens mit der Corona-Pandemie und der Zunahme von Lieferschwierigkeiten zeichnet sich in der Wirtschaft ein Trend ab: das sogenannte Re- oder auch Nearshoring, das Zurückholen von Produktionsstätten in das eigene Land oder nahe gelegene Industriestaaten. Ein Beispiel ist die Modekette C&A: Seit zwei Jahren stellt das Unternehmen Jeans „Made in Germany“ her. Wie kann das gelingen?

    Der Mann hinter dem Pilotprojekt heißt Hans-Uwe Gansfort. Vor rund 20 Jahren hatte er die damals letzte deutsche C&A-Fabrik im niedersächsischen Mettingen abgewickelt. Seit zehn Jahren arbeitet er nun daran, einen Teil der Jeansproduktion zurück nach Deutschland zu holen. Mit Erfolg: Seit Ende 2021 ist Gansfort Geschäftsführer der ersten wieder angesiedelten deutschen Jeansfabrik in Mönchengladbach. 

    Bis auf die Baumwolle stammen alle Materialien der Jeans aus Europa

    „Die Jeans sind ein komplett europäisches Produkt“, betont der Unternehmer gegenüber dem Tagesspiegel. Ausnahme sei die Baumwolle, die aus Bio-zertifizierten Betrieben in Indien und Afrika stamme. Alle anderen Materialien werden aus dem nahen europäischen Ausland, etwa Ungarn, Polen und der Schweiz, geliefert. Damit weist die deutsche Jeans deutlich kürzere Lieferketten auf als die konventionelle Ware. Außerdem sind die Stoffe GOTS-zertifiziert, dem höchsten Standard für die Verarbeitung von Bio-Fasern. 

    Insgesamt verursacht die Textilindustrie etwa 1,2 Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr. Das ist mehr als der internationale Flugverkehr und die Kreuzschifffahrt zusammen und macht fünf Prozent der globalen Emissionen aus. Die konventionelle Produktion schlägt dabei besonders durch einen hohen Energie- und Wasserverbrauch zu Buche. Die Herstellung einer Jeans schluckt in der Regel etwa 60 Liter Wasser. Auf das Konto der Mönchengladbacher Jeans gehen dagegen weniger als zehn Liter. Dafür sorgt eine angeschlossene Wäscherei, die das Produktionswasser filtert und mehrmals in den Kreislauf einspeist. Das erklärte Ziel der Fabrik ist es, die Energie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen: 70 Prozent aus einem nahe gelegenen Windpark, 30 Prozent aus Solarenergie. 

    Die höheren Lohnkosten haben Auswirkungen auf den Preis der Jeans

    Bei der Produktion setzt die Fabrik besonders auf automatisierte Prozesse. „Wenn wir erfolgreich in Deutschland produzieren wollen, müssen wir den Anteil der Handarbeit reduzieren“, betont Gansfort im Tagesspiegel. Das zahlt sich auch deshalb aus, weil die Lohnkosten in Deutschland zehnmal so hoch seien wie in Asien. Für die Konsumentinnen und Konsumenten wird das in den Läden spürbar: Eine Jeans „Made in Germany“ kostet mit knapp 60 Euro im Durchschnitt doppelt so viel wie das Standardprodukt. 

    Eine große Unsicherheit war es, die richtigen Mitarbeiter zu finden, berichtet der Geschäftsführer im Tagesspiegel. Wer in Deutschland noch Fachwissen in der Produktion habe, stehe kurz vor der Rente. Einige der rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stammen daher aus Afghanistan, Pakistan oder der Türkei, wo sie bereits in der Textilindustrie gearbeitet haben. Bislang erreiche die Fabrik eine jährliche Stückzahl von etwa 400.000. In Zukunft sollen doppelt so viele deutsche Jeans in knapp 700 europäischen Filialen verkauft werden. 

    Maike Rabe leitet das Forschungsinstitut Textilveredelung und Ökologie an der Hochschule Niederrhein. Die Expertin kann zwar die Beobachtung, dass in Deutschland viel Wissen im Bereich der Textilproduktion verloren gegangen ist, bestätigen. „Gleichzeitig kann Deutschland aber viel Expertise und ein gutes Netzwerk im Bereich des Maschinenbaus, der chemischen Industrie und der Softwareentwicklung sowie über hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten aufweisen“, betont Rabe. Das seien wichtige Voraussetzungen, damit eine innerdeutsche Textilproduktion, die auf Automatisierung und Digitalisierung basiert, gelingt. Gleichwohl stünden Unternehmen, die ihre Produktion zurückholen möchten, vor der großen Herausforderung, dem Wettbewerb standzuhalten. „Solange Ultra-Fast- und Fast-Fashion-Modeartikel den Markt überschwemmen, bleibt es für Unternehmen, die nachhaltig in Europa produzieren möchten, schwierig“, sagt die Expertin. 

    Adidas gelang es nicht, eine Produktion im fränkischen Ansbach aufzubauen

    Die Modekette C&A erfülle mit ihrer deutschen Fabrik eine Vorbildfunktion und zeige auf, dass Re- oder Nearshoring gelingen kann. „Auf der Seite der Unternehmen ist zwar viel Interesse zu verzeichnen, aber die Zahl derer, die solche Projekte umsetzen, ist gering“, berichtet Rabe. Neben C&A hat sich auch Adidas an einer deutschen Produktionsstätte versucht. 2016 eröffnete der Sporthersteller im fränkischen Ansbach eine sogenannte Speedfactory, in der Sportartikel dank einer automatisierten Fertigung „schneller als je zuvor“ hergestellt werden sollten. Dieser Versuch scheiterte jedoch, im April 2020 schloss die Fabrik wieder. Es habe sich herausgestellt, dass es sinnvoller sei, auch die Produktion der Speedfactorys dort zu konzentrieren, wo das Know-how und die Lieferanten säßen, sagte Konzernsprecher Jan Runau. 

    Expertin Maike Rabe schätzt, dass die Textilindustrie immer eine globale Branche bleiben wird – allein schon deshalb, weil nicht alle Ressourcen in Europa gewonnen werden können. „Für einige Unternehmen kann es sich aber als ökonomischer Vorteil erweisen, die Spitzen des Bedarfs über eine nahe On-Demand-Produktion abzufangen“, sagt die Expertin. So ließen sich Überproduktionen besser eindämmen. „Das wäre wirtschaftlich und auch ökologisch ein großer Erfolg.“

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