Dass die 12 Euro in Sack und Tüten sind, daran gibt es in Berlin keinen Zweifel mehr. Am Freitag wird der Bundestag den Mindestlohn auf diesen Betrag anheben. Es ist ein zentrales Versprechen der SPD an die Wähler und wird auch von den Ampel-Partnern FDP und Grüne unterstützt.
SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil hat am Donnerstag extra einen Friseursalon in Berlin besucht. Die Chefin zahlt ihren Mitarbeitern gerne die 12 Euro. "Als Unternehmerin muss ich aber die Grätsche machen", sagte Stefanie Speer. Für ihre Kunden wird es teurer, allerdings erst nach dem Sommer. Denn die 12 Euro gelten erst ab ersten Oktober.
Treibt der Mindestlohn das gesamte Lohngefüge?
Was die Friseurin sagt, gilt für die gesamte Wirtschaft. Das Unternehmerlager trägt die Lohnerhöhung um 20 Prozent grummelnd mit. Große Teile der Wirtschaft zahlen schon heute mehr oder können wegen des Fachkräftemangels nicht mehr mit Dumpinglöhnen arbeiten. „Auch wenn die meisten Familienunternehmen schon heute über Mindestlohn bezahlen, ist die Erhöhung durchaus ein Thema", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Familienunternehmer, Albrecht von der Hagen, unserer Redaktion. "Einige Betriebe werden gerade nach der Pandemie dadurch an ihre Grenzen kommen."
Die Sorge der Wirtschaft: Dass mit der Anhebung der Lohnuntergrenze das ganze Lohngefüge im Betrieb nach oben getrieben wird. "Die Personalkosten werden also insgesamt steigen und die Lohn-Preis-Spirale anfeuern", fürchtet von der Hagen.
Für Unternehmer und Chefs war der Kampf gegen den großen Sprung beim Mindestlohn dieses Mal aussichtslos. Denn auch ihre natürlichen Verbündeten im politischen Berlin FDP und Union tragen die Erhöhung mit. "Für die Beschäftigten sind 12 Euro Mindestlohn ohne Frage angemessen", sagte der Chef der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion, Axel Knoerig, unserer Redaktion.
"Jetzt hat Arbeitsminister Heil die Kommission entmachtet"
Den CDU-Abgeordneten und den Vertreter der Familienunternehmen eint die Kritik am Vorgehen der SPD um den Arbeitsminister und Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie sehen das Verfahren zur Bestimmung des Mindestlohnes als ruiniert an. Denn eigentlich soll über seine Anhebung eine Kommission entscheiden. Sie ist besetzt mit Arbeitgebern, Gewerkschaftern und Ökonomen. Ihr Maßstab sind die zurückliegenden Lohnabschlüsse, die die Tarifparteien ausgehandelt haben. "Jetzt hat Arbeitsminister Heil die Kommission entmachtet. Minister Heil will Löhne politisch festsetzen", beklagt CDU-Mann Knoerig. Und von der Hagen regt "die unverfrorene staatliche Festlegung von Löhnen“ auf.
Die Unternehmen haben nun erst einmal ein Jahr Ruhe. Erst Mitte nächsten Jahres soll die Kommission wieder zusammentreten und die nächste Stufe ab Januar 2024 festlegen. Ein Mindestverdienst von 12 Euro brutto pro Stunde soll dafür sorgen, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Laut Arbeitsministerium werden 6 Millionen Beschäftigte davon profitieren, im Osten stärker als im Westen.
Nicht mit eingerechnet in die 12 Euro ist der enorme Inflationsschub, der wegen des Kriegs in der Ukraine noch einmal an Wucht gewonnen hat. Die Familienunternehmer glauben, dass die Zeit der Mindestlohnkommission vorbei ist. "Die Versuchung wird bei politisch passender Gelegenheit wieder groß sein und zu einem Überbietungswettbewerb im nächsten Wahlkampf führen", sagte Verbandschef von der Hagen.