„Dank seines Wirkstoffes, der Acetylsalicylsäure, ist das Medikament gut verträglich, lindert Schmerzen, senkt Fieber und wirkt entzündungshemmend.“ Das ist kurz zusammengefasst die bekannteste Arznei der Welt: Aspirin. Am 6. März 1899 wurde der Markenname „Aspirin“ in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes in Berlin eingetragen. Auch zur Prävention eines erneuten Herzinfarkts oder Schlaganfalls kommt die Substanz zum Einsatz.
Der Siegeszug des Mittels begann bereits 1897 – und zwar nicht in Leverkusen, sondern in Elberfeld: Damals befanden sich die Labore der „Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.“ noch auf heutigem Wuppertaler Gebiet. Dem jungen Chemiker Dr. Felix Hoffmann gelang es erstmals, Acetylsalicylsäure (kurz ASS) in reiner und haltbarer Form zu synthetisieren. Der Legende nach war er durch seinen kranken Vater auf die Idee gekommen, die ursprünglich gegen Rheuma und Schmerzen eingesetzte Salicylsäure zu „veredeln“. Denn die reizte bei längerfristiger Einnahme die Schleimhäute und löste Brechreiz aus.
Der Institutsleiter favorisierte damals Heroin
Zunächst zeigte Professor Heinrich Dreser, der damalige Leiter des Pharmakologischen Instituts bei Bayer, nur wenig Interesse an der Entdeckung. Er favorisierte das ebenfalls von Hoffmann entwickelte Hustenmittel Diacetylmorphin, besser bekannt unter seinem von Bayer eingetragenen Markennamen Heroin. Dessen suchtgefährdende Wirkung sollte sich erst später herausstellen. Erst als sich Bayer-Generaldirektor Carl Duisberg einschaltete und auf Zulassungsprüfungen für Aspirin bestand, wurde der Wirkstoff in die Produktion aufgenommen. Obwohl sich Dreser lange gegen ASS ausgesprochen hatte, erntete er später die Lorbeeren – und verdiente damit viel Geld.
Über die Urheberschaft von Aspirin entstand ein halbes Jahrhundert später ein Streit: Der jüdischstämmige Chemiker Dr. Arthur Eichengrün wandte sich offiziell an Bayer. Er sei es gewesen, der in den 1890er-Jahren als Laborleiter Hoffmann den Auftrag erteilt habe, Ester der Salicylsäure herzustellen. Hoffmann habe nur seine Anweisungen befolgt. Bis zu seinem Tod 1949 beharrte Eichengrün, den die Nazis ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt hatten, auf seiner Urheberschaft. Auch von Bayer wurden seine Ansprüche weitgehend ignoriert. Erst in den 1990er-Jahren gewährte der Chemie- und Pharmakonzern Prof. Walter Sneader von der Universität Strathclyde in Glasgow Zugang zu den Laboraufzeichnungen von Hoffmann. Sein Fazit lautete: „Eichengrün war für die Entdeckung der Acetylsalicylsäure, besser bekannt als Aspirin, maßgeblich mitverantwortlich.“
Medikament wurde rasch zum Verkaufsschlager
Schnell avancierte Aspirin zum Verkaufsschlager, hatte das Unternehmen doch an über 30.000 Ärzte Werbebroschüren versandt. Zunächst wurde das Mittel in 250-Gramm-Glasflaschen als Pulver an Apotheken verkauft, die es in 500-Milligramm-Dosen in Papiertütchen an Patientinnen und Patienten abgaben. Weil andere Firmen mit der Nachahmung von Aspirin begannen, ging Bayer dazu über, Aspirin als eines der ersten industriell hergestellten Medikamente in Tablettenform zu pressen. Zusätzlich vereinfachten die Pillen eine standardisierte Dosierung.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte die Popularität von ASS-Produkten zu einem heftigen Wettbewerb. Erst nach der Entwicklung von Paracetamol 1956 und Ibuprofen 1962 nahm die Häufigkeit von ASS-Einnahmen ab. Bayers Marktanteil liegt mit jährlich über vier Milliarden im Werk Bitterfeld produzierten Tabletten bei rund 60 Prozent.
Trotz seiner erwiesenen schmerzstillenden Effekte blieb die genaue Wirkungsweise von Aspirin lange Zeit ungeklärt. Erst 1971 gelang dem britischen Pharmakologen John Vane der Nachweis, dass Acetylsalicylsäure die Synthese bestimmter Botenstoffe – der Prostaglandine – hemmt. „Kein Arzneimittel der Welt hat eine so faszinierende und rekordträchtige Geschichte – eine Entwicklung, die noch nicht zu Ende ist“, prophezeite der Professor, der für seine Entdeckung 1982 den Medizin-Nobelpreis erhielt. Er sollte recht behalten.
In den 1980er-Jahren wurde auch die hilfreiche Wirkung von ASS-Medikamenten beim Überleben von Herzinfarkten nachgewiesen. Auch als Mittel bei akuten Migräne-Attacken und zur Prophylaxe von Schlaganfällen sowie Thrombosen kam es zum Einsatz. 2004 fand der britische Wissenschaftler Professor Derek W. Gilroy heraus, warum der Wirkstoff Entzündungen hemmt. Acetylsalicylsäure entfaltet durch die Entstehung von Stickoxid seine volle antiinflammatorische Wirkung, Stickoxide steuern den Transport weißer Blutkörperchen zu Infektionsherden. Bis heute erscheinen jährlich rund 1000 wissenschaftliche Veröffentlichungen über neue Wirkmechanismen und mögliche Indikationsgebiete der Acetylsalicylsäure.
Der Siegeszug reichte sogar bis zum Mond
Forscher stellten jedoch auch Nebenwirkungen des Medikaments wie Magenbeschwerden oder eine verstärkte Blutungsneigung fest. Ebenso darf Aspirin nicht bei Bluthochdruck, schweren Leber- und Nierenfunktionsstörungen, einer Störung der Blutgerinnung oder bei schwerer Herzinsuffizienz angewendet werden. Kurzfristig kann es nach der Einnahme auch zu Sodbrennen, Übelkeit oder Durchfall kommen.
Aspirin dürfte – heute als Brause- und Kautablette oder Granulat – das meistverkaufte Medikament der Geschichte sein, 1969 flogen sogar 72 Tabletten an Bord der Raumfähre Apollo 11 zum Mond.