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London: Für Großbritannien bergen Truss' Wirtschaftspläne ein hohes Risiko

London

Für Großbritannien bergen Truss' Wirtschaftspläne ein hohes Risiko

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    Die britische Premierministerin Liz Truss (links) hat ihre Steuersenkungen und Wirtschaftspläne gegen heftige Kritik verteidigt.
    Die britische Premierministerin Liz Truss (links) hat ihre Steuersenkungen und Wirtschaftspläne gegen heftige Kritik verteidigt. Foto: Dylan Martinez, PA Wire/dpa (Archivbild)

    Über dem Konterfei von Liz Truss steht: „Vermisst. Haben Sie diese Premierministerin gesehen?“ So titelte die britische Tageszeitung The Independent am Mittwoch und zeigte damit auf, was viele Menschen in Großbritannien in den vergangenen Tagen fassungslos machte. „Die Märkte sind in Aufruhr, die Bank of England musste einschreiten, um eine Bankenkrise zu verhindern. Aber von Liz Truss fehlt noch immer jede Spur.“

    Dann äußerte sie sich doch gegenüber mehreren Radiostationen und gab in „vorformulierten Sätzen“, wie Hörer kritisierten, die immer gleichen Antworten: Nicht die Regierung sei schuld an der aktuellen Wirtschaftskrise, sondern die Weltlage, und: „Wir ändern unseren Kurs nicht.“

    Britische Regierung senkt Einkommenssteuer und nimmt Schulden auf

    Viele Experten sind sich jedoch einig, dass die Premierministerin diese Entscheidung politisch nicht überleben wird. Tatsächlich ist Großbritannien mit den durch die neue Regierung angekündigten Mini-Budgets laut Experten nur knapp einem „Lehman-Moment“ entgangen, einer Krise also, die dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 gleichkommt.

    Um den Markt zu stabilisieren, musste die Notenbank in einem außergewöhnlichen Schritt am Mittwoch einspringen. Sie verkündete den Kauf von Staatspapieren mit langer Laufzeit – ohne Obergrenze. Dadurch sicherte sie deren Wert und rettete damit die Pensionskassen.

    Ausgangspunkt der Krise war der am vergangenen Freitag vorgestellte Plan von Finanzminister Kwasi Kwarteng, der Schätzungen zufolge bis zu 200 Milliarden Pfund (223 Milliarden Euro) kosten wird. Demnach soll die Einkommensteuer für Geringverdienende um einen Prozentpunkt und für Menschen mit hohen Einkommen um fünf Punkte gesenkt werden. Außerdem will er eine Erhöhung der Sozialversicherung und einen Anstieg der Körperschaftsteuer zurücknehmen. Finanziert werden soll das Ganze durch Schulden. „Sein Fehler war, dass er nicht erklärt hat, wie er diese Schulden finanzieren will“, erklärte Richard Murphy, Wirtschaftsexperte an der Sheffield University Management School, gegenüber unserer Redaktion. Es ging die Angst um, dass der Leitzins in Zeiten der galoppierenden Inflation immer weiter steigen könnte. „Die Anleger gerieten in Panik.“ Banken zogen Kreditangebote mit Zinsbindung zurück. Der Pfund-Kurs rutschte auf ein Rekordtief im Vergleich zum US-Dollar ab, Importe werden teurer, Immobilienkredite platzen.

    Experte prognostiziert mehr Ausgaben für britische Haushalte

    Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die schuldenfinanzierten Steuersenkungen am Dienstagabend gerügt. Auch das ein beispielloser Schritt. London sollte die Pläne „noch einmal überdenken“, besonders diejenigen für Bezieher hoher Einkommen. Wegen des erhöhten Inflationsdrucks seien große, nicht zielgerichtete Finanzpakete nicht zu empfehlen, so der Die oppositionelle Labour-Partei reagierte mit Spott auf diese Entwicklung: Die neue Regierung sei ein „Kabinett der Untalentierten“, sagte die Vize-Chefin Angela Rayner.

    Kritik an dem eingeschlagenen Kurs ist auch innerhalb der konservativen Partei vorhanden, wird aber selten öffentlich vorgebracht. Der Tory-Abgeordnete Julian Smith jedenfalls machte seinem Entsetzen über den Kurs Luft: „Arghhhhhhhhhhhhhhhhh“, twitterte er.

    Der Steuersenkungsplan, den Truss und Kwarteng so vehement verteidigen, beruht auf der These, dass ein möglichst freier Markt und ein geringer Eingriff des Staates zu mehr Wachstum führen. „Er wird von einer ganzen Reihe von rechtskonservativen Denkfabriken in Großbritannien unterstützt“, erklärte Murphy. Nun sei zum ersten Mal eine Regierung an der Macht, die diese Ideologie vertritt. Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass das Ganze funktionieren wird, gebe es allerdings keine. Murphy bezeichnete die Pläne als „ökonomischen Schwachsinn“. Die Reaktion der Märkte zeige indes, dass sie nicht an diese Ideologie glauben.

    Schließlich sind die Folgen fatal. „Durch die Maßnahmen werden die Hypothekenzinsen von aktuell rund zwei auf bis zu sieben Prozent steigen“, prognostiziert der Fachmann. Das bedeutete monatliche Mehrausgaben für Haushalte von bis zu 700 Pfund (780 Euro) pro Monat. „Aus meiner Sicht werden die Leute auf die Straße gehen. Das überlebt kein Premierminister. Ich denke, dass sie maximal noch bis Weihnachten im Amt bleibt.“

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