In der Einkaufswelt des Jewropejski-Shoppingzentrums im Herzen Moskaus ist vom Krieg, mit dem Wladimir Putin das Nachbarland Ukraine überzogen hat, kaum etwas zu merken. Das bunte Warenangebot sorgt für Zerstreuung. Daran konnten auch die westlichen Sanktionen nichts ändern. Anders als noch vor zwei Jahren ist kaum Leerstand zu sehen. Es gibt Mode aus der Türkei, Technik von Miele oder Apple. Vieles, was es eigentlich nicht geben sollte, gelangt über Parallelimporte aus Drittländern in das Riesenreich. Und das gilt nicht nur für den Konsum.
Wie das ifo Institut ermittelt hat, umgeht Russland die Handelssperren vor allem über die GUS-Länder in Zentralasien und über die Türkei. „Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und die Türkei haben im Jahr 2022 50-mal mehr Güter nach Russland exportiert, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, als sie 2019 an allgemeinen Gütern in alle Zielländer exportiert haben. Dies deutet mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auf Sanktionsumgehung hin“, sagt Feodora Teti, stellvertretende Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft. Auch China unterstützt den Kreml massiv, jedoch scheint die Umgehung von Sanktionen über China weniger weitverbreitet zu sein.
Die Kriegswirtschaft schürt die russische Wirtschaft an
Präsident Putin sagt, der Westen sei gescheitert mit seinen Sanktionen. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft hilft ihm, die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten. Die russische Wirtschaft hat nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) einen hohen Anteil an Militärausgaben, was die Produktion ankurbele. Allerdings steigt auch die Inflation. „Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Russland im Hinblick auf das Humankapital einige hoch qualifizierte Arbeitskräfte verloren hat“, sagt IWF-Kommunikationsdirektorin Julie Kozack. Ohne Auswirkungen bleibt die Krise also auch für Russland nicht.
Wegen der Panik auf den Rohstoffmärkten und den durch die Decke schießenden Preisen verdiente der Kremlherr zwar trotz merklich fallender Importe Richtung Europa lange Zeit prächtig. Im Verlauf des vergangenen Jahres gingen die Preise aber zurück, und die Strafmaßnahmen gegen Russland zeigten Wirkung. Laut der Finanznachrichtenagentur Bloomberg sanken die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas im vergangenen Jahr um rund ein Viertel. Russland bezahlt einen Preis, die Bundesrepublik jedoch auch. „Die Wirtschaft ist in schwerem Fahrwasser. Wir kommen langsamer aus der Krise als gehofft“, sagte kürzlich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
In Deutschland schrumpfte die Wirtschaftsleistung im Jahr 2023
2023 schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. „Der Ukraine-Krieg hat hohe wirtschaftliche Kosten für Deutschland“, schrieb DIW-Chef Marcel Fratzscher vergangene Woche auf X. „Vor allem die hohen Energiekosten haben das Wachstum in Deutschland im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpunkte oder 100 Milliarden Euro und für die Jahre 2023 und 2024 um eine ähnliche Größenordnung reduziert. Weitere Kosten entstehen durch die dadurch eskalierenden geopolitischen und geoökonomischen Konflikte, vor allem mit China, welche gerade deutsche Exportunternehmen hart treffen.“
In Deutschland spielten noch andere interne Faktoren für die schwierige wirtschaftliche Lage eine Rolle, erklärte kürzlich ifo-Chef Clemens Fuest im Gespräch mit unserer Redaktion. Er nannte die Zunahme der Bürokratie, die Steuerbelastung, das knapper werdende Arbeitskräfteangebot und die Verunsicherung über den Kurs der Politik. Die Bauwirtschaft erlebt zudem einen Kollaps.
Kommt russisches Öl über den Umweg Indien nach Europa?
Laut dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft verzeichnete der Russland-Handel insgesamt im vergangenen Jahr einen Einbruch um 75 Prozent. Die Rohstoffgroßmacht fiel auf Platz 38 der Handelspartner hinter Slowenien. Der deutsche Handel mit Russland schrumpfte im Zuge der Sanktionen 2023 um drei Viertel auf 12,6 Milliarden Euro. „Die früher von Energieträgern dominierten Einfuhren sanken nach dem Beginn des Ölembargos Anfang 2023 um 90 Prozent auf nur noch 3,7 Milliarden Euro“, hieß es.
Statt auf Deutschland und Europa setzt Putin auf neue Handelspartner. Seit Kriegsbeginn hat Indien den Import von günstigem Öl aus Russland gesteigert. Zugleich hat die EU ihre Abnahmemengen für Öl aus Indien nach oben geschraubt – ist indisches Öl in Wahrheit also russisches Öl? Die Wahrscheinlichkeit ist zumindest groß. Dem Statischen Bundesamt zufolge stiegen die deutschen Importe von Mineralölerzeugnissen aus Indien von 37 Millionen Euro in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 um das Zwölffache auf einen Wert von 451 Millionen Euro von Januar bis Juli 2023. Es handele sich dabei um 2,4 Prozent aller deutschen Importe von Mineralölerzeugnissen in dem Zeitraum. Bei diesen Importen aus Indien handele es sich hauptsächlich um Gasöle, die für die Herstellung von Diesel oder Heizöl genutzt werden. Gleichzeitig führt Indien laut Daten der Vereinten Nationen seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine große Mengen Rohöl aus Russland ein.
Sahra Wagenknecht: „Sanktionen auf russisches Öl sind Heuchelei“
EU-Abgeordnete fordern längst, dass die Schlupflöcher für Russland geschlossen werden müssten. Anders sieht es Sahra Wagenknecht, Chefin der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht. „Die Sanktionen auf russisches Öl sind Heuchelei pur. Wenn die Bundesregierung behauptet, Deutschland und die EU hätten sich von russischem Öl unabhängig gemacht, sagt sie schlicht die Unwahrheit“, sagte sie unserer Redaktion. Wagenknecht gehört zu den lautstärksten Gegnern der Strafmaßnahmen und der Waffenlieferungen an die Ukraine in Deutschland.
Im Schlussquartal des alten Jahres zahlte Indien über 80 Dollar je Fass russischen Erdöls. Eigentlich hat der Westen einen Preisdeckel von 60 Dollar verhängt. Aktuell kostet das Fass der Sorte Ural 75 Dollar. „Fakt ist, dass russisches Öl jetzt über teure Umwege in deutschen Autos und Heizungen landet. Das ist eine unsägliche Doppelmoral auf Kosten der Verbraucher und unserer Wirtschaft“, beklagt Wagenknecht. (mit dpa)