Das deutsche Lieferkettengesetz sorgt für Verstimmung in der Wirtschaft. Große Unternehmen sollen künftig darauf achten müssen, ob ihre Zulieferer etwa bei der Produktion von Bauteilen oder importierten Waren Umwelt- und Sozialstandards einhalten. Nach langen Verhandlungen hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf vor kurzem gebilligt. Entwicklungsminister Gerd Müller sagte unserer Redaktion auf Nachfrage, er sei mit dem Beschluss im Bundeskabinett zufrieden: „Es ist ein guter Kompromiss mit Augenmaß. Es gibt klare, abgestufte Regeln.“ Trotzdem aber sei es Ziel, eine einheitliche europäische Regelung zu treffen.
Der Initiative Lieferkettengesetz geht der GroKo-Entwurf nicht weit genug
In Brüssel ist das Thema längst aufgeschlagen. Das EU-Parlament macht sich für ein eigenes, europaweites Lieferkettengesetz stark, das noch deutlich schärfer ausfallen soll. Am Mittwoch stimmen die Parlamentarier in Straßburg über einen entsprechenden Bericht des Rechtsausschusses ab, die Zustimmung gilt als sicher. Ein Gesetz ist das noch nicht. Doch das Vorgehen erhöht den Druck auf die EU-Kommission, die in Brüssel das alleinige Recht hat, Gesetz vorzuschlagen. Johannes Heeg ist Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz, einem Bündnis aus mittlerweile 125 Organisationen, darunter NGOs, Gewerkschaften und Kirchenverbände. Auch er befürwortet einheitliche Regeln für europäische Unternehmen.
Dass das Lieferkettengesetz nun auf EU-Ebene diskutiert wird, dürfe dem deutschen Gesetzgeber aber nicht als Vorwand dienen, nicht mehr aktiv zu werden, sagt Heeg. „Die Mühlen in Brüssel mahlen langsam.“ Der Initiative geht schon der Entwurf zum deutschen Lieferkettengesetz nicht weit genug und fordert vom Bundestag, nachzubessern. Der Gesetzesentwurf sieht im ersten Schritt vor Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten und ab 2024 – in einem zweiten Schritt – mit mehr als 1000 Beschäftigten zu verpflichten, ihre Zulieferer zu überprüfen. Aber in den meisten Fällen nur die direkten Zulieferer und nicht ihre Sub-Unternehmen und weitere Zulieferer. Die Initiative Lieferkettengesetz möchte das ändern und fordert, Unternehmen gleich ab 250 Mitarbeitern in die Pflicht zu nehmen. Nur so könne man präventiv etwa Kinderarbeit stoppen, sagt Heeg.
Das EU-Parlament plant ein härteres Gesetz, bei dem Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren sollen
Bernd Lange sitzt für die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament und unterstützt den Vorstoß für ein europäisches Lieferkettengesetz. Dieses sei ein wirkungsvolles Instrument, um universelle Werte zum globalen Standard zu machen. „Halbe Lösungen darf es nicht geben.“ Der kleinste gemeinsame Nenner auf EU-Ebene würde auf Kosten der Menschen und der Umwelt gehen. Es sollten klare Haftungspflichten für Unternehmen und Klagemöglichkeiten für Geschädigte gegeben, fügt Lange an. „Europa muss seiner Verantwortung und seinem globalen Einfluss gerecht werden und hohe Standards für Sorgfaltspflichten schaffen.“
Die Europaabgeordnete Anna Cavazzini von den Grünen sagt, dass man im EU-Parlament die gesamte Wertschöpfungskette einschließen wolle und damit weiter gehen möchte als beim deutschen Vorschlag. Der Vorschlag des EU-Parlaments sei ein Meilenstein und ein deutliches Zeichen in Richtung EU-Kommission, die einen Gesetzesvorschlag dazu erarbeiten wird.
Skeptiker befürchten, dass viele Unternehmen die Bedingungen nicht erfüllen können. Axel Voss, Mitglied der EVP-Fraktion, sagt, man müsse sinnlose Bürokratie insbesondere für europäische Klein- und mittelständische Unternehmen verhindern. Nicht jedes Unternehmen sei in der Lage, jeden einzelnen von möglicherweise tausenden von Lieferanten zu kontrollieren.
Die Angst vor einem weiteren "Bürokratiemonster"
Bedenken kommen auch aus der bayerisch-schwäbischen Wirtschaft. Claudia Hintermayr ist Unternehmensberaterin bei der IHK Schwaben und sagt, die heimischen Firmen stehen hinter der Intention, die globale Menschenrechtslage zu verbessern. Aber es scheine, als ob die Politik die Verantwortung von anderen Staaten auf deutsche Unternehmen übertragen möchte. Hintermayr befürchtet, dass große Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten an kleine Unternehmen weitergegeben könnten. Gerade im Maschinenbau seien sehr weit verzweigte Lieferketten keine Seltenheit. Rund 3000 bayerisch-schwäbische Unternehmen sind laut IHK auf ausländischen Märkten aktiv.
Gerhard Pfeifer ist Geschäftsführer der Pfeifer Seil- und Hebetechnik GmbH, einem Unternehmen mit Sitz in Memmingen und über 1700 Mitarbeitern an weltweit 30 Standorten. Er sagt: „Grundsätzlich ist der Gedanke des Lieferkettengesetzes überhaupt nicht infrage zu stellen“ Aber man dürfe die Verantwortung nicht allein auf deutsche Firmen abwälzen. Der Gesetzesentwurf zum Lieferkettengesetz sei realitätsfern, sagt Pfeifer. „Wir schaffen ein weiteres Bürokratiemonster, das es den viel gepriesenen deutschen Mittelständlern zunehmend verleidet, international tätig zu werden.“ Gerade während der Pandemie und des von vielen Wirtschaftsexperten prophezeiten Aufbruchs nach Corona dürfe man nicht die Unternehmen im internationalen Wettbewerb bremsen.
Allgäuer Unternehmer: "Das Lieferkettengesetz suggeriert, dass wir uns in ärmeren Ländern bedienen"
Der Allgäuer Unternehmer betont, dass deutsche Betriebe in ihren weltweiten Niederlassungen einen erheblichen Beitrag zur Ausbildung und Qualifizierung von Mitarbeitern leisten – und neue Standards in Arbeits- und Gesundheitsschutz und Umweltorientierung setzen. „Das Lieferkettengesetz suggeriert, dass wir Unternehmer uns in ärmeren Ländern bedienen und wissentlich gegen Menschenrechte oder Umweltauflagen verstoßen.“ Schwarze Schafe unter den deutschen Unternehmern seien wenige Einzelfälle.
Laut IHK sind sich die meisten deutschen Unternehmer einig, dass nur ein Gesetz auf EU-Ebene Sinn ergibt, um wettbewerbsfähig zu sein. Dass es aber wohl auf eine strengere Form als die ursprüngliche deutsche Version hinauslaufen wird, dürfte nicht alle erfreuen.
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