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Krieg in der Ukraine: Diese Alternativen hat Deutschland zu russischem Erdgas

Krieg in der Ukraine

Diese Alternativen hat Deutschland zu russischem Erdgas

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    Mit Tankern kann verflüssigtes Erdgas aus den USA, Katar oder Australien nach Europa geliefert werden.
    Mit Tankern kann verflüssigtes Erdgas aus den USA, Katar oder Australien nach Europa geliefert werden. Foto: Domenic Aquilina, dpa

    Laut den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist Energie im Januar um 144,4 Prozent teurer als ein zuvor. Allein im Vergleich zum Dezember stiegen die Preise um 12,9 Prozent. Haupttreiber war das Erdgas: Um 302,7 Prozent ist es binnen Jahresfrist teurer geworden. Aber auch Erdöl (plus 66,8 Prozent) und Benzin (plus 73,2 Prozent) sind deutlich im Preis gestiegen. Auch Strom war mehr als dreimal so teuer als vor einem Jahr. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat nun angekündigt, die Versorgungssicherheit neu zu bewerten. Doch welche Optionen hat die Bundesregierung?

    Möglichkeit 1: Auf andere Lieferanten und Flüssiggas setzen

    Fast 27 Prozent seines Energieverbrauchs deckt Deutschland mit Erdgas. Gut 95 Prozent davon muss importiert werden, derzeit vor allem aus Russland, 55 Prozent der Erdgasimporte kamen von dort. Nach wie vor liefert das Land verlässlich. Nach Angaben des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) könnten aber viele Lieferländer ihre Produktion noch erhöhen.

    Der Import von Flüssiggas, so genanntem LNG, ist eine andere Option. LNG ist Erdgas, das auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt wird und dann im flüssigen Zustand nur noch ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens einnimmt. Tankschiffe können es so an Terminals anlanden, wo es wieder auf Normaltemperatur gebracht und in das Gasnetz gepumpt wird.

    Ein Gastank in Katar. Das Land könnte mehr Flüssiggas als bisher liefern.
    Ein Gastank in Katar. Das Land könnte mehr Flüssiggas als bisher liefern. Foto: Tim Brakemeier, dpa

    37 LNG-Terminals gibt es in Europa, 26 davon in der EU. Weitere sind im Bau oder in Planung. Deutschland hat noch kein Terminal, aber in Stade könnte nach derzeitigen Planungen frühestens Ende 2026 ein Erstes in Betrieb gehen. Habeck hat bekräftigt, dass diese Option stärker verfolgt werden soll. Die derzeit größten LNG-Anbieter sind laut BDEW Katar, Australien und die USA. Gerade Letztere könnten ihre Angebotsmenge kurzfristig ausweiten. Insgesamt ist die europäische Gasnetzinfrastruktur stark vernetzt und kann flexibel auf Angebotsschwankungen reagieren. Deutschland kann auch LNG-Erdgas über Terminals in Dunkerque, Gate und Zeebrugge beziehen.

    Möglichkeit 2: Die eigene Erdgas-Förderung steigern

    Auch in Deutschland wird Erdgas gefördert. Laut dem Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) liegt die Fördermenge bei etwa fünf Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Das entspricht rund sechs Prozent des Verbrauchs. Zur Relation: Als in den vergangenen Wochen immer wieder davon die Rede war, die Erdgasspeicher seien nur noch zu einem Drittel gefüllt, enthielten diese noch rund acht Milliarden Kubikmeter. Gefördert wird alles was derzeit verfügbar ist, doch die Fördermenge ist seit Jahren rückläufig. Vor 20 Jahren lag sie noch bei rund 20 Mrd. Kubikmeter im Jahr. Die Lagerstätten werden leerer, aber die Unternehmen haben auch ihre Ausgaben für die Exploration kontinuierlich zurückgefahren.

    Etwa 40 Milliarden Kubikmeter liegen als erschlossene Erdgasreserven noch im Boden, durch weitere Erkundungen ließe sich diese Zahl nach Meinung des Verbands auch noch steigern, aber: Das braucht Zeit. Von der ersten Erkundung bis zur Förderung können mehrere Jahre vergehen. Allerdings ließe sich auch im besten Fall die Produktion allenfalls geringfügig erhöhen.

    Mit der umstrittenen Fracking-Technik könnte laut einem Bericht der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe deutlich mehr Gas gewonnen werden. Das ist aber politisch wie gesellschaftlich nicht gewollt. Auch Erdöl wird in Deutschland gefördert, in der Region etwa in Schwabmünchen im Landkreis Augsburg. 96 Tonnen pro Tag fördert dort die Firma Oneo, die das Feld von Wintershall übernommen hat. Das Erdöl wird in einer zentralen Station gesammelt und mit der Bahn zu deutschen Raffinerien zur Weiterverarbeitung transportiert. Auch

    Möglichkeit 3: Die Gasspeicher im Sommer auffüllen

    Auch beim Erdöl stammen derzeit rund 35 Prozent der deutschen Importe aus Russland. Anders als beim Gas hält der Bund beim Öl eine nationale Reserve, die den Verbrauch von 90 Tagen abdeckt. Die Abhängigkeit ist also deutlich geringer, auch langwierige Lieferausfälle wären gut zu verkraften. Beim Erdgas wäre laut Habeck eine Reduzierung der Liefermenge oder sogar ein Lieferstopp kurzfristig, ohne Ausfälle abzufedern. Die Gasspeicher, die lange Zeit sehr unterdurchschnittlich gefüllt waren, wurden mit zusätzlich beschafftem Gas befüllt, außerdem habe man Lieferoptionen vereinbart. Um auch für den nächsten Winter vorzusorgen will Habeck schnell ein Gesetz vorlegen, das Speicherbetreiber verpflichten soll, ihre Speicher voll zu haben, bevor der Winter kommt. Noch im Sommer soll das dafür nötige Gas beschafft werden können. Bereits heute hat Deutschland die EU-weit höchsten Speicherkapazitäten für

    Möglichkeit 4: Die Kernkraft verlängern

    Für die Energiekonzerne ist der Atomausstieg endgültig. „Niemand in der Energiewirtschaft will zurück in diese risikobehaftete und teurere Technologie“, sagt der BDEW. Auch RWE, der Betreiber des jüngst vom Netz gegangenen Kraftwerks in Gundremmingen, sagt: „Es gibt klare gesetzliche Regelungen, an die halten wir uns.“ Die Kraftwerksbetreiber wurden vom Bund zudem mit Milliardensummen für die Abschaltung der Reaktoren entschädigt. Hinzu kommt: Das Reaktivieren eines abgeschalteten Kernkraftwerks ist teuer und zeitaufwendig, neues Brennmaterial kann ebenfalls nicht von heute auf morgen besorgt werden.

    Möglichkeit 5: Die Kohlekraftwerke verlängern

    Der Kohleausstieg ist für 2038 gesetzlich besiegelt, der Anspruch der Ampel-Regierung war, dies sogar noch früher zu schaffen. Auch hier war die Kompromisssuche langwierig und teuer für den Steuerzahler. Nun hat Habeck die Schaffung einer Kohlereserve angekündigt, bei den für dieses Jahr geplanten Stilllegungen von Kohlekraftwerken soll es aber bleiben. Gut 50 Prozent der in Deutschland verbrauchten Kohle kommt aus Russland, die USA, Kanada oder Australien kommen aber als alternative Lieferanten infrage. Die Position der Energiewirtschaft ist hier offener: „Welche mittel- und langfristigen Auswirkungen der aktuelle Konflikt nicht nur auf den Kohleausstieg, sondern auf die gesamte deutsche Energiepolitik insgesamt hat, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewertet werden“, sagt der BDEW.

    Möglichkeit 6: Die Erneuerbaren ausbauen

    Der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien war ohnehin erklärtes Ziel der Regierung. Nun bekommt das ökologische Projekt noch stärker eine geostrategische Dimension. Es gelte dabei die bisherige Schlafmützigkeit abzulegen, sagte Habeck. Russland hat trotz hoher Nachfrage schon Monate vor dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr Gas geliefert, als vertraglich zugesagt. Das hat den Anstieg der Preise befeuert – und wird in Berlin im Licht der aktuellen Entwicklungen noch einmal anders bewertet. Bis Ostern will Habeck eine erste Ausbauoffensive vorstellen.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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