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Krieg in der Ukraine: Kann Biogas das Erdgas aus Russland ersetzen?

Krieg in der Ukraine

Kann Biogas das Erdgas aus Russland ersetzen?

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    Auch Biogas zählt zu den erneuerbaren Energien.
    Auch Biogas zählt zu den erneuerbaren Energien. Foto: Maurizio Gambarini, dpa

    Im Zuge des Kriegs gegen die Ukraine und der Energiewende ist meist von den erneuerbaren Energien von Sonne und Wind die Rede. Biogas, das von zahlreichen Landwirten auch in Bayern erzeugt wird, nahm dagegen in der Diskussion meist eine Nebenrolle ein. Dabei sei das Potenzial gewaltig, rufen In Europa ließe sich damit ein großer Teil des Gases ersetzen, das derzeit aus Russland importiert wird.

    Derzeit gebe es in Europa rund 20.000 Biogasanlagen, berichtet Harmen Dekker, der Niederländer ist Geschäftsführer des Europäischen Biogas-Verbandes. Die europäischen Anlagen produzieren rund 17 Milliarden Kubikmeter Biogas im Jahr, das unmittelbar verbrannt wird, um Strom und Wärme zu erzeugen. Rund drei Milliarden Kubikmeter werden aufbereitet und als Biomethan zum Beispiel in das Gasnetz eingespeist.

    Zwei Drittel der Menge aus Nord Stream 2 könnten durch Biogas ersetzt werden

    Die Möglichkeiten seien aber größer, erklärt Dekker: Ziel sei es, bis 2030 rund 35 Milliarden Kubikmeter Biomethan zu erzeugen. Das wären rund zwei Drittel der Kapazität der derzeit auf Eis liegenden Pipeline Nord Stream 2. "Biomethan ist eine kostengünstige Lösung, es kann für rund 55 Euro pro Megawattstunde hergestellt werden", sagt Dekker. Erdgas kostet derzeit in der Krise rund das Fünffache. Um auf die Menge zu kommen, müssten rund 5000 Biogasanlagen in Europa erstellt werden – 1000 große und 4000 mittelgroße Anlagen.

    Die Möglichkeiten für Biogas in Europa seien tatsächlich groß, davon ist auch Udo Hemmerling überzeugt, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. "In den anderen europäischen Ländern wird bisher wesentlich weniger Biogas als in Deutschland erzeugt", erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Erzeugung von Biogas hierzulande ist in vergangenen Jahren in die Kritik geraten, da der Maisanbau für Biogas in Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitteln wie Kartoffeln oder Weizen tritt. "Die Perspektive für Europa ist es deshalb, nicht zu sehr auf Silomais zu setzen", sagt Hemmerling. Besser sei es, Bioabfälle, Essensreste, Gülle oder Mist zu verwenden – Abfallstoffe also, die sonst auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen landen. Die frühere "Teller-Tank-Diskussion" könnte damit vermieden werden.

    Branche fordert: Deckel auf der Biogas-Erzeugung beseitigen

    Deutschland ist in Europa ein großer Biogas-Erzeuger. Die Anlagen könnten in der aktuellen Krise sofort ihre Leistung steigern und mehr Energie bereitstellen, wenn die Politik ein Hemmnis beseitigt, erklärt Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas. Jede Biogas-Anlage in Deutschland – auch die von Landwirten – habe eine Deckelung. "Wer mehr produziert, wird abgestraft", erklärt Seide. Würde der Deckel beseitigt, könnten die Anlagen im Schnitt "sofort 20 Prozent mehr" bereitstellen, das seien fünf Prozent des derzeit importierten russischen Gases. "Wir hätten damit mehr Energie und eine Preissenkung auf den Energiemärkten."

    Durch die frühere Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz sind in Deutschland die Rahmenbedingungen anders als in Europa. Bestehende Biogasanlagen arbeiten häufig mit nachwachsenden Rohstoffen aus der Landwirtschaft, beispielsweise Mais. Mittelfristig gehe es in Deutschland vor allem darum, bestehende Anlagen fit für die Energiezukunft zu machen, sagt Bauernverbands-Vizechef Hemmerling. Bisher verwenden noch viele Biogasanlagen das erzeugte Gas, um es vor Ort, zum Beispiel auf den Bauernhöfen, in Motoren zu verbrennen und Ökostrom und Fernwärme für Wohnungen, Kindergärten oder Bäder zu erzeugen. Das findet häufig noch kontinuierlich, rund um die Uhr statt.

    Bauernverband: Bestehenden Biogasanlagen-Park in Deutschland für die Zukunft umbauen

    Wenn in Zukunft die Photovoltaik und die Windkraft ausgebaut würden, sei es sinnvoller, mit den Biogasanlagen die Zeiträume abzudecken, wenn gerade Windstille herrscht und die Sonne fehlt, erklärt Hemmerling. Biogas wird also zur Rückversicherung, falls der Strom von Wind und Sonne knapp ist. Dafür kann der Strom weiterhin vor Ort, zum Beispiel am Bauernhof, erzeugt werden. Sinnvoller noch könnte es sein, das wertvolle Gas aufzubereiten und als Biomethan ins Gasnetz einzuspeisen. Dann kann es in zentralen Gaskraftwerken verwendet werden, es kann aber auch über Monate in den vorhandenen großen, unterirdischen Gasspeichern gelagert werden, bis der Bedarf besonders groß ist. Zum Beispiel im Winter. "Jetzt geht es darum, unseren bestehenden Biogasanlagen-Park für die Zukunft umzubauen", sagt Hemmerling.

    Um aus Biogas reines Biomethan für das Gasnetz zu erzeugen, muss es aufbereitet werden. Derzeit gibt es in Deutschland rund 9700 Biogasanlagen, nur 241 nutzen die Möglichkeit, Biogas zu Biomethan zu veredeln, das ins Gasnetz eingespeist werden kann.

    Auch in Deutschland könnte noch deutlich mehr Biogas erzeugt werden. Denkbar sei es, dafür neben Abfällen und Reststoffen auch alternative Energiepflanzen, Grasschnitt von Dauergrünland oder von Biodiversivitätsflächen einzusetzen. "Die Politik ist jetzt gefragt, uns die Möglichkeiten zu geben", sagt Verbandspräsident Seide. Bundesumweltminister Robert Habeck will demnächst ein "Osterpaket" an Gesetzen vorlegen, wie die erneuerbaren Energien schnell ausgebaut werden können. Die Biogas-Branche fordert weniger bürokratische Hürden und schnellere Genehmigungen. "Mittel- bis langfristig ließe sich die Biogaserzeugung von heute 95 Terawattstunden mindestens verdoppeln, ohne dafür die Anbauflächen konventioneller Energiepflanzen zu erhöhen – was einem Drittel der aktuellen Gasimporte aus Russland entspräche“, sagte am Mittwoch auch Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas.

    Die Landwirte sehen es ähnlich: „Wichtig ist, dass man Biogas wieder eine Chance gibt. In der Krise zeigt sich, dass es keine teure, sondern eine kostendämpfende Rolle in unserer Energieversorgung spielen kann“, sagt auch Udo Hemmerling.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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