Der Sturm ist längst nicht vorüber, aber das Schiff hält noch. So kann man die Lage für die bayerische Wirtschaft im Frühjahr 2022 beschreiben. "Schwierig" und vor allem "labil" sei die Situation derzeit für Unternehmerinnen und Unternehmer, sagt Wolfram Hatz, Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) am Mittwoch in München. Denn seit dem Ausbruch der Corona-Krise kommt scheinbar in immer schnellerer Folge Tiefschlag nach Tiefschlag für die Wirtschaft. Mittlerweile hat sich so ein Turm von Problemen aufgehäuft, dass es schwer vorstellbar ist, dass die Lage sich schnell wieder entspannt.
Dabei segelte man noch vor rund zweieinhalb Jahren auf ruhiger See und mit kräftigem Rückenwind. Lang, lang ist das her. Zunächst kam Corona und mit dem Virus die bekannten Einschränkungen und Schließungen. Neben den menschlichen Dramen, die sich dabei abspielten, rumpelte es auch in der Wirtschaft kräftig. Doch der Staat war zur Stelle und half mit großzügigen Wirtschaftshilfen und Kurzarbeitsregelungen. Allein nach Bayerisch-Schwaben flossen laut einer aktuellen Auswertung der Industrie- und Handelskammer bislang 1,25 Milliarden Euro.
Die Folgen der Corona-Krise sind längst nicht überwunden
Dennoch sind die Folgen der Krise bis heute nicht überwunden, obwohl fast alle Schutzmaßnahmen und Einschränkungen inzwischen nicht mehr gelten. Lieferketten sind noch immer massiv gestört, Materialen und Vorprodukte sind knapp und entsprechend teurer geworden. Auch die Preise für Fracht, wenn sie denn überhaupt ankommt, sind massiv gestiegen. Die Omikron-Welle und die strikte Null-Covid-Politik in China, einem extrem wichtigen Handelspartner für Bayern, haben die Lage weiter verschlechtert.
Dann kam der 24. Februar dieses Jahres, und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat alle Hoffnung auf eine rasche Normalisierung erstickt. "Die Perspektiven haben sich deutlich verschlechtert, die Risiken sind enorm", fasst Hatz die unter das langjährige Mittel eingebrochenen Wachstumsaussichten des vbw-Index für die bayerische Wirtschaft zusammen. Zu den bekannten Problemen kamen neue hinzu: Die hohen Energiepreise sind noch weiter gestiegen, ebenso wie die Preise für Vorprodukte, Rohstoffe und Transporte. Die deutlich anziehende Inflation frisst aber auch einen Teil der Kaufkraft der Verbraucher auf. In der Folge bekommt der Konsum nicht den Auftrieb, den sich Handel und Gastgewerbe angesichts der aufgestauten Ersparnisse erhofft hatten.
Bei einem Gaslieferstopp dürfte eine Rezession unausweichlich werden
Dazu kommt der Fachkräftemangel, der dazu führt, dass einerseits Umsätze, die möglich wären, einfach nicht gemacht werden können. Andererseits steigt der Druck auf die Tarifpartner, in den anstehenden Verhandlungen deutliche Lohnerhöhungen zu vereinbaren. Das könnte wiederum die Inflation hoch halten. Erste Stimmen, wie der BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels, sehen die Wirtschaft im Euroraum daher schon in der gefürchteten Stagflation angekommen - steigende Preise bei stagnierender Wirtschaftsleistung. Ist das also der perfekte Sturm, der das Schiff zum Kentern bringen könnte?
vbw-Präsident Wolfram Hatz sieht drei mögliche Szenarien für die Zukunft. Auch wenn die Wirtschaft im zweiten Quartal des Jahres noch einmal schwächer wächst als in den ersten drei Monaten, könnte aufs Jahr gesehen dennoch noch ein Wachstum von 1,8 Prozent herauskommen - vorausgesetzt die Konjunktur erholt sich in der zweiten Jahreshälfte. Wenn allerdings bis Jahresende keine Entspannung bei Lieferengpässen und Inflation eintritt und im Herbst vielleicht sogar noch neue Corona-Einschränkungen in Kraft treten, könnte es maximal noch für ein Magerwachstum von 1,2 Prozent reichen. Definitiv in die Rezession dürfte Bayerns Wirtschaft rutschen, wenn kein Gas mehr aus Russland nach Europa fließt.
Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist für die vbw nicht vom Tisch
Laut einer aktuellen Umfrage der vbw müssten in diesem Fall 22 Prozent der Unternehmen im Freistaat die Produktion einstellen. Die Folgen für die gesamte Wirtschaft wären aber noch viel größer: Viele Vorprodukte werden mit Gas hergestellt. Wenn etwa die chemische Industrie nicht mehr arbeiten kann, bekommen auch alle anderen Unternehmen Probleme, die entsprechende Produkte für ihre Produktion brauchen. Und wenn die Papier- und Verpackungsindustrie nicht mehr liefern kann, kann auch nur noch viel weniger verschickt werden. Solche Verbindungen gibt es viele.
Eindringlich warnt die vbw daher vor einem Gasembargo. Stattdessen müssten nun schnell alle verfügbaren Speicher gefüllt werden. Der für Bayern eminent wichtige Speicher im österreichischen Haidach sei aber, anders als die Speicher in Deutschland, derzeit nur sehr gering gefüllt. Auch die Verlängerung der Laufzeiten der noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke hat die vbw noch nicht aufgegeben. Laut Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes, könnten die Energieunternehmen die notwendigen Weichenstellungen in Bezug auf Beschaffung des Brennmaterials und Sicherheitsüberprüfungen noch vornehmen, wenn eine entsprechende politische Entscheidung bis Mitte des Jahres gefällt werde. Über 15 Prozent des bayerischen Stroms werden aus Erdgas produziert. Dies zu ersetzen, könne den anderen Gasabnehmern mehr Luft verschaffen.