Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Medizin: Wie Ärzte sich den Lockungen der Pharmahersteller widersetzen

Medizin

Wie Ärzte sich den Lockungen der Pharmahersteller widersetzen

    • |
    Eine Initiative an Ärztinnen und Ärzten sieht zu enge Beziehungen zu den Arzneimittelherstellern kritisch.
    Eine Initiative an Ärztinnen und Ärzten sieht zu enge Beziehungen zu den Arzneimittelherstellern kritisch. Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa

    Kommen Pharmahersteller auf ihn zu, ist Sebastian Pörnbacher erst einmal skeptisch. "Früher waren kostenlose Reisen nach Mallorca für Ärzte verbreitet, heute fallen die Gefälligkeiten der Pharmaindustrie für Mediziner kleiner aus. Ihr Ziel bleibt gleich: Arztpraxen zum Verschreiben von teuren neuen Medikamenten zu bewegen", sagt er. Nach dem Medizinstudium hat er mehrere Stationen in Krankenhäusern und Arztpraxen durchlaufen, im kommenden Jahr wird er als Hausarzt in eine Gemeinschaftspraxis in der Nähe von Kaufbeuren einsteigen. Seine Erfahrungen als angestellter Arzt – "ständige Besuche von Pharmavertretern und kleine Geschenke sind gang und gäbe" – haben Pörnbacher bestärkt, den Verein Mezis zu unterstützen. Die Abkürzung steht für "Mein Essen zahl‘ ich selbst – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte". Sie wendet sich auch gegen von Arzneimittelherstellern gesponserte Fortbildungen mit gutem Essen an schönen Orten, auf denen sie ihre Produkte anpreisen.

    "Viele Kollegen meinen, dass sie sich dadurch nicht beeinflussen lassen, doch genügend Studien beweisen das Gegenteil", betont der 32-Jährige. Nach seinen Worten ist die Einflussnahme auf die Leitlinien bestimmter ärztlicher Fachrichtungen wie die Kardiologie besonders groß. Pörnbacher ist eines von bundesweit rund 1000 Mezis-Mitgliedern. Sie empfangen keine Pharmavertreter, nehmen nur an werbungsfreien Fortbildungen teil, informieren sich in unabhängigen Fachzeitschriften über neue Arzneimittel und legen keine Produkte von Herstellern aus.

    Geschenke von Pharmavertretern und günstige Praxis-Software

    Laut Mezis-Mitglied Tobias Samusch haben sich die Methoden der Einflussnahme verändert. Der Hausarzt aus Soest berichtet, dass Pharmavertreter Arztpraxen günstige Praxisverwaltungssysteme anbieten – eine spezielle Software übermittelt dabei automatisch, welche Medikamente in welcher Häufigkeit verordnet werden. Daten, auf die Pharmavertreter dann gezielt beim nächsten Besuch zu sprechen kommen. "Manchmal kann es gut sein, kein Medikament zu geben. Um das zu klären, muss man sich Zeit für Patienten und nicht für Vertreter nehmen", sagt Samusch. Patienten empfiehlt er, sich über die Arzneimitteldatenbank der Stiftung Warentest, die Seite www.gesundheitsinformation.de zu informieren.

    Neue Medikamente haben nicht immer Zusatznutzen, behauptet die Initiative

    Laut Mezis-Sprecherin Sabine Hensold aus Stadtbergen besuchen jährlich 15.000 Pharmavertreter 20 Millionen Mal Arztpraxen und Krankenhäuser. Dass sie dabei sehr erfolgreich sind, zeigen die Negativpreise, die Mezis vergibt. Im vergangenen Jahr ging der "Blockbuster supreme" an den Bayer-Konzern für das Präparat Xarelto, das 2021 auf Platz vier der umsatzstärksten Medikamente landete. Ein teurer Blutverdünner, den Mezis-Vorstandsmitglied Manja Dannenberg in ihrer Laudatio so "würdigt": "Der Nachweis einer therapeutischen Überlegenheit fehlt bis heute." Die Ausgaben der Krankenkassen für Gerinnungshemmer stiegen laut Mezis in Deutschland von 68 Millionen Euro (2008) auf 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2021.

    Kein Einzelfall. Nach Angaben von Mezis kamen 2021 in Deutschland 37 neue Arzneimittel gegen Krebs-, Infektions-, Herz-Kreislauf-, Blutsystem-, Autoimmun- und weitere Erkrankungen auf den Markt. Die meisten werden als Innovationen beworben. Eine unabhängige Überprüfung – seit 2010 gesetzlich vorgeschrieben – stellt laut Mezis das Gegenteil fest: Bei 69,7 Prozent dieser Mittel ist kein Zusatznutzen feststellbar, nur bei 11,9 Prozent ist ein beträchtlicher und bei 0,2 Prozent ein erheblicher Zusatznutzen nachweisbar. 

    Höhere Ausgaben für Werbung als für Forschung?

    Hohe Medikamentenpreise sind nötig, um neue Wirkstoffe zu entwickeln, betonen Pharmaunternehmen. Mezis verweist dagegen darauf, dass die Werbeausgaben der größten Hersteller wie Novartis, Johnson & Johnson, Merck und Pfizer erheblich über den Investitionen für Entwicklung und Forschung liegen, zum Teil über 100 Prozent. Auf der diesjährigen Mezis-Jahrestagung hat Rolf Blaga von Transparency International Deutschland festgestellt, dass die Gewinnmarge der weltweit 21 umsatzstärksten Pharmahersteller im Schnitt bei 25,7 Prozent liegt.

    Das Geld werde zum einen mit überhöhten Preisen für neue Mittel gemacht, solange der Patentschutz besteht. Und auch Generika – wirkstoffgleiche Präparate von Mitteln, deren Patentschutz abgelaufen ist – spülten trotz niedrigerer Preise Geld in die Kasse, weil man Kosten durch die Produktion in Asien reduziert. Angesichts der Engpässe bei vielen Generika kommt Mezis zum Schluss: "Eine Herstellung in Europa wäre wünschenswert. Mit den bisherigen Gewinnerwartungen der Firmen unter europäischen Bedingungen und Arzneimittelpreisvorstellungen ist dies jedoch nicht durchführbar."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden