In Brüssel sind die Eurokraten das Bild von demonstrierenden Landwirten und wütend lärmenden Bauern gewohnt. Es vergeht kaum ein Monat, in dem keine Traktorkolonnen im Europaviertel auffahren und gegen neue Umweltauflagen oder den Abbau von Subventionen protestieren. Und auch wenn die meisten Europaabgeordneten nun Verständnis für den Frust vieler Bauern äußern, führt für den Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen, die derzeitige Debatte in der Bundesrepublik an der Kernfrage vorbei. Das zentrale Problem bestünde seiner Ansicht nach vielmehr in der „unfairen Verteilung der Erträge aus der Landwirtschaft“.
Zwar habe die Ampelkoalition in Berlin „offenkundig“ Fehler gemacht, aber ihm zufolge sollte sich der Protest stattdessen gegen die großen Handelsketten richten. Andresen fordert deshalb eine Übergewinnsteuer auch im Lebensmittelbereich, ähnlich wie die EU sie im Energiesektor eingeführt hat. Damit könnten seiner Meinung nach die Erlöse auf europäischer Ebene umverteilt und zur Stärkung der ländlichen Räume eingesetzt werden. Der Grüne kritisiert die Konzentration von Marktmacht bei den großen Supermarktketten. „Sie drücken die Preise“, so Andresen, und hätten diese in den letzten zwei Jahren auf Kosten der Landwirte und Verbraucher massiv angehoben und Übergewinne angesammelt.
Grünen-Sprecher Andresen appelliert an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Deshalb appelliert Andresen nun an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, „einen Vorschlag auf den Tisch“ zu legen. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Brüsseler Behörde sich des Themas noch in den nächsten Wochen und damit vor den Europawahlen Anfang Juni annimmt? „Vor dem Hintergrund dessen, dass wir auch in anderen Mitgliedstaaten wie in den Niederlanden Agrarproteste haben“, zeigt sich Andresen zuversichtlich, dass es im Fall eines vorliegenden Kommissionsentwurfs eine große Bereitschaft im EU-Parlament gäbe, „schnell etwas zu beschließen“.
Noch wäre Zeit, so der Abgeordnete. Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber nennt solche Forderungen dagegen „reinen Populismus“. Eine Übergewinnsteuer sei keine Lösung, weil es „überhaupt keine Übergewinne gibt“. Der Wettbewerb sei so hart, dass die Margen „ganz gering“ seien, sagt Ferber. Hinzu käme, dass die Handelskonzentration lediglich in Deutschland ein Thema sei. Auch vom Aufruf Andresens, das Wettbewerbsrecht auf EU-Ebene zu überarbeiten, hält er wenig.
Die Eingriffsmöglichkeiten der Kartellbehörden geraten in den Blick
Während der Grüne nun ins Gespräch bringt, die Eingriffsmöglichkeiten von Kartellbehörden auszuweiten, um „die Marktmacht der großen Lebensmittelkonzerne gegenüber den Landwirten“ zu beschränken, „damit Macht zurückgeht zu den Landwirten und den Verbrauchern“, verweist der CSU-Politiker auf bereits unternommene Versuche in der Vergangenheit. So habe die EU etwa Erzeugergemeinschaften gestärkt. Demnach dürfen sich solche zusammenschließen, um ihre Macht als Lieferant zu bündeln. „Wir haben den ganzen Instrumentenkasten schon ausgereizt“, befindet Ferber.
Das Thema Landwirtschaft sorgt in Brüssel regelmäßig für Streit, vor allem, weil die Bauern in der Union von enormen Subventionen profitieren. Fast jeder dritte Euro aus dem mehrjährigen EU-Haushalt fließt in die Landwirtschaft, über sieben Jahre sind das insgesamt 387 Milliarden Euro. Deutschlands Farmer erhalten aus den Brüsseler Geldtöpfen sechs Milliarden Euro pro Jahr, wobei das meiste als Direktzahlungen an die Landwirte fließt. Deren Höhe bemisst sich auch nach der jüngsten EU-Agrarreform nach der Größe der Höfe und ist kaum an Auflagen geknüpft.
Eine Studie legt nahe, dass viele kleinere Bauernhöfe in den nächsten Jahren aufgeben werden
Eine aktuelle Studie könnte die Debatte um die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland weiter befeuern. Die erhobenen Daten haben es in sich. Die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland wird sich nach Einschätzung der DZ Bank bis 2040 mehr als halbieren. Kleine Bauernhöfe müssten unter Kostendruck immer mehr großen industriellen Betrieben weichen, heißt es in der am Freitag veröffentlichten Analyse. „Zunehmende Anforderungen durch Umweltschutz, Tierwohl und Betriebswirtschaft belasten die Bauernhöfe immer stärker. Hinzu kommt der Fachkräftemangel sowie die oftmals nicht gelöste Nachfolgeregelung bei Familienbetrieben“, heißt es dort.
Die Zahl von rund 256.000 Höfen im Jahr 2022 werde auf etwa 100.000 Betriebe 2040 sinken, schätzt DZ-Bank-Branchenexperte Claus Niegsch. Bei etwa gleichbleibender landwirtschaftlicher Fläche dürfte sich die Durchschnittsgröße eines Betriebs so von 64,8 Hektar auf 160 Hektar im Jahr 2040 mehr als verdoppeln. „Der bäuerliche Familienbetrieb steht zunehmend vor dem Aus.“ (mit dpa)