Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht es schwarz auf weiß: "Bis 2030 wollen wir 75 Prozent des Schienennetzes elektrifizieren und innovative Antriebstechnologien unterstützen." Ein elektrisch betriebenes Schienennetz verringert den CO₂-Ausstoß, ist somit klimafreundlicher. Die Allianz pro Schiene hat nun gemeinsam mit dem Verein Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) untersucht, wie weit die Regierung bei der Umsetzung ihrer Pläne ist.
Nach Angaben der beiden Organisationen sind bislang 62 Prozent des Bundesschienennetzes in Deutschland elektrifiziert, das heißt, knapp zwei Drittel des Schienennetzes in Deutschland sind mit einer Oberleitung versehen. "Der Schienenverkehr soll zwar weiter wachsen", sagt der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Aber: "Da, wo keine Oberleitung hängt, ist jedoch kein wirkliches Wachstum möglich."
Bis 2030 will die Ampel 58 Prozent des Netzes in Bayern elektrifizieren
In der Politik stehe die Elektrifizierung des Schienennetzes schon seit Längerem auf der Agenda, sowohl in der letzten Merkel-Amtszeit (70 Prozent des Bundesschienennetzes bis 2025) als auch bei der aktuellen Ampelregierung. "Alle kündigen es an", so Flege, "es passiert jedoch kaum etwas." Seit vielen Jahren bewege man sich "im Schneckentempo" voran. Laut Flege wolle die Regierung bis 2030 "erschütternd wenig" elektrifizieren. 1100 Kilometer habe sie in der Planung. Das entspreche 80 Kilometer pro Jahr. Nötig, um das selbst gestellte Ziel einzuhalten, seien jedoch 4500 Kilometer – etwa 600 Kilometer pro Jahr. "Sonst werden wir nicht auf die angestrebten 75 Prozent, sondern nur auf 65 Prozent kommen."
Beschämend sei zudem, so Flege, dass sich in einigen Bundesländern gar nichts verändern werde. "Wenn man den Regierungsangaben glaubt, werden Sachsen und Niedersachsen bis 2030 null Prozent Fortschritt bei der Elektrifizierung ihres Schienennetzes haben." Die Allianz pro Schiene berichtet, dass in Bayern aktuell 57 Prozent der Schieneninfrastruktur im Eigentum des Bundes elektrifiziert sind. Nach Angaben des Bundestags soll, nach dem aktuellen Vorhaben der Ampel, der Elektrifizierungsgrad im Freistaat Bayern bis 2030 auf rund 58 Prozent steigen.
Andere Länder machen es vor – die Schweiz liegt ganz vorne
In Bayern laufe es besser, sagt der CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek. Mit der Fortschreibung der bayerischen Elektromobilitätsstrategie komme die Elektrifizierung im Freistaat "einen großen Schritt voran." Mit dieser Strategie möchte Bayern für mehr lokalen, emissionsfreien Bahnbetrieb sorgen. Ziel dabei ist es, den Dieselbetrieb im Schienen-Personennahverkehr bis zum Jahr 2040 zu beenden. Holetschek: "Hier sind wir als Freistaat und Schwaben auf einem sehr guten Weg und stehen zu unserem Versprechen, das sogenannte Dieselloch im Allgäuer Raum klimafreundlich aufzufüllen." In Schwaben sei unter anderem die 85 Kilometer lange Strecke Neu-Ulm – Memmingen – Kempten zur Elektrifizierung geplant.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland über dem Durchschnitt von 57 Prozent. Zwischen Polen und Frankreich befindet sich die Bundesrepublik im Mittelfeld des Rankings. Spitzenreiter ist die Schweiz. Die Bahnen der Eidgenossen können auf jedem einzelnen Meter mit Strom fahren: Die Quote liegt bei hundert Prozent. Warum geht es bei der Elektrifizierung in Deutschland jedoch so schleppend voran? Flege nannte drei Ursachen: Erstens fließe zu wenig Geld, zweitens schleppen sich die Prozesse rund um die Vorhaben und drittens stehe oftmals die Bürokratie im Weg. "Eine verpflichtende Kosten-Nutzen-Planung dauert oftmals zwei bis drei Jahre." Das müsse schneller gehen.
Allianz pro Schiene fordert Entbürokratisierung
Warum die Elektrifizierung des Netzes nicht nur klimapolitisch wichtig ist, weiß der VDV-Eisenbahnexperte Martin Henke. Sie bietet den Eisenbahnen eine preiswertere und berechenbare Antriebsart. Um die Ziele der Regierung einhalten zu können, fordern die Allianz pro Schiene und der VDV einen Fonds für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes. Zudem solle der Prozess der Elektrifizierung entbürokratisiert werden, sagte Henke. "Das hat in einer Ausnahmesituation wie bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal gut funktioniert." Wenn die Ursachen für den langsamen Ausbau angegangen werden würden, stehe dem 75-Prozent-Ziel der Regierung nichts mehr im Wege. "Wir halten ein Elektrifizierungsziel von 80 Prozent bis zum Jahr 2035 nicht nur für wünschenswert, sondern auch für realistisch", so Henke.
Weniger Verspätungen, mehr Klimaschutz. Mit diesem Versprechen will die Deutsche Bahn eine neue ICE-Strecke zwischen Augsburg und Ulm bauen. Aber dagegen regt sich Widerstand. Hören Sie über diesen Konflikt unseren dreiteiligen Recherche-Podcast "Weichenstellung" .